Forschen im Bergwerk der Geschichte: Leiter des Berliner Stasimuseums zu Besuch in Tschechien
Vor kurzem besuchte der Geschäftsführer des Stasimuseums in Berlin, Sven Behrend, die mährische Stadt Brno / Brünn. Während seines Aufenthalts nahm er an der Eröffnung einer Dauerausstellung im Institut von „Paměť národa“ (Memory of Nation) teil. Unter dem Titel „Stilles Heldentum“ dokumentiert sie das Schicksal von Menschen, die sich gegen die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und der Kommunisten stellten. Martina Schneibergová hat nach der Vernissage mit Sven Behrend gesprochen.
Herr Behrend, Sie haben eben gesagt, dass Sie sich im Rahmen Ihrer Arbeit im „Bergwerk“ von Informationen aus der Vergangenheit befinden. Wie ist das zu verstehen?
ZUM THEMA
„Ja, ich empfinde das so. Die Arbeit mit der Geschichte hat manchmal etwas von einem Bergwerk. Wenn Geschichte geschieht und gegenwärtig ist, ist sie noch frisch. Dann sinken die Ereignisse immer weiter ab, wie in einem Meer. Schließlich bilden sie Sedimente und Ablagerungen. Vielleicht passt dieses Bild auch nicht ganz. Aber am Ende braucht es in jedem Falle Menschen, die hingehen und die Dinge wieder hinaufholen – die Geschichten, Schicksale und historischen Details. Das ist die Arbeit der Historiker, aber auch die von Menschen, die Ausstellungen wie diese gestalten.“
Sie sind auf Einladung der Organisation Post Bellum nach Brünn gekommen. Diese betreut ein großes Zeitzeugenprojekt, das bereits seit mehreren Jahren läuft. Hatten Sie schon die Möglichkeit, sich die neue Dauerausstellung anzuschauen?
„Ja, ich wurde vorhin mit mehreren Gästen durch die Schau geführt. Dabei wurden einige Stationen vorgeführt – und ich war davon sehr beeindruckt. Technisch ist diese Ausstellung etwas Besonderes. Der Ansatz ist sehr mutig, denn nahezu alles, was es an technischen Möglichkeiten gibt, kommt hier zum Einsatz. Das hat mich fasziniert.“
Denken Sie, dass diese Art, Geschichte und Zeitzeugenaussagen zu präsentieren, auch Jugendliche ansprechen kann?
„Sie müssen verzeihen, ich bin mittlerweile 48 Jahre alt. Eigentlich weiß ich also gar nicht, wie junge Menschen denken. Wir glauben ja immer, dass es Technik ist, die Kinder und Jugendliche begeistert. Man sollte auf jeden Fall versuchen, junge Leute damit zu erreichen und dann sehen, wie die Schau ankommt. Das ist auch ein Zeichen einer vielfältigen Gesellschaft, dass wir Dinge einfach ausprobieren, ergebnisoffen agieren und uns vielleicht auch überraschen lassen. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Ausstellung gut auf junge Menschen wirkt, denn sie sind sehr vertraut mit der Arbeit mit Tablets. Hier kommt auf jeden Fall eine moderne Form der Mediennutzung zum Einsatz.“
Inwieweit interessieren sich denn junge Besucher Ihres Museums für die Thematik?
„Es ist natürlich so: Je jünger die Besucher sind, desto unfreiwilliger kommen sie zu uns. Ein 15-Jähriger etwa muss uns vielleicht besuchen, weil er gerade auf Klassenfahrt ist. Dann hält sich natürlich oft die Begeisterung in Grenzen. In einer Universitätsgruppe, die Geschichte studiert, ist der Anteil der Freiwilligen selbstverständlich wesentlich größer. Was sich aber grundlegend sagen lässt: Je unmittelbarer die Geschichten sind, je mehr man jungen Menschen die Möglichkeit gibt, Verbindungen zu ihrem eigenen Erleben zu ziehen – beispielsweise durch die Stadt, aus der sie herkommen, oder durch Erzählungen ihrer Großeltern – desto besser.“
„Wir erleben zum Beispiel, dass uns eine Schulklasse besucht, in der es vielleicht drei Zuwanderer gibt, meinetwegen aus Belarus, Syrien oder einem anderen Land. Und dann meldet sich manchmal der eine oder andere und sagt: ,So etwas kenne ich!‘ Natürlich stecken dahinter heute andere politische Zusammenhänge, aber die Mitschüler staunen darüber dann nicht schlecht. Sie sagen sich: ,Mensch, der hat etwas zu erzählen. Das ist nicht einfach nur der Flüchtling, den wir nicht verstehen.‘“
Inwiefern würden Sie sagen, dass Familie und Herkunft heute bei jungen Menschen eine Rolle spielen? Wenn die Großeltern etwa Dissidenten und Gegner des kommunistischen Regimes waren, erleben die Kinder vielleicht eine andere Erziehung, als wenn sie aus der Familie eines ehemaligen Parteibonzen stammen…
„Die Mehrheit der Jugendlichen kommt hier aus Familien, die im Kommunismus angepasst gelebt haben.“
„Absolut, das merkt man. Natürlich kann ich nur für Ostdeutschland sprechen. Die Mehrheit der Jugendlichen kommt hier aus Familien, die im Kommunismus angepasst gelebt haben. Meine eigene Familie zählte auch dazu. Ich selbst war ein angepasster Schüler und Mitglied der Freien Deutschen Jugend. Und trotzdem gibt es natürlich spannende Geschichten: der Großvater im sowjetischen Lager, jemand aus der Familie, der in den Westen geflohen ist, die Oma, die von der Stasi verhaftet wurde, nur weil sie die Mutter einer bestimmten Person war. Aber ich denke, was überwiegt in den Familien, sind die Erlebnisse der Anpassung. Und das kennen dann auch viele der Jugendlichen.“
„Man sollte vielleicht auch die Jugendlichen öfter nach ihren Erfahrungen fragen, nicht nur die Älteren.“
„Das Innenministerium der DDR hatte 113.000 Mitarbeiter, die Staatssicherheit fast 100.000 Mitarbeiter. Wenn man die Soldaten mitzählt, gab es im Verteidigungsministerium um die 200.000 Angestellten. Die Grenztruppe hatte 50.000 bis 60.000 Volkspolizisten. Und das sind die Großeltern und Urgroßeltern der heutigen Generation. Man sollte vielleicht auch die Jugendlichen öfter nach ihren Erfahrungen fragen, nicht nur die Älteren. Die jungen Menschen haben nämlich mehr zu erzählen, als sie selber mitunter denken.“
Ich habe den Eindruck, dass Menschen, die den Kommunismus nicht am eigenen Leib erfahren haben, oft eine naive Vorstellung darüber haben und dass ihnen Wissen fehlt. Was ist dahingehend Ihre Erfahrung aus dem Stasimuseum?
„Das gehört für mich bis heute zu den ungelösten Rätseln der Geschichte, woher die ungebrochene Attraktivität des Kommunismus unter sogenannten gebildeten Menschen kommt. Denn daran hat sich ja bis heute wenig geändert.“
„Ich weiß nicht, ob das Naiv-Sein nicht vielleicht zum Jungsein dazugehört. Das würde ich gar nicht so kritisch sehen. Schauen Sie sich die Widerstandsgeschichte in der Nazi-Zeit an, die war nicht selten auch naiv. Die Vorstellung, man könnte gegen dieses waffenstrotzende, brutale, deutsche Besatzungsregime mit einer Handgranate oder einer Maschinenpistole etwas ausrichten, ist natürlich an Naivität kaum zu überbieten. Aber manchmal ist es genau diese Unbefangenheit, die den Menschen über sich hinauswachsen lässt. In Deutschland gibt es auch Politiker wie den ehemaligen Minister Joschka Fischer, die früher Marxist, Leninist oder Maoist waren. Die Liste der Namen von Menschen lässt sich noch erweitern. Denn auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, oder etwa der ehemalige Minister Jürgen Trittin waren in ihrer Jugend Kommunisten, Marxisten und Leninisten. Das gehört für mich bis heute zu den ungelösten Rätseln der Geschichte, woher die ungebrochene Attraktivität des Kommunismus unter sogenannten gebildeten Menschen kommt. Denn daran hat sich ja bis heute wenig geändert.“
Stehen Sie mit dem Verein Post Bellum schon länger in Kontakt?
„Bereits vor einigen Jahren begann unsere Kooperation. Marie Janoušková und ihre Kollegen von der Organisation waren damals in Deutschland unterwegs, haben sich einige Museen angeschaut und auch unsere Einrichtung besucht. Sie trafen auch auf meinen Vorgänger im Amt, Jörg Drieselmann. Nun wurde an diesen Kontakt angeknüpft. Ich denke, in Zukunft sollten wir noch enger kooperieren.“
Verbunden
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