Český Těšín / Cieszyn: die freundliche geteilte Stadt

Panoramablick auf Český Těšín (Foto: Vít Pohanka)

Geteilte Städte finden sich in ganz Europa. In Zyperns Hauptstadt Nikosia wird einerseits Griechisch, andererseits Türkisch gesprochen, vor allem läuft eine scharf bewachte Grenze durch sie hindurch. In Mitrovica im Kosovo leben Albaner und Serben voneinander getrennt. Eine geteilte Stadt gibt es aber auch an der tschechisch-polnischen Grenze. Im Unterschied zu den genannten Beispielen ist in Český Těšín / Cieszyn das Zusammenleben der beiden Nationen jedoch friedlich und freundlich.

Brücke der Freundschaft  (Foto: Vít Pohanka)

Eine lange, gerade Straße führt vom Hauptbahnhof zur Brücke der Freundschaft, die die beiden Seiten des Olsa-Flusses verbindet. Am westlichen Ufer, an dem sich früher hauptsächlich ein Industrieviertel erstreckte, entstand nach dem Ersten Weltkrieg die Stadt Český Těšín. Hinter der „Freundschaftsbrücke“ über den Fluss Olše / Olsa, der die Grenze bildet, liegt Polen. Im polnischen Cieszyn findet man den historischen Stadtkern mit dem Hauptmarkt, sowie ein Schloss mit einer romanischen Rotunde und einem Turm aus dem Mittelalter. Bis 1920 war Těšín eine einzige Stadt. Dort lebten gemeinsam Deutsche, Juden, Polen und Tschechen. Der deutsche Name lautet im Übrigen Teschen. Schon im frühen Mittelalter begannen allerdings die Streitigkeiten zwischen Böhmen und Polen um die Vorherrschaft in Schlesien und auch in der Stadt selbst. David Pindur ist Historiker und arbeitet im Regionalmuseum von Český Těšín:

David Pindur  (Foto: Tschechisches Fernsehen)

„Unsere Stadt war Jahrhunderte lang Sitz der Teschener Piasten. Auf dem Burgberg stand eine Burg, die die Hauptresidenz der hiesigen Herzöge war. Das Herzogtum Teschen entstand, wie viele andere schlesische Fürstentümer, erst im ausgehenden 13. Jahrhundert. Um 1290 ließ sich Mieszko I., ein Sohn des Herzogs von Oppeln Wladislaw I., in Teschen nieder. Er gehörte zum Haus der Piasten und gründete eine neue Dynastie der Teschener Herzöge. Interessant ist, dass seine Tochter Viola den letzten böhmischen Přemysliden-König, Václav III., heiratete. Nach dessen gewaltsamem Tod 1306 in Olmütz wurde sie mit Peter von Rosenberg vermählt. Ihre Gebeine ruhen im Kloster Vyšší Brod (Hohenfurth, Anm. d. Red.). Für die Geschichte der böhmischen Länder ist von Bedeutung, dass Mieszkos Sohn Kasimir I. von Teschen das Herzogtum 1327 als Lehen an König Johann von Böhmen gab. Während der Kämpfe zwischen böhmischen und polnischen Herrschern um die polnische Krone kamen damals die meisten Fürstentümer in Schlesien unter böhmische Lehenshoheit. Dies wurde 1335 durch den sogenannten Vertrag von Trentschin zwischen Johann von Böhmen und dem polnischen König Kasimir dem Großen bestätigt. Die Übereinkunft wurde aber erst 1339 von Kasimir auch ratifiziert.“

Piastenturm in Cieszyn  (Foto: Vít Pohanka)

Mit dem Vertrag wurde die politische Abtrennung Schlesiens von Polen festgelegt. Im Gegenzug verzichteten Johann von Böhmen und sein Sohn Karl auf den polnischen Königstitel, den sie von den Přemysliden geerbt hatten. Die mit dem Vertrag festgelegten schlesisch-polnischen Grenzen blieben im Großen bis 1945 bestehen.

Im 17. Jahrhundert erlosch der Teschener Zweig der Schlesischen Piasten. Die Stadt selbst fiel 1654 zusammen mit dem gleichnamigen Herzogtum an die Böhmische Krone, die seit 1526 die Habsburger innehatten. Kaiserin Maria Theresia verlor allerdings im Erbfolgekrieg im 18. Jahrhundert einen großen Teil Schlesiens. Die Gegend um Opava / Troppau und Teschen konnte sie jedoch verteidigen, und die Regionen blieben im direkten Besitz der Habsburger. Dies habe sich auf die Entwicklung der Stadt und ihrer Umgebung deutlich ausgewirkt, sagt der Teschener Historiker David Pindur:

Cieszyn / Teschen  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

„Das Gebiet entwickelte sich zu einem sehr bedeutenden Industrie- und Wirtschaftszentrum. Dies hing mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und dem Bau von Eisenbahnstrecken, also der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn und der Kaschau-Oderberger Bahn mit ihren Anschlüssen zusammen. In der Region gab es Kohlegruben und Stahlhütten, die Beskiden dienten wiederum als Quelle für Holz und weitere Rohstoffe. Diese Entwicklung spielte eine große Rolle in dem Streit, der dann nach dem Ersten Weltkrieg ausbrach und zwei Jahre lang dauerte.“

Polnisch-Tschechoslowakischer Grenzkrieg um das Teschener Schlesien 1919  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

Nach dem Ersten Weltkrieg erhoben beide Staaten, also Polen und die neugegründete Tschechoslowakei, Anspruch auf das Gebiet an der Olsa. Vermittlungsversuche blieben erfolglos, und die Lage eskalierte 1919 in einem mehrtägigen Krieg zwischen beiden Staaten. Erst ein Schiedsspruch der Siegermächte beendete im Juli 1920 den Konflikt. Die Stadt Teschen wurde entlang der Olsa geteilt: Die Altstadt mit dem historischen Burgberg kam zu Polen, die Tschechoslowakei musste sich mit der westlich gelegenen Vorstadt inklusive Bahnhof begnügen. Anfang Oktober 1938 nahm Polen dann das Münchner Abkommen zum Anlass, um den westlich der Olsa gelegenen Teil des Teschener Landes zu besetzen. Die Stadt wurde erneut vereint und gehörte nun unter dem Namen Cieszyn zu Polen. Allerdings dauerte die polnische Herrschaft nur elf Monate; sie endete mit dem deutschen Überfall auf Polen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Nach Kriegsende wurde die Stadt erneut geteilt. Da Polen und Tschechien aber im Jahr 2007 dem Schengener Abkommen beigetreten sind, gibt es wenigstens keine Grenzkontrollen mehr auf den Olsa-Brücken.


Jaromír Nohavica  (Foto: Vít Pohanka)

Der Liedermacher Jaromír Nohavica hat viele Jahre in Český Těšín gelebt. Und er hat die Stadt auch in einem eigenen Lied besungen. Nohavica meint allerdings, die Stadt habe ihre Teilung nie überwunden:

„Es ist eine traurige Geschichte mit einer komplizierten Fortsetzung. Ich bin mir nicht sicher, dass die Stadt ihre Teilung und Wiedervereinigung richtig überlebt hat. Es fällt mir schwer, das genau so zu sagen, weil ich eine sehr persönliche Beziehung zu Těšín habe, aber die Stadt ist nicht normal. Sie ist bis heute wie eine geschiedene Ehe.“

Renata Putzlacher-Buchtová  (Foto: Janusz Stobiński / CC BY 3.0)

Renata Putzlacher-Buchtová stammt aus Český Těšín und ist Dichterin und Übersetzerin. Sie lehrt Polonistik an der Masaryk-Universität in Brno / Brünn. Ihren eigenen Aussagen nach fühlt sie sich aber immer noch in ihrer Heimatstadt zu Hause. Die Geschichte ihrer Familie illustriert den Charakter und die multinationale Bevölkerung des ursprünglichen Těšín:

Cieszyn und Český Těšín  (rechts). Foto: Darwinek,  CC BY-SA 3.0

„Ich habe eine polnische Schule in Český Těšín besucht. Mein ganzes Leben ist zwischen Tschechisch und Polnisch gespalten. Unsere Familie kommt aus der Nähe von Graz. Ich bin später auch einmal dort hingefahren und habe mich davon überzeugt. Meine Vorfahren siedelten von dort später ins Egerland um und zogen im Rahmen der Kolonisierung von Galizien bis nach Lemberg weiter. Und aus Galizien kam mein Großvater Rudolf Putzlacher 1927 nach Cieszyn. In jener Zeit existierten schon Cieszyn und Český Těšín. Mein Opa traf als 14-Jähriger hier ein und machte eine Bäcker-Lehre. Er buk für Polen, Tschechen, Deutsche und Juden. Die Stadt hat eine komplizierte Geschichte. Im Oktober 1938 wurde Teschen vereinigt, nachdem die Polen den tschechischen Teil besetzten. Daraufhin entschlossen sich meine Großeltern, auf die tschechische Seite zu ziehen. Nicht einmal nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kehrten sie zurück.“

Tschechisch-polnische Grenze in Teschen  (Foto: Vít Pohanka)

Renata Putzlacher-Buchtová findet das Leben der Stadt nicht so hoffnungslos wie der Liedermacher Nohavica:

„Ich habe in meinen Kinder- und Jugendjahren sowie als Erwachsene in Český Těšín gelebt. Für mich persönlich ist die Doppelstadt aber eine einzige Stadt. Meine Großeltern Putzlacher zogen 1939 auf die tschechische Seite. In den 1960er Jahren heiratete mein Vater aber meine Mutter, die aus Polen stammt, aus dem Teschener Schlesien. Das ist also meine kleine Heimat, ich unterscheide nicht zwischen polnisch und tschechisch. Meine Großeltern mütterlicherseits lebten in Skoczów auf der polnischen Seite, und wir haben sie dort häufig besucht.“

Straßenbahn Cieszyn  (Quelle: Archiv des Museums des Teschener Schlesien in Cieszyn)

Zum Schluss ihres Spaziergangs durch die Doppelstadt steuert Renata Putzlacher-Buchtová einen symbolischen Ort an:

„Wir sitzen hier in einem Café, das sich seit langem schon in diesem Haus auf der polnischen Seite befindet. Es heißt Tramwaj Café. Das Interieur erinnert an die Straßenbahn, die einst durch die Stadt fuhr. Wenn man sich hier hinsetzt, ist es, als ob man in die Zeit zurückehren würde, in der noch diese Straßenbahn in Teschen verkehrte.“

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