Freigabe der Preise: Die Transformation der Wirtschaft begann mit einem Schock

Foto: Grant Cochrane, FreeDigitalPhotos.net

Vor 25 Jahren startete in der Tschechoslowakei die Transformation der Wirtschaft. Damit wurde absolutes Neuland beschritten, denn für den Übergang von einer zentral gelenkten Planwirtschaft zur Marktwirtschaft gab es weder Beispiele noch theoretische Anleitungen. Der erste Schritt erfolgte zu Beginn des Jahres 1991 mit der schockartigen Freigabe der Preise – die Reformer um den damaligen Finanzminister, den radikal marktliberalen Václav Klaus, hatten dies so gewollt. War dies seinerzeit alternativlos? Was ist im Transformationsprozess gelungen und was nicht? Dazu ein Interview mit Petr Chalupecký, Wirtschaftshistoriker an der Prager Ökonomischen Hochschule.

Petr Chalupecký  (Foto: Archiv der Prager Ökonomischen Hochschule)
Herr Chalupecký, mit dem Beginn des Jahres 1991 wurden in der damaligen Tschechoslowakei auf einen Schlag die Preise freigegeben. Wie waren aber im Rahmen des administrativen Prozesses zuvor die Preise bestimmt worden, also anhand welcher Daten?

„Im administrativen Planungsprozess hing dies von den Präferenzen des zuständigen Planungszentrums ab. Es hat festgelegt, in welchem Preisrahmen sich die Güter des Grundbedarfs und des langfristigen Konsums bewegen sollten. Die Preise der erstgenannten versuchte man niedrig zu halten, das betraf vor allem Lebensmittel, Mieten und Energie. Zugleich wurde das Preisverhältnis bestimmt, in der Tschechoslowakei lag es gerade umgekehrt zu Westeuropa. Die Gebrauchsgüter waren deutlich teurer als die Verbrauchsgüter, während dort die Mieten und Preise für Brennstoffe höher lagen als für zum Beispiel elektronische Geräte und teilweise auch Autos. Aber es gab noch eine grundlegende Sache: Der Produktionskreislauf und der Verbrauchskreislauf waren hierzulande voneinander getrennt, und zwar durch die sogenannte Umsatzsteuer.“

„Angebot und Nachfrage waren im Ungleichgewicht.“

Welche Schwierigkeiten oder Fehler hatte diese Methode?

„Zum einen war das Angebot von der Nachfrage abgeschnitten, dadurch befanden sich beide Größen in einem ständigen Ungleichgewicht. Allerdings gelang es in der Tschechoslowakei, dies in einem bestimmten Rahmen zu halten, so dass es nicht zu einer Hyperinflation kam. Auf der anderen Seite herrschte andauernd ein Mangel an Gebrauchsgütern, und die Qualität der Produkte sank immer weiter, weil ein Angebotsmarkt bestand, bei dem der Hersteller nicht um den Kunden kämpfen musste. Der Kunde kaufte dann das, was gerade auf dem Markt war – entweder weil er es früher einmal gebraucht hatte oder weil er befürchtete, dass er es in Zukunft nicht mehr bekommen würde. Zugleich stapelte sich jede Menge unverkaufter Ware, für die kein Interesse bestand. Diese Disproportion war für alle Planwirtschaften typisch, einschließlich der tschechoslowakischen.“

Valtr Komárek  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die abrupte Freigabe betraf 86 Prozent der Preise. Warum wurde sich für diese Variante entschieden? Die Ökonomen Komárek und Šik, aber auch der spätere Sozialdemokraten-Chef Zeman waren zum Beispiel für eine schrittweise Freigabe gewesen?

„Es gab durchaus eine Debatte über den Weg. Besonders Valtr Komárek befürchtete soziale Erschütterungen. Aber letztlich überwog in den konkurrierenden Reformteams sowohl auf föderaler Ebene als auch auf Ebene des tschechischen Staatsteils die Überzeugung, dass eine einmalige Freigabe effektiver sein würde. Denn man glaubte, dass sich dadurch Produktions- und Verbrauchskreislauf schneller verbinden und der Preisschock den Überhang an Kaufkraft beseitigt. Es lässt sich allerdings darüber streiten, inwieweit ein Überhang bestanden hat. Zugleich herrschte die Befürchtung, dass der weitere Transformationsprozess bei einer schrittweisen Preisfreigabe abgebremst würde. Dies geschah beispielsweise in Ungarn; dort drückte die Erwartung, dass weitere Preise freigegeben werden, die Inflation nach oben. In der Tschechoslowakei wurde davon ausgegangen, dass die Menschen hierzulande nach der schockartigen Freigabe keine weitere Preiserhöhung mehr erwarteten und der Inflationsdruck geringer sei. Das war wohl einer der Hauptgründe, warum diese Idee sich durchgesetzt hat.“

Václav Klaus  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
War der Schritt nicht dennoch ein Risiko?

„Ja sicher, man bewegte sich auf unbekanntem Terrain. Es wurde beispielsweise darüber gestritten, wie stark der Kaufkraftüberhang ist. Die Experten auf Seiten der tschechischen Regierung und viele Kritiker der Reformen glaubten, dass er so groß gar nicht sei. Aber gerade deswegen waren sie wiederum bereit, der schockartigen Freigabe zuzustimmen, auch wenn das Team um Finanzminister Václav Klaus von der Vorstellung ausging, dass der Kaufkraftüberhang viel größer sei und so schnell wie möglich abgebaut werden müsse. Vielleicht führte auch die Vorstellung eines geringeren Kaufkraftüberhangs gerade zu dem Glauben an einen geringeren Anstieg der Inflation.“

Ich weiß nicht, ob Sie alle Aspekte genannt haben: Aber warum entstand damals keine Hyperinflation?

„Vom Fundament her drohte keine Hyperinflation.“

„Die Frage ist, ob wirklich eine Hyperinflation gedroht hat. Denn ein großer Teil des Preisanstiegs von rund 60 Prozent im Jahr 1991 ging auf die Abwertung der Krone zurück und auf den Übergang zu Weltmarktpreisen im Güterhandel mit der Sowjetunion. Dies verteuerte die Rohstoffe und hob den Preisspiegel. Auf der anderen Seite befand sich die tschechoslowakische Wirtschaft zu Beginn des Transformationsprozesses in einem relativ guten Gleichgewicht – anders als die Volkswirtschaften in der ehemaligen Sowjetunion, in Jugoslawien und auch in gewisser Weise in Polen, wo die Inflation bereits in den 1980er Jahren eingesetzt hatte. Vom Fundament her drohte also kein Hyperinflationsdruck.“

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Welche Bedeutung hatte die Freigabe der Preise im gesamten Transformationsprozess der Wirtschaft?

„Es handelte sich um einen kurzfristigen Schock, der unerlässlich war für die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage. Auf gewisse Weise stabilisierte dies für längere Zeit die makroökonomische Lage, weil es den Kaufkraftüberschuss beseitigte. Entscheidend waren aber die weiteren Schritte, denn die Freigabe der Preise konnte noch keinen Hinweis geben auf einen Erfolg oder Misserfolg der wirtschaftlichen Transformation. Entscheidend waren dann die Entstaatlichung des Eigentums und die Politik im unternehmerischen Sektor, also die mikroökonomischen Maßnahmen. Sie haben die Strategie langfristiger beeinflusst. Und von Bedeutung waren auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sie hatten mehr Gewicht als man dies damals geglaubt hatte.“

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Welche Etappe der wirtschaftlichen Transformation würden Sie rückblickend als die schwierigste bezeichnen? Gibt es Etappen, die noch bis heute nachwirken?

„Am schwierigsten erwies sich die Transformation des Eigentums, denn da kam es zu hohen Verlusten. Das bezieht sich sowohl auf die Umverteilung – die einen gewannen, die anderen verloren –, als auch auf das Staatsbudget. Darüber wurde auch am meisten gestritten. Der andere Bereich waren die Außenhandelsbeziehungen. Die Frage ist, ob es notwendig war, die Krone so stark abzuwerten, wie dies geschehen ist. Das wirkt bis heute nach, beispielsweise bei den Löhnen: Sie liegen hierzulande immer noch nur bei einem Drittel von denen in Deutschland und Österreich. Einige sehen im Kronenkurs auch die Gründe dafür, dass ein großer Teil des Eigentums weit unter dem wahren Preis ins Ausland verkauft wurde. Die Eigentumstransformation hat zudem am ehesten langfristige Auswirkungen gehabt, im Sinne der sozialen Gliederung der Gesellschaft heute und in der Zukunft. Das war, denke ich, entscheidend.“

Das Problem der Korruption in Tschechien, hängt das Ihrer Meinung nach auch mit der Art des Transformationsprozesses zusammen?

„Korruption kann volkswirtschaftlichen Schaden anrichten, muss aber nicht.“

„Das lässt sich davon nicht trennen, wobei die Gründe aber noch tiefer liegen und weit in kommunistische Zeiten zurückreichen. Die Tschechische Republik ist ein kleines Land, und das galt auch für die Tschechoslowakei. Hierzulande hielt eine relativ kleine Kaste die Schlüsselpositionen besetzt, man kannte sich untereinander. Im kommunistischen System waren die Bekanntschaften entscheidend, die man in der vertikalen Struktur des Planungsprozesses hatte. Aber auch im Einzelhandel, in der Mangelwirtschaft war es normal, dass man beispielsweise beim Gang zum Arzt bestochen hat. In gewissem Maß ist also die Korruption ein Erbe aus kommunistischer Zeit. Aber sie geht genauso auf die Zeit danach zurück, als die Schleusen geöffnet wurden und der Hunger auf Eigentum groß war. Zudem versuchten viele Menschen mithilfe ihres Netzes an Kontakten die eigene soziale Position zu halten. Und das Rechtssystem war intransparent, der Wandel im Rechtsverständnis vollzieht sich nur sehr langsam. Anstatt die eigenen Rechte einzufordern, hat man also bestochen. Fraglich ist, ob es bessere Wege gegeben hätte, mit denen man langfristig die Korruption hätte einschränken können. Außerdem kann Bestechung volkswirtschaftlichen Schaden anrichten, muss aber nicht. Wenn man jemandem Geld gibt, dann nutzt er es meist auch für den Konsum, falls er es nicht etwa in die Schweiz bringt. Unbestritten sind aber die Folgen für die Moral und die sozialen Folgen. Denn durch Korruption wird die soziale Stellung beeinflusst, und dadurch entstehen Spannungen in der Gesellschaft. Diese negativen Folgen können nicht wegdiskutiert werden. Dass die Korruption in gewisser Weise ein Ergebnis des Transformationsprozesses ist, kann man also nicht bestreiten. Im Kampf dagegen erwartet uns noch ein langer Weg.“