Konjunkturumfrage der DTIHK: Schulausbildung in Tschechien hinkt Flexibilität der Firmen hinterher
Die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer (DTIHK) hat in der vergangenen Woche die Ergebnisse ihrer diesjährigen Konjunkturumfrage vorgestellt. Sie besagen, dass das hiesige Schul- und Ausbildungssystem immer weniger den Anforderungen der Firmen an ihre Mitarbeiter entspricht. Die Krisenlage der letzten drei Jahre zwingt die in Tschechien tätigen Unternehmen nicht nur zu einer zügigen Umstellung auf digitalisierte und nachhaltige Arbeitsprozesse. Erhöhte Lohn- und Energiekosten haben zudem eine Zurückhaltung bei Investitionen zur Folge.
Schon seit 1999 befragt die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer ihre Mitgliedsunternehmen jährlich nach ihren Konjunkturaussichten für das laufende Jahr. So entsteht eine aktuelle Einschätzung der Konkurrenzfähigkeit Tschechiens aus Sicht deutscher Investoren. Nur im vergangenen Jahr wurde die Studie nicht erstellt. Die sprunghaften Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die europäische Wirtschaft hätten keine aussagekräftige Analyse zugelassen, begründet Christian Rühmkorf, Kommunikationsleiter der DTIHK, diese Pause.
An der diesjährigen Umfrage, die vom 13. Februar bis 17. März durchgeführt wurde, haben sich 137 Firmen mit Hauptsitz in Deutschland oder überwiegend deutschem Investorenanteil beteiligt. Im Gespräch mit Radio Prag International fasste Rühmkorf die Hauptergebnisse zusammen. Demnach zeigen sich die Unternehmen aktuell wenig optimistisch…
„Nur 19 Prozent der Firmen rechnen mit einer Verbesserung der Wirtschaftsaussichten, insgesamt 38 Prozent aber mit einer Verschlechterung. Dies ergibt ein Negativsaldo zwischen ‚besser‘ und ‚schlechter‘ von minus 19 Prozent. Damit sind wir fast wieder beim Stand von 2013, als wir uns gerade wie Phoenix aus der Asche aus dem Wirtschaftstal emporgehoben haben.“
Auch bei den eigenen Geschäftsaussichten, die die Firmen üblicherweise etwas optimistischer einschätzen, sei ein eher negativer Trend zu verzeichnen, so Rühmkorf weiter. Den Daten zufolge rechnen nur noch 36 Prozent der Befragten mit einer Verbesserung. Das sind elf Prozent weniger als in der vorangegangenen Studie von 2021. Und um elf Prozent stieg auch der Anteil jener an, die eine Verschlechterung für das eigene Betriebsergebnis in diesem Jahr erwarten. Derart äußerte sich diesmal knapp ein Viertel der Unternehmer.
Es herrscht Stagnation
Weiter erläutert Rühmkorf:
„Ein weiterer wichtiger Indikator für die künftigen Entwicklungen sind vor allem die geplanten Investitionen. Auch hier zeigt sich eher Zurückhaltung, und das sehen wir als echtes Problem an. Ein Drittel der Unternehmen will seine Investitionen zwar steigern, aber knapp ein Viertel geht von sinkenden Investitionen aus. Das ist der Höchstwert der letzten fünf Jahre. Im Vergleich zu den Dienstleistungen ist das verarbeitende Gewerbe im Übrigen stark vertreten bei diesen eher pessimistischen Aussichten.“
Diese Erkenntnisse machen es der DTIHK zu ihrem Jubiläum nicht gerade leicht. Die größte bilaterale Kammer Tschechiens feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen und hat sich dazu das Motto „30 Jahre #MehrWert“ gegeben. Hana Součková ist Managing Director bei SAP Tschechien und wurde bei der Mitgliederversammlung vergangene Woche neu in Vorstand der DTIHK gewählt. Sie kommentiert die aktuelle Konjunkturlage:
„Die Studie hat bestätigt, dass die Folgen der Krise für die tschechische Wirtschaft wirklich ernsthaft sind. Wir müssen mit einem gewissen Rückgang arbeiten, dessen Ursachen für uns kaum beeinflussbar sind. Damit meine ich etwa die Steigerung der Energiepreise, die sich auf die gesamte Zulieferer- und Abnehmerkette auswirken. Dies hat dann Auswirkungen darauf, welche Haltung die Unternehmen zu Investitionen und zur Weiterentwicklung an sich einnehmen. Die zweite wichtige Erkenntnis, die sich schon seit ein paar Jahren zeigt und jetzt aber in Kombination mit der wirtschaftlichen Lage viel gezielter wirkt, ist der Mangel an Arbeitskräften.“
Zwar herrsche in Tschechien eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit und fast jeder Absolvent bekomme gleich nach Ausbildungsabschluss einen Job, wirft Součková ein. Ihnen fehle aber oft die nötige Spezialisierung. Auch Rühmkorf betont, dass in den Unternehmen jetzt grundlegende Transformationen anstünden – etwa, um Klimaneutralität zu erreichen:
„Es gibt eine sehr herausfordernde Transformation im Automobilsektor, weil ein Antrieb komplett ausgetauscht wird. Dies stellt eine ganze Industrie auf den Kopf. Hunderte von Zulieferern, die sich bisher mit Verbrennungsmotoren befasst haben, werden sich jetzt umstellen und neue Geschäftsmodelle für die Elektromobilität entwickeln müssen. Jeder kann sich vorstellen, dass dies mehr Investitionen braucht und eine wahnsinnige Anstrengung erfordert.“
Digitalisierung als wichtigstes Thema
Hinzu komme das zentrale Thema der Digitalisierung. Diese sei, so der Kommunikationschef der DTIHK, im kommerziellen Sektor Tschechiens weit vorangeschritten. Auf diese Weise hätten die Firmen in den letzten Jahren nämlich den Fachkräftemangel kompensiert…
„Was den öffentlichen Sektor betrifft, so hat etwa die Verwaltung vor zwei Jahren noch sehr schlechte Noten bekommen, weil die Digitalisierung noch sehr hinterherhinkte. Ich würde nicht behaupten, dass Deutschland da viel besser dasteht. Aber aus Sicht der Unternehmen ist gerade die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung eine wichtige Angelegenheit.“
Dies hat unlängst auch das Ranking der attraktivsten Investitionsländer gezeigt, das im Rahmen der Umfrage alljährlich erstellt wird. Derzeit liegt Tschechien auf dem dritten Platz, hinter Slowenien an erster und Polen an zweiter Stelle. Bis 2018 habe Tschechien im Wechsel mit Polen die Skala zumeist noch angeführt, blickt Rühmkorf zurück:
„2019 ist dann plötzlich Estland nach vorne geschossen. Es lag ganz klar auf der Hand, dass der Stand der Digitalisierung in Estland einfach Sex Appeal hatte. Die öffentliche Verwaltung, das Privatleben und auch die Unternehmen sind dort komplett digitalisiert. Zwar ist der Industriesektor dort längst nicht so groß. Aber man wusste, Digitalisierung ist gerade das aktuelle Thema, und da hatte ein Land wie Estland großes Potential, schnell attraktiv zu werden.“
Dass Estland in diesem Jahr auf Platz vier abgesackt ist, sei mit der unmittelbaren Nähe zu Russland und dessen kriegerischen Aktivitäten zu erklären, fügt Rühmkorf an. Dies bedeute für Unternehmen eine zu große Planungsunsicherheit.
Bei den Themen Digitalisierung und Fachkräftemangel spiele auch ein weiterer wichtiger Punkt der Konjunkturstudie mit hinein, schildert Rühmkorf weiter:
„So richtig hapert es bei der Modernisierung des Berufsbildungssystems, in dem immer noch eine starke Verschulung herrscht. Bei den jetzigen technologischen Veränderungen mit Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Elektromobilität kann das Ausbildungssystem gar nicht so schnell reagieren auf das, was in den Unternehmen gerade passiert. Deswegen kommt unsere Kammer immer wieder auf das duale System zu sprechen. Dies muss aber in Tschechien natürlich nicht so genannt oder eins zu eins so umgesetzt werden.“
Es müsse hierzulande jedoch dringend eine Verzahnung zwischen schulischer Theorie und Praxiserfahrung in Firmen geben, fährt der Kammervertreter fort. Dadurch würde die Flexibilität der Auszubildenden erhöht, und ein solches Lernen sei im Übrigen auch viel interessanter, als nur in der Schulbank zu sitzen. Rühmkorf merkt an, dass dies keine neue oder überraschende Erkenntnis sei. Immer noch würde die Lehrpraxis in den Schulen, die weiterhin zu einem großen Teil aus Frontalunterricht besteht, die Kinder kaum dazu animieren, Entscheidungen aufgrund eigener Abwägungen zu treffen. Auch Hana Součková sieht hier großen Nachholbedarf:
„Im Bildungsprofil der Grund-, weiterführenden und Hochschulen reiht sich Tschechien zwar bei den professionellen Kenntnissen an der Spitze ein. Das heißt, unsere Absolventen meistern ihre Themen gut. Bei den Soft Skills aber, die heute ausschlaggebend sind für einen Erfolg – und das meint nicht nur die persönliche Karriere, sondern auch den Erfolg des gesamten Unternehmens –, hinkt Tschechien ein wenig hinterher. Darum sollten wir überlegen, wie die Lehrpläne entsprechend angepasst werden können.“
Zu den angesprochenen Soft Skills gehören etwa Kommunikationsfähigkeiten und Teamwork. Solche Talente bewerten die Befragten der DTIHK-Umfrage mit 63 Prozent als die wichtigste Qualifizierung ihrer Arbeitnehmer. Laut Součková sind diese Qualitäten auch deshalb mehr denn je gefragt, weil als eine Folge der Corona-Krise die Hierarchien in Unternehmen abgeflacht wurden:
„Durch das Wirtschaftswachstum herrschte lange Zeit eine relative Stabilität, und der mitteleuropäische Markt erlebte keine großen dynamischen Veränderungen. Dadurch konnten die Unternehmen vor der Krise für ihre Planungen und Entscheidungen von ihren zurückliegenden Erfahrungen ausgehen. Einige unserer Kunden sprachen sogar davon, dass es ihnen im Prinzip reichte, nur drei Zahlen im Blick zu behalten. Wenn eine Zahl anfing, sich in eine andere Richtung zu bewegen, wussten sie genau, was das bedeutete und wie sie reagieren mussten. Corona hat all diese Sicherheiten aber zum Einsturz gebracht. Die Firmen können nun nicht wie bisher weitermachen, denn die lange geltenden Erfahrungen führen heute nicht mehr zu den richtigen Entscheidungen.“
Wurden wichtige Konjunkturentscheidungen zuvor eher zentral gefällt, würden nun auch die unteren Ebenen eines Unternehmens mehr einbezogen. Dies erfordere Risikoanalysen und Entscheidungsfähigkeit in allen Abteilungen, ergänzt Součková. Deswegen müssten die Lehrpläne im Bildungssystem mehr auf die Anforderungen des Marktes ausgerichtet werden.
Lobbyarbeit bei den zuständigen Ministerien ist eines der Tätigkeitsfelder der DTIHK, die durch die aktuelle Studie neuen Zündstoff bekommen. Weitere konkrete Schritte werde sich die Kammer nun überlegen, kündigt Kommunikationsleiter Rühmkorf an:
„Es gibt die Idee, dass wir eine Art Cluster bilden für den Kernbereich, also für die Automobilbranche, um zu sehen, wie diese Herausforderungen in der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit zu meistern sind. Wie bewerkstelligen wir es, dass der ganze Industriesektor nicht anfängt hinterherzuhinken? Das hängt ganz stark mit Bildungsfragen zusammen, aber auch damit, was die Europäische Kommission macht – ob es also weitere Regulierungen gibt, wie etwa bei der Euro-7-Norm oder in Sachen Nachhaltigkeit und Green Deal. Die Firmen wollen ja CO2-neutral werden. Aber man darf die große Frage nicht ausblenden, wie konkurrenzfähig die europäische Wirtschaft bleibt.“
Dies werde zu einer noch größeren Herausforderung angesichts der ökonomischen Liberalisierung, die derzeit in den USA stattfinde, fügt der Experte hinzu. Das Wichtigste sei deshalb eine hohe Flexibilität der Unternehmen sowie ihrer Mitarbeiter in Tschechien. Angesichts dessen werde aber besagter Widerspruch immer dramatischer: In den Unternehmen ziehe das Tempo an, während das Ausbildungssystem auf der Stelle stehe, so Rühmkorf. Darum laute die Mahnung der DTIHK:
„Wenn das nicht auf Vordermann gebracht wird, dann sehen wir und auch unsere Mitgliedsunternehmen nicht unbedingt schwarz, aber doch sehr grau für die künftigen Herausforderungen, die das Land angehen muss.“
Die Konjunkturstudie 2023 der DTIHK zum Herunterladen: https://tschechien.ahk.de/filehub/deliverFile/23720d05-ed2a-4d9a-9152-a0901174d793/2179204/Ergebnisse%20der%20DTIHK-Konjunkturumfrage_2023_DE_2179204.pdf