Flüsternde Wände im Kloster Strahov
Unweit des Hradschin thront das Kloster Strahov über Prag. Genauso beeindruckend wie die Aussicht über die Goldene Stadt ist die mittelalterliche Klosterbibliothek. Zahlreiche wertvolle Schriftstücke werden dort aufbewahrt. Dass ein Buch allerdings nicht zwingend aus Schriftzeichen, Papier und zwei Buchdeckeln bestehen muss, zeigt seit vergangener Woche eine Ausstellung im Kreuzgang des Klosters. Sie umfasst auch Werke von deutschen Künstlern.
„Wir sehen hier eine Reihe verschiedener Sichtweisen: Ein Buch kann geschlossen sein, so dass dem Betrachter der Blick auf den Inhalt verwehrt wird. Es kann ein klassisches, illustriertes Buch sein, in dem gelesen und geblättert wird. Manche Künstler kehren auch zu den Ursprüngen zurück, als ein Buch noch aus einem einzelnen Stein bestand, einer Seite Papier, einem Stück Leder und so weiter.“
Mit den mittelalterlichen Schriften, die in der berühmten Klosterbibliothek gelagert sind, haben die ausgestellten Werke tatsächlich wenig gemeinsam – zumindest auf den ersten Blick: Zerbrechliche Papierstreifen, die sich bei jedem Luftzug bewegen, gehören dazu, aber auch eine aus Zeitungen gefertigte Treppe oder eine kleine steinerne Gebetsmühle. Laut Lenka Vilhelmová nimmt ein Künstler, der in aufwändiger Handarbeit ein solches Werk erschafft, im heutigen Literaturbetrieb eine geradezu naive Position ein.„Große kommerzielle Verlagshäuser überschwemmen den Büchermarkt mit ihren Auflagen. Vielleicht kann man die Arbeiten hier als Reaktion auf die zunehmende Entwertung des Buches und der Schrift verstehen.“
Irmgard Flemming gehört zu den fünf deutschen Künstlern, die an der Ausstellung beteiligt sind. Seit zwanzig Jahren widmet sich die Frankfurterin der Herstellung buchkünstlerischer Unikate. Im Kloster Strahov präsentiert sie ihre Version des Romans „Der Grenzwald“ vom österreichischen Autor Heimito von Doderer – abgeschrieben in zartester Handschrift auf Pergamentpapier. Am ersten Teil des Projektes, der im Mai im Prager Klementinum zu sehen war, war Irmgard Flemming ebenfalls beteiligt. Ihre damalige Teilnahme wurde zur Initialzündung für das Werk, das nun in Strahov zu sehen ist.„Auf der Rückfahrt im Omnibus habe ich überlegt, was ich denn so ganz fließend schreiben könnte. Über mehrere Stufen bin ich dann auf dieses Werk gekommen“, erzählt die Künstlerin.
Irmgard Flemming und ihre deutschen Kollegen haben ihre Beteiligung Ivo Sedláček zu verdanken. Der in Frankfurt lebende Künstler hat zusammen mit Lenka Vilhelmová bereits mehrere Ausstellungen organisiert. Als Gründer des Verlages „Edition Grenzraum“ setzt sich Sedláček intensiv mit verschiedenen Buch-Formen auseinander. So hat er auf die Frage, was denn für ihn die Essenz eines Buches sei, auch eine besonders poetische Antwort:„Für mich ist es eine Mitteilung, eine Nachricht – egal in welcher Form. Ein Zeugnis über das Geschehene und Nicht-Geschehene, das Gewesene. Die Form spielt eigentlich keine Rolle, bei Autorenbüchern und Künstlerbüchern sowieso nicht, weil da alles möglich ist. Die müssen auch nicht lesbar sein. Sie sollen aber vielleicht den Betrachter provozieren oder seine eigenen Gedanken und Erinnerungen zum Vorschein bringen.“
Die Wände des Klosters Strahov flüstern noch bis Ende August. Die Ausstellung ist täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet und ist im Eintrittspreis der historischen Räumlichkeiten enthalten.