Gegen den Trend - Prager Grundschule lehrt Deutsch ab der ersten Klasse

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Das Stimmengewirr in der Prager Innenstadt ist eine bunte Mischung vieler Sprachen. Hier hört man Französisch, Spanisch, Deutsch, aber vor allem Englisch. Denn Englisch scheint in Tschechien so beliebt zu sein, wie internationaler Pop. Da befinden sich Sprachen wie Deutsch auf dem Rückzug. Dennoch hat eine Grundschule in Prag Deutsch auf den Lehrplan der ersten Klasse gesetzt. Mit Erfolg. Monique Leistner hat dort vorbeigeschaut.

Es ist 8 Uhr morgens. Für den einen oder anderen ein guter Grund, sich noch einmal im Bett herumzudrehen. Aber nicht so in der Kladská Grundschule aus Prag 2. Nachdem die schrille Glocke zum Unterricht gerufen hat, schwirren 13 aufgeweckte Jungen und Mädchen in das Klassenzimmer. In ihren Gesichtern ist keine Spur von Müdigkeit zu sehen – dafür aber blanke Neugier. Denn auf die Erstklässler wartet heute die dritte Deutschstunde ihres Lebens. Die beginnt so:

„So, wir stehen auf! Guten Morgen! Guten Morgen! Noch einmal. Guten Morgen! Setzt euch.“

Auch wenn sie ein bisschen Hilfe hatten - das kann sich doch schon hören lassen für sechsjährige Kinder. Sie werden in die Geschichte der Kladská Grundschule als Vorreiter eingehen. Denn sie lernen Deutsch bereits ab der ersten Klasse. Überhaupt sind sie an dieser Schule nach 42 Jahren die ersten Schulanfänger, die ihre Schullaufbahn aber der ersten Klasse beginnen. Davor wurde an der Kladská Grundschule erst ab der dritten Klasse unterrichtet. Warum man hier dieser Tradition seit dem 1. September untreu geworden ist und was die Gemeinde von Prag 2 damit zu tun hat, erklärt die Direktorin Kateřina Vávrová:

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„Die wollten eine Schule, die von der 1. bis zur 9. Klasse unterrichtet. Wir haben von den anderen Schulen die Kinder aus der zweiten Klasse übernommen. Das war schwierig, heutzutage, wo es wenige Kinder gibt. Aber wir hatten wenig Räume. Dann haben wir gesagt: Wir müssen es einfach schaffen, wir werden umbauen. Aber wir müssen ein bisschen anders als die anderen Schulen sein. Dann unterrichten wir gleich ab der ersten Klasse Deutsch.“

Gesagt, getan. Doch da musste die Schule an vielen Fronten gleichzeitig kämpfen, wollte sie sich doch auf die Neuankömmlinge gut vorbereiten. Also kaufte man neue Möbel, Bücher, und versuchte alles auf die Kinder abzustimmen. Unter der Federführung von Ladislav Bošek. Der 57-Jährige unterrichtet nun schon seit über 30 Jahren Deutsch. Allerdings hatte er da immer Kinder ab der dritten Klasse vor sich sitzen. Mit denen konnte er Texte lesen und Übungen schreiben. Bei den Kleinen helfen ihm Bücher und Hefte aber noch nicht weiter. Sie werden erst ab der zweiten Klasse ihren Weg in das Klassenzimmer finden. Dort wird momentan noch mit Schere und Leim hantiert. Ladislav Bošek sucht immer nach Alternativen

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„Man muss wirklich immer zwischen vielen Methoden wechseln, immer nach ein paar Minuten. Es ist für sie immer schnell langweilig. Man kann das sehen, wenn sie aus dem Fenster schauen, oder in der Klasse toben wollen. Man muss dann wirklich sagen: ´Das geht nicht, du bist in der Schule .´Aber das verstehen sie nicht alle.“

Also springt Bošek mit den Kindern auf und ab, oder er singt mit ihnen, um ihnen die deutsche Sprache näher zu bringen. Obwohl das alles ganz spielerisch wirkt, ist es für den 57-Jährigen oftmals ein persönliches Fitness-Programm, wie er selbst lächelnd zugibt. Aber er liebt seinen Beruf und aufgrund seiner langjährigen Erfahrung, weiß er auch meistens wie er die Kleinen begeistern kann. Beispielsweise mit einer ganz besonderen Lernmethode.

„Ich habe ihnen geraten: Nehmt zum Beispiel einen Teddybär oder eine Puppe. Und sie sollen mit ihr oder mit dem Teddy sprechen und ihm die Aussprache zeigen. Das kann man gar nicht anders machen.“

Deutschlernen mit dem eigenen Teddy. So dürften die Hausaufgaben und der Unterricht nicht mehr ganz so schwer fallen.

„´Guten Morgen´ ruft die Sonne, ´Guten Morgen´ ruft der Wind.

´Guten Morgen´ ruft der Vogel, ´Guten Morgen´ ruft das Kind.“

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In ein paar Wochen wird sich das wohl noch sicherer anhören. Denn es handelt sich hier um einen Liedtext, den Herr Bošek bald mit den Kindern singen will. Als nächstes wird er ihnen die Farben und die verschiedenen Richtungsangaben beibringen. Schritt für Schritt sollen die Kinder dabei lernen, sich mit der neuen Sprache anzufreunden. Denn Deutsch zu können, sei gerade für sie sehr sinnvoll, meint Ladislav Bošek:

„In der Region, in der wir wohnen, ist die deutsche Sprache wichtig, weil wir die deutschsprachigen Länder um uns herum haben. Und wenn sie dann die deutsche Sprache ein bisschen beherrschen, können sie die zweite Sprache einfacher lernen. Deutsch ist für Ausländer nicht sehr leicht. Die Grammatik ist schwer.“

Hinzu kommt, dass sich Englisch als Fremdsprache in Tschechien durchgesetzt hat und die Zahl der Teilnehmer in den Deutschkursen sinkt. Auch das Goethe Institut in Prag bemüht sich durch Werbekampagnen, Deutsch attraktiver zu machen. Die Tendenz nach unten bestätigt auch Schulleiterin Kateřina Vávrová. Gerade darin sieht sie für Deutschlerner aber auch Vorteile:

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„Es wird in dieser Generation dann sehr wenig Leute geben, die Deutsch sprechen. Das wird große Vorteile haben. Wenn ehemalige Schüler hierher kommen, sagen sie: Wir sind so froh, dass wir Deutsch können! Beispielsweise arbeiten die einstigen Schüler als Skilehrer im Riesengebirge. Und dort sind viele Deutsche. Sie als einzige haben große Chancen und bekommen alle Skikurse. Sie sagen: Denn wir können Deutsch und die anderen nur Englisch. Wir sind im Herzen Europas. Alle Länder, wie Österreich, Deutschland, Holland, Belgien – überall kann man mit Deutsch auskommen.“

Auch den Eltern sei es immer wichtiger, dass ihre Kinder Deutsch lernen. Im letzten Jahr hätten immer mehr von ihnen bei Frau Vávrová angerufen und sich über den Deutschunterricht ab der 1. Klasse informiert. Aber Kateřina Vávrová kennt noch einen anderen Grund für dieses große Interesse. Viele der Eltern waren selbst einmal Schüler der Kladská-Grundschule. Sie schätzen die Athmospäre hier und dass die Lehrer ihre Schüler noch kennen. Das sei selten für heutige Schulverhältnisse. Als das neue Lehrprogramm dann beschlossen und die Anmeldeformulare gedruckt waren, schien der Ansturm groß:

„Im Januar war Einschreibung und es kamen so viele Kinder, so viele Eltern und auf einmal waren hier 200 Leute. Das war schrecklich. Wir haben dann ausgewählt und ich hoffe, wir haben gute Kinder ausgewählt.“

„´Guten Morgen´ ruft die Sonne. ´Guten Morgen´ ruft …das Kind.“

Na gut, aller Anfang ist schwer.