Strahov-Evangeliar aus dem Jahr 860: bald als Faksimile zugänglich
Wir wollen heute die Spuren des ältesten Buches verfolgen, das in Tschechien erhalten geblieben ist. Geschrieben wurde das Werk vor mehr als 1100 Jahren in Frankreich, über Deutschland kam es dann nach Böhmen. Gemeint ist das so genannte Strahov-Evangeliar, das nicht nur wegen seines Alters, aber auch wegen seines reichen und schönen Buchschmucks einzigartig ist. Aufbewahrt wird es heute in der Bibliothek des Prämonstratenserklosters in Prag-Strahov. Dies bedeutet allerdings nicht, dass man den wertvollen Band dort auch in die Hand nehmen kann. Die Möglichkeit, im Buch nachzuschlagen, soll erst ein Faksimile bieten, das derzeit hergestellt wird.
„Es handelt sich um das so genannte Strahov-Evangeliar, das heißt eine Handschrift aus dem Jahr 860, die aus Frankreich stammt, aus Tours. Das Buch enthält vier Evangelien und einen Prolog des heiligen Hieronymus. Sein Format entspricht fast DIN A4 und besteht aus 222 Folien, also Pergament-Blätter. Die Handschrift ist in der so genannten Unziale geschrieben, einer Schrift aus karolingischer Zeit. Bei dem Werk handelt es sich um eine der wertvollsten Handschriften, die wir in unserer Bibliotheksammlung haben. Als komplettes Buch ist es unser ältestes Buch. Natürlich haben wir auch ein paar ältere Sachen, zum Beispiel ein Fragment des heiligen Augustinus vom Ende des 8. Jahrhunderts.“
Beim Strahov-Evangeliar handelt es sich sogar nicht nur um das älteste gebundene Buch in der Klosterbibliothek, sondern in ganz Böhmen, betont der Abt Michael Josef Pojezdný.„Das Buch geleitet uns zurück in die Zeit, als die Heiligen Kyrill und Method in unser Land kamen. Bei der Beschäftigung mit dem Buch muss man sich also klar machen, welche große Kultur mit dem Christentum zu uns gekommen ist.“
Nach Böhmen gelangte das Buch allerdings nicht im 9. Jahrhundert, sondern erst später. Zunächst erwartete das Evangeliar der Weg nach Trier an der Mosel, wo die Handschrift in den Jahren 980 bis 985 mit vier Illuminationen verziert wurde. Es handelt sich um die Abbildungen der Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johann mit ihren Symbolen. Die Bilder sind ein wichtiger Beleg der ottonischen Kunst, die sich durch Elemente aus der spätgriechischen Buchmalerei kennzeichnet.„Die Illuminationen stammen aus dem frühen Werk von Meister des Registrum Gregorii.“
Wie das Buch dann nach Böhmen gelangt ist, darüber bestehen mehrere Theorien. Die wahrscheinlichste von ihnen steht im Zusammenhang mit der Ansiedlung der ersten Prämonstratenser in Böhmen. Die Gründer des Stiftes Strahov kamen im 12. Jahrhundert aus dem Kloster Steinfeld im Rheinland nach Prag.„Das Buch ist mit den ersten Prämonstratensern aus Steinfeld nach Prag gekommen, und befindet sich seit der Gründung des Stiftes, das heißt seit 1143, zunächst in dessen Kirche und später in der Bibliothek.“
Glaubt Bibliotheksdirektor Evermod Gejza Šidlovský. Diese Theorie stützt sich auf keine historische Eintragung oder ein Dokument, sondern auf den Vergleich mit anderen Werken aus jener Zeit.„Die Ausschmückung der Handschrift ist sehr ähnlich wie die eines Reliquienschreins aus Steinfeld, wo sich eine Künstlerwerkstatt befand. Die Figuren auf der Handschrift von Strahov erinnern sehr an die Figuren auf dem Reliquiar.“
Das Evangeliar aus Strahov in die Hand zu nehmen ist heute selbstverständlich nicht möglich. Es wird im Tresor aufbewahrt und vor negativen Umwelteinflüssen geschützt. Das Prämonstratenser-Kloster und der Verlag Tempus Libri haben aber vergangene Woche in einem Vertrag vereinbart, dass ein Faksimile hergestellt wird. Das Faksimile entsteht in einer kleinen Auflage von 199 Stücken, wobei das erste Exemplar im Januar fertig gestellt sein soll. Der Verlag Tempus Libri hat bereits mehrere Faksimiles hergestellt, wie zum Beispiel von der Velislav-Bibel aus dem 14. Jahrhundert oder vom über 500 Jahre alten Stundenbuch des Fürsten Rohan. Doch das Strahov-Evangeliar hat eine besondere Stellung. Tomáš Žilinčář von Tempus Libri:„Es ist außergewöhnlich und lässt sich mit unseren früheren Arbeiten fast nicht vergleichen. Wir haben Bücher gemacht, die eine reiche Garnitur, einen tiefen Blinddruck, einen wertvollen Bucheinband, vergoldete Blätter oder viele graphische Elemente hatten. Aber der Umschlag bei diesem Evangeliar ist eine riesige Herausforderung und die erste Möglichkeit für uns, einen so reichen Buchschmuck zu machen.“
Nur fünf Personen werden für die Herstellung des Faksimiles auch das Evangeliar in die Hand nehmen dürfen. Die Kopie des Textes leistet die moderne Technik:„Die Handschrift wird digitalisiert und in elektronische Form übertragen Daraufhin wird sie im 1:1-Format gedruckt. Sie wird also nicht handgeschrieben, das wäre bei 199 Exemplaren nicht möglich. Die Kopie wird originalgetreu sein, mit allen Anomalien, Löchern, Kratzern und Fissuren. Die Digitalisierung ist sehr anspruchsvoll. Wir nutzen kontaktlose Spitzentechnologie, einen Scanner, der den Raum eines ganzen Saals füllt. Der Scanner befindet sich in einem Raum mit speziellem Licht und kopiert Punkt für Punkt die Vorlage, wobei eine Seite etwa 30 bis 40 Minuten dauert. Nach dem Druck wird das Buch manuell zusammengelegt, gebunden, genäht, dann kommen die Ausschmückung, der Schnitt der Blätter und Weiteres.“
Der Wert des Originals ist riesig, der Preis des Faksimiles soll bei etwa 14.000 Euro liegen. Die Kopie ist teuer, weil auch dort nicht alles mit moderner Technik bewerkstelligt werden kann.„Ein solcher Fall sind die Abbildungen der vier Evangelisten. Die Illuminationen sind so wertvoll und schön, dass wir uns entschieden haben, sie in allen 199 Exemplaren mit Restaurierungstechniken nachzubilden, also von Hand zu malen, von Hand zu vergolden. Jedes der 199 Bücher wird vier handgemalte Illuminationen enthalten.“
Jünger als die Illuminationen des Buches sind der prächtige Umschlag und der Bucheinband. Sie stammen aus der Zeit um 1500 beziehungsweise aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Den Umschlag aus rotem Samt zieren silberne und vergoldete Figuren, sowie Kristallglas und Halbedelsteine. Auch der Umschlag wird beim Faksimile per Hand nachgebildet:
„Das Material, das wir gebrauchen, ist original. Was aus Gold ist, wird Gold sein, was Silber ist, wird Silber sein. Auf dem Umschlag befinden sich Bergkristalle und Achate, und auch beim Faksimile gebrauchen wir dasselbe Naturmaterial, also keinen Ersatz aus Glas.“Das Faksimile des Strahov-Evangeliars wird unter der Schirmherrschaft des Prager Erzbischofs Dominik Duka hergestellt. Er verweist auf die Bedeutung, die gerade die Bibel für die Kunstgeschichte hatte.
„Es waren gerade die Bücher der Heiligen Schrift, die Bibel und vor allem die Evangeliare, die die gesamte Kunst der damaligen Zeit an sich gebunden haben: Ihre Illustrationen, Initialen oder auch die Verzierungen ihrer Umschläge waren Meisterwerke der Goldschmiedekunst und der bildenden Kunst.“