Fünf Jahre EU-Osterweiterung: Sind die Tschechen glücklich mit Europa?
2004 trat Tschechien der Europäischen Union bei – nur fünf Jahre später ist das Land sogar für ein halbes Jahr Vorsitzender der EU. Das ist eine steile Karriere für die Tschechen, denen ja das Etikett der Europa-Skeptiker anhängt. Was hat denn aber die Erweiterung für Europa und die tschechische Gesellschaft gebracht? Antworten aus der Politik und von den Bürgern.
„Ja, ich bin sehr froh. Ich habe damals die Beitrittsfeier auf dem Altstädter Ring mitorganisiert. Ich bin wirklich sehr froh über den Beitritt, denn die Probleme hierzulande davor lassen sich kaum beschreiben.“
Doch man muss nicht deutschstämmig sein, um die EU-Mitgliedschaft zu loben. Ein älteres Paar fast unisono:
„Wir sind froh, wir sind ganz und gar nicht dagegen. Für Tschechien ist das besser.“ Punkt und keine weiteren Erklärungen.
Solche Aussagen müssen wie Musik klingen in den Ohren all jener, die am Montag im Prager Kongresszentrum waren. Dort, bei der Konferenz „Fünf Jahre danach“, lieferten hochrangige Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler viel Stoff für eine Partylaune wie in der Nacht auf den 1. Mai 2004. Die Erweiterung der EU in zwei Schritten von 15 auf 27 Mitgliedsländer sei eine Erfolgsgeschichte, hieß es. Heute leben fast eine halbe Milliarde Menschen in dem vereinigten Europa. Eine unglaubliche Wirtschaftskraft, wie EU-Wirtschaftskommissar Joaquín Almunía sagte:„Wir sind nun die größte wirtschaftlich integrierte Region in der Welt, das ist das größte Kapital für uns alle. Zusammen schaffen wir mehr als 30 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts und 17 Prozent des Welthandels, ohne den EU-Binnenhandel hinzuzurechnen.“
Ein gewaltiger Wirtschaftsraum wurde also mit der EU-Osterweiterung geschaffen. Dies sei gerade den neuen Mitgliedsstaaten zugute gekommen, so Almunia. Der Wirtschaftskommissar rechnet vor, wie das Bruttosozialprodukt in den zwölf Staaten gewachsen ist:
„Die Erweiterung hat das Wachstum in den Beitrittsländern befeuert. Deren Wirtschaft ist seitdem im Schnitt um 5,5 Prozent jährlich gewachsen. In den fünf Jahren vor dem Beitritt waren es noch 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum gewesen.“
Mehr Wohlstand also in den Ländern, deren Wirtschaft unmittelbar nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor 20 Jahren erstmal eine tiefe Talsohle durchschreiten musste. Den positiven Zahlen entsprechen auch die Ergebnisse von Umfragen. Demnach sind mehr als vier Fünftel der Tschechen davon überzeugt, dass ihr Land vom Beitritt zur Europäischen Union profitiert hat. Und mehr als zwei Drittel glauben, dass andersherum die Erweiterung auch die EU gestärkt hat. Angesichts der Europa-Skepsis ihres Staatspräsidenten Václav Klaus mag man dies kaum glauben. Dabei sehen die Tschechen die EU-Erweiterung sogar deutlich positiver als der durchschnittliche EU-Bürger.
Merkt man das auch auf den Straßen von Prag? Was hat denn den Passanten in der tschechischen Hauptstadt der EU-Beitritt gebracht? Eine Grundschul-Lehrerin mit ihren beiden Kindern an der Hand:
„Praktisch gesehen eigentlich nur die Öffnung der Grenzen.“
Und das ist alles? Halt - da fällt ihr noch etwas ein:„Es gibt noch einen wirtschaftlichen Aspekt. Ich komme nun auch leichter an Fördergelder heran – auf niedrigem Niveau für kleine Projekte.“
Ein junger Mann, den ich anspreche, weiß nicht so recht und bemerkt allgemein:
„Einiges hat sich gebessert, an anderem muss aber noch weiter gearbeitet werden.“
Ich frage weiter und treffe auf eine junge Slowakin. Was kann sie dem EU-Beitritt abgewinnen?
„Ich glaube, der Beitritt hat vor allem den jungen Leuten Vorteile verschafft. Einige administrative Hürden sind weggefallen. Es ist einfacher geworden ins Ausland zu fahren und zu arbeiten oder zu studieren. Gerade im tägliche Leben ist manches leichter geworden.“
Stichwort Arbeitsmarkt. Ein Mann aus Ostböhmen glaubt, dass die Europäische Union hierbei nicht nur positiven Einfluss hat. Im Gegenteil. In seiner Heimatgegend hätten die Auflagen der EU dazu geführt, dass vor wenigen Jahren Zuckerfabriken geschlossen werden mussten:„Ich bin aus der Nähe von Pardubice, bei uns stand eine große Zuckerfabrik, die sie nun schließen musste. Einige Leute haben ihre Arbeit verloren, und die Bauern liefern die Zuckerrüben mittlerweile woanders hin.“
Glaubt man jedoch den Zahlen aus Brüssel, dann sind unter dem Strich durch die EU mehr Leute zu Arbeit gekommen, als arbeitslos geworden. Noch einmal EU-Kommissar Almunía:
„Der EU-Beitritt hat eine zentrale Rolle beim Abbau der hohen Arbeitslosenzahlen gespielt. Drei Millionen neue Jobs wurden in den zwölf neuen Ländern zwischen 2003 und 2007 geschaffen. Die Arbeitslosenquote wurde auf eine Höhe wie im Rest der EU gesenkt.“
Mehr Beschäftigung durch Brüssel, das klingt schön. Ob das aber auch nach der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise noch Bestand haben wird, das kann derzeit niemand voraussagen.