Finanzkrise hat Tschechien erreicht: Hohe Exportverluste und mehr Arbeitslose
In der Wirtschaft werden seit Wochen alle Fragen von nur einem Thema überlagert: die weltweite Finanzmarktkrise. Zurzeit kann eigentlich kein Wirtschaftsexperte genau vorhersagen, wie lange sie dauern und welche Folgen sie haben wird. Tschechien galt noch bis vor kurzem als fast krisensicher. Mittlerweile machen sich die Auswirkungen der Krise aber auch hierzulande bemerkbar.
Es hat eine zeitlang gedauert, doch jüngst sprach Alexandr Vondra, der tschechische Vizepremier für europäische Angelegenheiten, mit diesen Worten endlich aus, was für viele Wirtschaftsunternehmen im Land schon längst harte Realität geworden ist: die weltweite Finanzmarktkrise hat in hohem Maße auch die Tschechische Republik erreicht. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres ist die Auftragslage deutlich zurückgegangen, was vor allem die Exporteure arg zu spüren bekommen haben. Ende Oktober wurde die tschechische Außenhandelsbilanz mit dem unerwartet hohen Defizit von fast vier Milliarden Kronen registriert. Das ist eine Verschlechterung zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um rund zwölf Milliarden Kronen, also eine knappe halbe Milliarde Euro – und das wiederum ist das schlechteste Ergebnis seit dem Jahr 1994.
„Das war natürlich eine Überraschung für den Markt, denn es wurde lediglich mit einer Verschlechterung der Außenhandelsbilanz von acht Milliarden Kronen gerechnet. Der wesentliche Faktor, der hinter dieser Entwicklung steht, war der enorme Einbruch beim Export von Produkten des Maschinen- und Fahrzeugbaus“, sagte der Analytiker der Tschechischen Sparkasse (Česká spořitelná), Martin Lobotka.So wie Lobotka hatten auch andere Analytiker des Landes nicht mit einer solch schnellen Reaktion des Marktes gerechnet. Deshalb melden sich jetzt jene Wirtschaftsexperten noch deutlicher zu Wort, die die Folgen der Finanzkrise weit weniger beschönigt haben. Wie der Ökonom Jan Švejnar. „Das ist die größte Finanzkrise seit Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Und leider wissen wir noch nicht, wie groß sie letzten Endes sein wird“, warnt der ehemalige Präsidentschaftskandidat.
Jan Švejnar ist auch sehr zurückhaltend, was die weitere wirtschaftliche Entwicklung Tschechiens anbelangt. „Wenn wir im nächsten Jahr ein positives Wachstum haben werden, dann werden wir uns glücklich schätzen, denn das wäre ein Erfolg“, prognostiziert Švejnar relativ pessimistisch. Finanzminister Miroslav Kalousek hingegen liebäugelt noch immer mit einem Wachstum im kommenden Jahr von 2,5 bis drei Prozent. Seine neueste Prognose liegt aber inzwischen auch schon um einiges unter der, auf deren Grundlage der Entwurf zum Staatshaushalt des Jahres 2009 gemacht wurde. Diese Prognose hatte ein Wachstum von 4,8 Prozent vorgesehen.
Die Folgen der Finanzmarktkrise wirken sich auch noch auf andere Indikatoren der Wirtschaft aus. Allen voran auf die Arbeitslosigkeit und auf die Inflation. Im November ist die Arbeitslosenquote in Tschechien auf 5,3 Prozent gestiegen.
„Der Anstieg der Arbeitslosenquote im November ist eine unmittelbare Folge des geringeren Wirtschaftswachstums. Wir können damit rechnen, dass diese Quote sehr schnell auf sechs Prozent anwachsen wird“, erklärt der Analytiker der tschechischen Raiffeisenbank, Michal Brožka, und fügt an: „Dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert hat, wird darüber hinaus durch den Schwund an Arbeitsplätzen verdeutlicht. Von Oktober zu November dieses Jahres ist die Zahl der freien Arbeitsstellen von 130.000 auf 111.000 gesunken.“
In fast allen Branchen sind Betriebsleitungen oder Unternehmer nunmehr gezwungen, zu den unpopulären Maßnahmen zu greifen, die in der Arbeitswelt am meisten gefürchtet sind: Entlassungen und Kurzarbeit. Den größten Zuwachs an Arbeitslosen im vergangenen Monat – mehr als 18 Prozent – musste die westmährische Region von Havlíčkův Brod quittieren. Das hängt vor allem mit der Schließung einiger Glasfabriken zusammen, was der Direktor des Arbeitsamtes in Havlíčkův Brod, Martin Kouřil, bestätigte:„Es sind mehrere Firmen, die ihre Produktion eingestellt haben. In die Liste der Arbeitslosen haben wir jetzt gerade die Glasmacher aus der Glasfabrik in Josefův Důl aufgenommen. Dort haben in diesem Herbst 90 Glasmacher ihren Arbeitsplatz verloren.“
In anderen Branchen, wie zum Beispiel der Stahl- und Hüttenindustrie, sind Entlassungen schon seit längerer Zeit ein Thema. Um konkurrenzfähig zu bleiben, nimmt beispielsweise der Ostrauer Stahlkonzern Arcelor Mittal seit mehreren Monaten stufenweise einen Arbeitsplatzabbau vor, um effizienter und kostengünstiger zu produzieren. Um den Arbeitnehmern den Abgang zu erleichtern, zahlt ihnen das Unternehmen weit überdurchschnittliche Abfindungen. Die Finanzkrise hat den Druck auf die personelle Entschlackung des Konzerns jedoch noch einmal erhöht. Deshalb wurde bereits angekündigt, dass zum Jahresende weitere Beschäftigte aus den Bereichen Verkauf und Verwaltung entlassen werden. Diese Entwicklung aber geht der Betriebsgewerkschaft mittlerweile schon zu weit, wie Gewerkschaftsführer Roman Bedčic deutlich macht:
„Das Unternehmen hat innerhalb von vier Jahren bereits zwei große Entlassungswellen auf der Basis des freiwilligen Abschieds vorgenommen. Von daher sind wir der Meinung, dass es gegenwärtig so gut wie keinen Arbeitsplatz in der Firma gibt, den man als überflüssig bezeichnen könnte.“Die Finanzkrise hat aber nicht nur Schattenscheiten geworfen. Ihr kann man mithin auch die eine oder andere positive Seite abgewinnen, im Besonderen den Rückgang der Inflation. Im November sank die Inflationsrate in Tschechien auf 4,4 Prozent und somit auf ihren niedrigsten Stand in diesem Jahr. Und nach Meinung von Petr Dufek, dem Analytiker der Tschechoslowakischen Handelsbank (ČSOB), werden die Verbraucherpreise im kommenden Jahr noch weiter zurückgehen:
„Im nächsten Jahr kann die Inflationsrate sogar bis unter die Marke von zwei Prozent fallen. Die angekündigten Preiserhöhungen für Elektroenergie oder die regulierten Mieten werden im Grunde genommen die einzigen Faktoren sein, die die Inflation in Tschechien aufrechterhalten werden.“Die Ökonomin der Agentur Next finance, Markéta Šichtařová, geht da sogar noch einen Schritt weiter: „Noch im ersten Halbjahr dieses Jahres wurde die Angst vor einer hohen Inflation als das A und O der tschechischen Wirtschaft angesehen. Jetzt aber scheint es so, dass wir uns in Zukunft vielleicht auch vor einer Deflation fürchten müssen.“
Die weltweite Finanzmarktkrise hat also auch in Tschechien binnen kürzester Zeit zu veränderten Entwicklungen der wichtigsten Wirtschaftskennzahlen geführt. Wie lange die Phase des geringen Wirtschaftswachstums hierzulande aber anhalten wird, weiß zurzeit noch niemand mit Sicherheit zu sagen.