„Future frames“ in Karlsbad: Tradition der Brautentführung im Kurzfilm von Sophia Mocorrea

Hotel Thermal

Das Internationale Filmfestival in Karlovy Vary fand in der vergangenen Woche zum 57. Mal statt. Mit der Sektion „Future Frames“ will man junge europäische Regisseure unterstützen. Jedes Jahr wählt das Programmteam zehn Studenten und Absolventen von Filmhochschulen Europas aus, die die Gelegenheit bekommen, ihre kurzen und mittellangen Filme zu präsentieren. Für sie ergibt sich so auch die Chance, Kontakte für nächste, größere Kinoprojekte zu knüpfen. Unter den zehn war dieses Jahr auch Sophia Mocorrea, frischgebackene Absolventin der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf.

Sophia, Sie sind als eine Teilnehmerin an der Sektion „Future Frames“ zum Filmfestival nach Karlsbad gekommen. Wovon erzählt Ihr Film, den Sie hier vorstellen?

„Ich bin sehr froh, hier zu sein, es ist hier wirklich schön. Und mein erstes Mal in Tschechien überhaupt. Der Film heißt ‚The Kidnapping of the Bride‘. Es ist ein Film über ein junges Liebespaar, das heiratet und überrascht wird von der Tradition der Brautentführung. Das ist eine Tradition, die in Deutschland in den dörflichen Regionen noch stattfindet. Die Braut wird entführt, und der Bräutigam muss sie suchen und finden. Es geht darum, wie diese Beziehung dadurch ein bisschen zu Bruch geht oder hinterfragt wird. Sie denken, dass sie eine neue Form des Zusammenseins erfunden und sich von den Konventionen und den Erwartungen ihrer Eltern entfernt haben. Durch die Hochzeit und diese Tradition wird das aber in Frage gestellt. Darum geht’s in dem Film.“

Sophia Mocorrea | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Also dieser Brauch, der eigentlich als Witz gemeint ist, wird zu einer ernsteren Sache…

„Genau, in dem Film wird es zu einer sehr ernsten Sache. Man muss sagen, dass diese Tradition wirklich unhinterfragt reproduziert wird. Dabei gibt es tatsächlich noch Länder, in denen es echte Brautentführungen gibt. Wir aber machen bei uns ein Spiel in einer Hochzeit daraus, was ich interessant und sehr schwierig finde. In dem Film wird die Braut auf eine Polizeiwache entführt und dort verhört. Das soll alles nur ein Spaß sein, aber es wird ernster, weil die Fragen irgendwie pikanter und schwieriger werden. Sie kommt aus Argentinien, er kommt aus Deutschland. Dann fängt es an, darum zu gehen, dass sie vielleicht ja nur für den Pass heiraten will. Sie machen Witze, die immer ernster werden, und das macht die Tradition noch schwieriger und bringt sie in eine viel ausgeliefertere Position.“

'The Kidnapping of the Bride' | Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary

Woher kam die Inspiration für die Geschichte?

„Ich schreibe gerade einen langen Film zu diesem Konzept. Der Kurzfilm ist eine Art ‚Proof of Concept‘. Ich habe dafür über meinen Hintergrund recherchiert, meine Mutter kommt aus Argentinien, mein Vater aus Deutschland, und ich bin zwischen den beiden Kulturen großgeworden. Als ich das Hochzeitsvideo meiner Eltern gesehen habe, habe ich gesehen, dass diese Tradition stattgefunden hat und meine Mutter tatsächlich auf eine Polizeiwache entführt und dort verhört wurde. Ich war total schockiert, und gleichzeitig handelte es sich um interessantes Videomaterial. Ich musste unbedingt damit etwas machen, und so kam mir die Idee für diese Geschichte. Ich habe recherchiert und festgestellt, dass es die Tradition immer noch gibt. Es war mir wichtig, die Geschichte heute zu erzählen und nicht vor 30 Jahren, um zu zeigen, dass wir immer noch gefangen sind in diesen Strukturen.“

Die Identitätsfrage ein großes Thema für mich

Ihr Film basiert auf Ihrer eigenen Familiengeschichte. Sie kommen aus einer argentinisch-deutschen Familie. Empfinden Sie das als Vorteil? Oder gibt es gewisse Barrieren, auf die Sie stoßen?

„Im Großen und Ganzen würde ich auf jeden Fall sagen, es ist ein Vorteil. Ich habe zwei Muttersprachen, fühle mich an zwei Orten sehr zu Hause und trage diese beiden Identitäten in mir. Aber es ist gleichzeitig so, dass die Identitätsfrage ein großes Thema für mich ist. Das merke ich immer noch. Denn manchmal bin ich in Deutschland nicht ganz deutsch, manchmal bin ich in Argentinien nicht ganz Argentinierin. Ich sage mal, ich bin beides. Ich bin nicht das eine oder das andere, und beide Kulturen gehören zu mir. Es ist nicht immer leicht, aber es ist schön und aufregend, es gehört auch zu mir und meinem Film.“

'The Kidnapping of the Bride' | Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary

Ist es auch das Hauptthema Ihrer Filme?

„Das Hauptthema würde ich nicht sagen. Es spielt immer mit, weil mir wichtig ist, verschiedene Spannungsfelder zu erzählen und verschiedene Sprachen. Ich spiele in Dialogen auch gerne mit den unterschiedlichen Sprachen und dem Switchen zwischen den Sprachen. Das ist etwas, was mir sehr Spaß macht. In Bezug auf den Kurzfilm ist mir bei der Recherche aufgefallen, dass es in Argentinien zwar nicht die traditionelle Brautentführung gibt, aber viele andere Traditionen, die verwandt sind und in der Symbolik dasselbe darstellen. Mir war wichtig, in dem Film zu erzählen, wie beide Familien – so unterschiedlich sie auch sind und aus unterschiedlichen Kulturen kommen –die gleichen Erwartungen an dieses junge Paar haben. Sie finden eine Art Einigkeit darin, was sie von ihren Kindern möchten. Dieses Spannungsfeld finde ich interessant, dieses Auseinander und Zusammen. Die Themen in meinen Filmen sind eher am Erwachsenwerden angelegt. Was bedeutet es, erwachsen zu werden, Beziehungen zu führen, die vielleicht nicht ganz zu unserer Sozialisierung passen? Wie erfinden wir uns neu? Ich erwische mich selbst beim Filmemachen oft dabei, wie ich in gewissen Strukturen denke, und das passiert den Zuschauern auch. Das finde ich witzig, auch da humorvoll mit dem Zuschauer zu spielen, ihn mit sich selbst zu konfrontieren und zu hinterfragen.“

Schöne Gespräche, interessante Auseinandersetzungen, Kontakte für die Zukunft

Sie zeigen Ihren Kurzfilm „The Kidnapping of the Bride“ beim Filmfestival in Karlsbad in der Sektion Future Frames. Was erwarten Sie von dem Festival hier und von den Möglichkeiten, die das Festival bietet?

Filmfestival in Karlovy Vary | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Ich freue mich auf das Kennenlernen der Industrie: Wer ist da, wer könnte an meinem Langfilm interessiert sein? Ich bin gestern angekommen und habe schon ein paar Filmemacher wieder getroffen, die ich auf einem Festival kennengelernt habe, das war sehr schön. Ich würde auch sehr gerne Filme gucken, dafür ist aber leider nicht so viel Zeit. Ja, ich freue mich auf schöne Gespräche, interessante Auseinandersetzungen. Kontakte für die Zukunft sind auf jeden Fall wichtig für mich als angehende Filmemacherin.“

Dieser Kurzfilm ist ihre Abschlussarbeit an der Filmhochschule Babelsberg. Haben Sie jetzt schon Pläne, was Sie weiter in Ihrem Berufsleben machen?

„Ich schreibe gerade an meinem Langfilm. Ich bin im Torino Script Lab, und dort entwickle ich das Projekt. Das ist gerade sozusagen mein Hauptbaby, was ich versuche, voranzubringen. Und dann bin ich noch in Gesprächen für andere Projekte, die in fernerer Zukunft liegen. Ich werde weiterhin als Autorin und Regisseurin arbeiten. Das ist mein Weg.“

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