Geheimnisumwoben und beliebt: Der Kräuterlikör Becherovka

Becherovka

Wie bei jeder guten Geschichte steckt auch hinter der vom Becherovka ein großes Geheimnis. Und das betrifft seine Rezeptur. Dieses seit über 200 Jahren gepflegte Mysterium fasziniert die Menschen an dem Kräuterlikör aus Karlovy Vary / Karlsbad ebenso wie sein Geschmack und seine wohltuende Wirkung in der Magengegend.

Becherovka | Foto: Shinwha,  Flickr,  CC BY-NC-ND 2.0

„Zuerst kommt einem der Duft entgegen. Dann sieht man die Farbe, die Klarheit und das Glänzende der Flüssigkeit. Und schon will man davon kosten. Dann kann man vergleichen, ob der Geschmack dem entspricht, was der Geruch und der Anblick versprochen haben.“

Bohuslav Pich ist sich sicher, dass der Likör dieser individuellen Qualitätsprüfung standhält. Als Produktionsleiter ist er mit dafür verantwortlich, dass die 200-jährige Tradition der Likörfabrik Becherovka gepflegt und weitergeführt wird. Der Name des lange als Familienbetrieb geführten Unternehmens geht etymologisch auf das deutsche Wort Pech zurück. Das jedoch hatte die Karlsbader Familie Becher mit Sicherheit nicht. Im Gegenteil, noch heute kennen nicht nur die Einheimischen ihren Becherovka bestens, wie diese Straßenumfrage belegt:

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Spontane Assoziationen sind ein Freitagabend mit Freunden oder ein Kräutertrunk, den nicht zuletzt ältere Damen gern zu sich nehmen, weil er lecker und gesund ist. Aber auch die Fakten sind bei den Menschen gut bekannt:

Becherovka ist ein Likör aus Karlsbad, heißt es da. Er sei das bekannteste Exportprodukt dieser Art und nicht selten verbunden mit den unvermeidlichen Kopfschmerzen am nächsten Morgen, lacht der zuletzt Befragte.

In diesem Falle könnte ein Glas des heilsamen Wassers aus den Karlsbader Quellen helfen. Deren Zusammensetzung und Wirkung erforschte einst Dr. David Becher, der sich im 18. Jahrhundert einen guten Ruf als Kurarzt machte. „Hippokrates von Karlsbad“ wurde er genannt, und auf seine Erkenntnisse stützt sich die Balneologie bis heute. David Becher stieß nämlich auf die Bedeutung von Kohlenstoffdioxid in Mineralwassern. Der Arzt empfahl seinen Patienten, die Trinkkur direkt an den Quellen zu vollziehen. Dafür ließ er die charakteristischen Pavillons und Kolonaden Karlsbads errichten.

Josef Becher | Foto:  Wikimedia Commons,  public domain

Der Mann, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Namen Becher in ganz Karlsbad und darüber hinaus berühmt machte, war Davids Neffe Josef Vitus Becher. Als Magentropfen verkaufte er die allerersten Flaschen dessen, was heute eine weltweit beliebte Spirituose ist. Das Rezept ist dem heutigen Becherovka-Betriebsleiter Tomáš Bryzgal beim besten Willen nicht zu entlocken:

„Details der Zusammensetzung geben wir nicht preis. Aber wir können verraten, dass etwa 20 verschiedene Sorten von Kräutern und Gewürzen verwendet werden. Die Kräuter stammen vor allem aus Tschechien und Mitteleuropa. Die Gewürze kommen eher aus exotischen Ländern in Asien und Afrika.“

Nur zwei Menschen kennen die geheime Rezeptur

Tomáš Bryzgal | Foto:  Jan Becher Pernod Ricard

Bryzgal bestätigt, was man sich über die Firmenstrategie erzählt. Dass nämlich immer nur zwei Mitarbeiter das genaue Rezept des Becherovka kennen. Einer davon ist er selbst, der zweite sein Kollege Bohuslav Pich. Nicht erst, wenn die Betreffenden das Unternehmen verlassen, sind sie per Vertrag zu strengster Geheimhaltung verpflichtet. Auch den Zulieferern wolle man keine Anhaltspunkte für die Rezeptur geben, so Bryzgal:

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„Wir nutzen eine Reihe von Zulieferern. Bei ihnen bestellen wir immer unterschiedliche Kräuter in verschiedenen Mengen, damit keine Schlüsse gezogen werden können, wieviel wir von welcher Zutat im Jahr verbrauchen. Das gehört zur Geheimhaltung. Wir können nicht die komplette Rezeptur an jemanden schicken und um die Lieferung der Kräuter in der konkreten Menge bitten.“

Wasser, Alkohol und eine spezielle Kräutermischung, das war schon die Grundlage für den Kolonialwarenhändler Josef Vitus Becher. Sein Steckenpferd waren Chemie und das Experimentieren mit Heilmitteln, und mit seiner eigenen Brennvorrichtung für den Hausgebrauch stellte er Liköre her. Bei der weiteren Entwicklung half, wie so oft, der Zufall nach. In dem Haus „U tří skřivanů“ (Zu den drei Lerchen), in dem Becher sein Geschäft hatte, mietete sich im Sommer 1805 ein vornehmer Kurgast ein: der Reichsgraf Maximilian Friedrich von Plettenberg-Wittem zu Mietingen. Schicksalhaft war aber die Begegnung mit dessen Leibarzt, dem Engländer Christian Frobrig.

Jan-Becher-Museum | Foto: Naďa Krásná,  Tschechischer Rundfunk

Becher und Frobrig verstanden sich sogleich blendend. Beide waren große Liebhaber von Magenbittern und verbrachten ganze Abende damit, sich über die Kraft der Kräuter auszutauschen. Bei seiner Abreise übergab Frobrig seinem neuen Freund ein Papier mit der wundersamen Rezeptur für ein „Lebenselixier“. Es enthielt 20 Kräuter, die der Gast aus England allesamt in der Karlsbader Umgebung gesammelt hatte.

Foto: Jiří Matoušek,  Flickr,  CC BY 2.0

Josef Vitus Becher verfeinerte zwei Jahre lang die Rezeptur dieser „Magentropfen“. Sie sollten die Verdauung anregen, was eine ideale Geschäftsidee war in einer Stadt, in die vor allem Menschen mit Magenproblemen zur Kur kamen.

Digerát - Das Herz des Becherovka

Foto: Jiří Matoušek,  Flickr,  CC BY 2.0

Die Ausstellung in der Becherovka-Fabrik informiert, dass der geheimen Kräutermischung ein Weindestillat beigegeben wird, dann Orangenöl, Zucker und Digerát. Tomáš Bryzdal erklärt, was das ist:

„Digerát ist wohl das erste Halbfabrikat, das durch die Vermischung von Kräutern hergestellt wird. Den Mix füllen wir in spezielle Filtrierbeutel, ähnlich wie Teebeutel. Diese geben wir in ein besonderes Extrakt und begießen sie mit Alkohol, der wiederum ein rein tschechisches Produkt aus Zuckerrüben ist. So entsteht also etwas wie ein alkoholhaltiger Tee.“

Foto: Juan Pablo Bertazza,  Radio Prague International

Diesen Prozess haben die Firmenväter nach ihrer eigenen Erfindung „digerace“ genannt, also etwa Digeratisierung.

„Nach ungefähr einer Woche der ‚digerace‘ wird das Zwischenprodukt Digerát gewonnen: ein reines Kräuterextrakt in Spiritus. Es hat etwa 95 Prozent Alkohol und ist eine starke Kräuterlösung – das Herz des Becherovka.“

Im Mai 1807 gingen die ersten Heiltropfen über den Ladentisch von Josef Becher. Zu Ehren seines englischen Freundes Frobrig nannte er sie „English Bitter“. Unter dem späteren Namen „Original Karlsbader Becher-Bitter“ übernahm Sohn Johann Nepomuk Becher 1838 das Geschäft und mit ihm das Wissen um die geheime Rezeptur. Seine Unterschrift ziert bis heute das Etikett jeder Flasche – als Garantie für Tradition, Qualität und Geschmack.

Jan-Becher-Museum | Foto: Naďa Krásná,  Tschechischer Rundfunk

Zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde auf der Plakette zudem der Titel „k. u. k. Hoflieferant“ ergänzt. Der alternde Kaiser Franz Josef I. hatte eine Schwäche für Becherovka entwickelt, ebenso wie Erzherzog Ferdinand Karl von Österreich. Der Hof wurde regelmäßig beliefert, und auch ins weitere Ausland gelangte der Kräuterlikör zunehmend. Ähnlich wie die typischen grünen Flaschen ist ebenso das Etikett seitdem fast unverändert geblieben. Bohuslav Pich:

Foto:  Pixabay / Wikimedia Commons,  CC0 1.0 DEED

„Die Form des Etiketts ist immer noch die alte. Die Farbe hat sich etwas geändert und auch einige Ornamente. Nur die Aufschrift ist nicht mehr gleich. Früher stand dort ‚staatliches Unternehmen‘ oder ‚volkseigener Betrieb‘. Heute sind wir eine multinationale Firma.“

Bohuslav Pich | Foto: Naďa Krásná,  Tschechischer Rundfunk

Johann Becher kurbelte nicht nur das Auslandsgeschäft des Unternehmens an, sondern ließ am Karlsbader Stadtrand auch eine neue, moderne Fabrik errichten. Seit diesen Zeiten sei das Herstellungsprinzip unverändert, sagt Pich:

„Wenn wir die alten und die neuen Produktionsprozesse vergleichen, gibt es dort keine große Wandlung bezüglich des technischen Fortschritts. Auch bei den Zutaten hat sich nichts geändert. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir heute moderne Vorrichtungen nutzen, die wesentlich leistungsfähiger sind.“

Tür zur "drogykamr" bleibt verschlossen

Jan-Becher-Museum | Foto: Naďa Krásná,  Tschechischer Rundfunk

Und diese sorgen dafür, dass für die Herstellung des Digeráts nur noch drei Mitarbeiter notwendig sind. Sie leiten das einzigartige Zwischenprodukt in den nächsten Fabrikraum weiter, wo daraus das eigentliche Konzentrat für den Becherovka hergestellt wird. Diese Tür bleibt für den Besucher aber verschlossen. Pich erzählt:

Gustav Becher | Foto: Wikimedia Commons,  public domain

„Heute findet dort die Zubereitung der Kräutermischung statt. In der alten Fabrik war diese selbe Tür mit der Aufschrift „drogykamr“ versehen – Drogenkammer. Nicht, dass dort tatsächlich Drogen hergestellt wurden. Aber dort wurden die Kräuter verarbeitet und vermischt.“

Gemäß der Erbfolge übernahm nach Johann Becher dessen ältester Sohn Gustav die Firmenleitung. Er verlieh dem Unternehmen nicht nur den Namen seines Vaters, sondern ließ die Schutzmarke „Becher“ auch bei der Handelskammer registrieren. Zudem erhöhte er die Nachfrage durch einen einfachen psychologischen Trick: nämlich durch künstlich herbeigeführten Mangel. Gustav verkaufte seinen Kunden nie mehr als fünf Liter Becherovka monatlich. Dabei konnte die Firma zu ihrem 100-jährigen Jubiläum schon 12.000 regelmäßige Abnehmer im In- und Ausland vorweisen.

Jan-Becher-Museum | Foto: Naďa Krásná,  Tschechischer Rundfunk

Das letzte Familienmitglied, das die Fabrik leitete und das Geheimrezept des Becherovka kannte, war Hedda Becher. Unter ihrer Führung musste die Zusammensetzung des Likörs während des Zweiten Weltkriegs sogar leicht abgewandelt werden, weil einige Zutaten nicht zu bekommen waren. Bevor Hedda Becher nach Kriegsende aus Karlsbad vertrieben wurde, war sie noch gezwungen, den Familienbetrieb an die Kommunisten zu übergeben – einschließlich des handgeschriebenen Rezeptes von Dr. Frobrig.

Foto: Nick Sieger,  Flickr,  CC BY-SA 2.0

Bleibt nur noch eine Frage zu klären. Diese lautet aber nicht: Gerührt oder geschüttelt? Vielmehr geht es um die richtige Trinktemperatur. Tomáš Bryzdal:

„Allgemein wird empfohlen, Becherovka eher gekühlt zu trinken. Ich rate zu etwa null Grad. Mancher lässt die Flasche auch im Tiefkühlfach, die meisten aber nur im Kühlschrank. Einige Menschen schwören auf warmen Becherovka, allerdings sind es nicht sehr viele. Wir empfehlen eher die gekühlte Variante. Wie niedrig die Temperatur dabei sein soll, entscheidet der Verbraucher aber besser selbst.“

Besucherzentrum Becherovka | Foto:  Jan Becher Pernod Ricard
Autoren: Daniela Honigmann , Svetlana Lavičková
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