„Frauen im Feld“ - Dokumentarfilm über das Leben tschechischer Roma-Frauen
„Frauen im Feld“ heißt ein Dokumentarfilm von Markéta Nešlehová, der in diesem Jahr herausgekommen ist. Der Streifen zeigt drei Frauen, alle Angehörige der Roma-Minderheit, die ihren von traditionellen Gender-Klischees und sozialem Ausschluss geprägten Weg verlassen. Drei Ausnahmen, durch die man auch viel erfährt über die „Normalität“ in Tschechien, über fehlende Integration und die Wichtigkeit von Bildung.
„In sozial ausgegrenzten Lokalitäten fehlt oft der Hunger nach Bildung. Ich glaube, das haben die Frauen sehr gut klargemacht, dass es darauf ankommt, eben auch diesen Hunger nach Bildung zu wecken. Und ich finde es sehr beeindruckend, wie es diesen Frauen gelingt, in ihrer alltäglichen Arbeit in den sozial ausgegrenzten Lokalitäten Menschen zu motivieren, kleine Schritte weiterzugehen und vor allem auch Kinder einzubinden in das Schulprogramm sowie Eltern davon zu überzeugen, dass es ganz wichtig ist, ihre Kinder auf die Schule zu schicken.“
Kleine Schritte zu gehen, immer wieder an Grenzen zu stoßen und trotzdem nicht aufzugeben – das verkörpern die drei Protagonistinnen. Für alle ist Bildung ein ganz entscheidender Schlüssel zur Integration - und alle drei haben einen extremen Ehrgeiz und inneren Antrieb, einen anderen Weg zu gehen als den, der durch Familie, Tradition und soziales Umfeld vorgezeichnet wurde.„Eigentlich hätte ich zu Hause bleiben sollen, mich um mein Kind kümmern“, sagt Aurélie, 37, heute Sozialarbeiterin. „Aber das Kind wird langsam größer und ich will nicht immer nur am Herd stehen. Ich brauche eine Aufgabe. Und so hab ich entschieden: Wenn der Kleine in die erste Klasse kommt, dann fang ich an, etwas für mich zu tun.“
Etwas für sich tun – das bedeutete zunächst einen radikalen Strich zu ziehen unter ihr bisheriges Leben. Ohne die Trennung von ihrem Mann und den Bruch mit fest verankerten Gender-Klischees, sagt Aurélie, hätte sie die Ausbildung zur Sozialarbeiterin niemals geschafft. Jetzt will sie auch andere dazu motivieren:„Wenn ich als Sozialarbeiterin in den Roma-Ghettos unterwegs bin, dann denke ich: Wenn ich es geschafft habe, dann können sie es auch schaffen. Es braucht nur Zeit – manchmal brauchen die Menschen einen Spiegel – um klarer zu sehen. Und wenn man ihnen den Spiegel richtig hinhält, kann das ja auch motivieren. Ich glaube, dieser Film ist eine perfekte Motivation. Und Motivation ist sehr wichtig.“
Andere zu motivieren, Multiplikator zu sein – ein wichtiger Antrieb auch für die dritte Protagonistin, Lucie Horváthová. Sie ist in die Politik gegangen, zu den tschechischen Grünen, und kandidierte bei den vergangenen Parlamentswahlen als erste Roma-Frau ganz oben auf der Kandidatenliste (Kreis Pardubice).„Roma-Frauen haben ein enormes Potenzial – sie können der Gesellschaft unheimlich viel anbieten: nicht nur den übrigen Roma, sondern auch der Mehrheitsgesellschaft.“
Vorausgesetzt, die Mehrheitsgesellschaft ist offen dafür. Noch sind die Tschechen Lichtjahre entfernt von einer multikulturellen Gesellschaft. Alle Diskussionen um Roma-Integration verlaufen daher bisher in einer Einbahnstraße, beobachtet Eva van de Rakt vom Prager Büro der Heinrich-Böll-Stiftung:
„Wenn wir zum Beispiel über das Thema inklusive Bildung sprechen, dann ist es hier sehr auffallend, finde ich, dass immer von den Vorteilen der inklusiven Bildung für die Roma-Minderheit gesprochen wird. Es wird überhaupt nicht darüber gesprochen oder argumentiert, dass inklusive Bildung ja auch für die Mehrheitsbevölkerung eine Bereicherung ist. Und da, denke ich, muss noch sehr sehr viel geschehen, weil Erfolge meines Erachtens erst möglich sind, wenn die Mehrheitsbevölkerung versteht, dass es auch in ihrem Interesse ist, dass man die Roma-Mitbürgerinnen und -Mitbürger integriert.“ Die wenigen Schritte, die auf politischer Ebene bislang dazu unternommen wurden, seien Augenwischerei, meint Aurélie:„Die Politiker integrieren uns Roma unheimlich gerne – aber nur auf dem Papier. Sie interessieren sich nur für unsere Probleme, wenn es für sie opportun ist, ganz eigennützig. Und wenn es das nicht ist, dann sehen sie unsere Bedürfnisse gar nicht. Deshalb kommt die Integration nicht voran.“
Besonders augenfällig: die Diskussion um so genannte inklusive Bildung – das heißt um ein Bildungssystem, das Roma-Kinder nicht mehr kollektiv auf Sonderschulen abschiebt, sondern sie in das tschechische Schulwesen integriert. Inklusive Bildung sollte das Flagschiff des tschechischen Vorsitzes der europäischen Roma-Dekade sein. Ende Juni endet der tschechische Vorsitz, passiert ist bislang de facto nichts. Noch immer geht die überwiegende Mehrheit der Roma-Schüler – laut jüngsten Angaben der von der Regierung geförderten Agentur für Roma-Angelegenheiten etwa 25.000 – auf Sonderschulen. Fast noch schlimmer ist, dass viele Roma-Vertreter ihre Beteiligung an dem so genannten Aktionsplan für inklusive Bildung zurückgezogen haben – aus Frust darüber, dass unter dem neuen Schulminister Josef Dobeš alle Ansätze seines Vorgängers Ondřej Liška fallengelassen wurden.
Neben dem frustrierenden Gefühl, dass sich seit 1989 eigentlich kaum etwas verändert hat auf dem Weg der Roma-Integration, stimmt der Film aber auch optimistisch: Es gibt sie, die Ausnahmen, die Vorbilder, die diesen Weg ebnen helfen. Aurélie:„Manchmal ist die Idee wichtiger als alles andere – es braucht nur Zeit und mehr Leute, die das als ihre Mission sehen.“
Dieser Beitrag wurde am 2. Juni 2011 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.