Geiseldrama in Russland, Polittheater in Tschechien
Die Konsequenzen aus der Geiselnahme im ossetischen Beslan und der Hang der Politik, mit inszenierten Ereignissen die Öffentlichkeit zu manipulieren, das sind die Themen der heutigen Ausgabe des Medienspiegels. Dagmar Keblerova und Thomas Kirschner begleiten Sie darin durch die Kommentare der tschechischen Presse.
"Eine bezeichnende Mehrheit der zartfühlenden Europäer schlägt sich gern und oft auf die Seite der Tschetschenen und Palästinenser und zeigt starkes Verständnis für den Widerstand der irakischen "Aufständischen". Schamil Bassajew und Jassir Arafat gleichen in den Beiträgen einiger Publizisten gelegentlich romantischen Helden. Auf der anderen Seite treten in der Rolle des Bösen die militärischen Großmächte auf - die USA, Israel und im aktuellen Fall Russland. Die Situation in solchen Konflikten ist immer um vieles komplizierter, und es ist nicht das Ziel dieses Artikels, eine Seite hervorzuheben und eine zu verurteilen. Aber wir sollten uns bewusst werden, wo wir in diesem globalen Krieg stehen. (...) Die kriminellen und fanatischen Elemente in Palästina, im Irak, in Afghanistan und in Tschetschenien sind unsere Feinde, ob wir es wollen oder nicht."
Die linksliberale Tageszeitung Pravo sieht demgegenüber Russland und die Vertreter einer harten Linie in der "Sackgasse", so der Titel eines Kommentars vom vergangenen Samstag:
"Das Drama in Beslan ist vorbei, wann wird es das nächste geben? Solange sich die Politik von Putins Russland gegenüber Tschetschenien nicht ändert, wird die Tragödie von Beslan sicher einen nächsten Akt haben. Der zehnjährige russisch-tschetschenische Krieg brutalisiert beide Seiten. Die Vorstellung hunderter Kinder-Geiseln in Beslan ist schrecklich. Was können sie dafür? Genau so schrecklich ist aber auch der Anblick eines kleinen Tschetschenen, der zwischen einstürzenden Häusern herumirrt. Was kann er dafür? (...) Von da ist es nur ein kurzer Weg zu der fürchterlichen Logik: Wenn unsere Kinder, dann auch ihre Kinder."
Mit Blick auf die tschechische Innenpolitik sind in der Presse immer noch die Nachwirkungen des Regierungswechsels auszumachen. In dessen Umfeld beschäftigten sich die tschechischen Zeitungen in den zurückliegenden Tagen wiederholt mit dem heimischen Politikstil und der Tendenz der Politik, mit geschickt inszenierten Ereignissen die Öffentlichkeit zu manipulieren. Das kritische Wochenblatt Respekt hielt unter diesem Blickwinkel nochmals Rückschau auf die Affäre um den Koalitionsabgeordneten Zdenek Koristka (US-DEU). Dieser hatte Ende August kurz vor der Vertrauensabstimmung über die neue Regierung angegeben, dass Abgesandte der oppositionellen ODS ihm angeblich 10 Mio. Kronen geboten hätten, wenn er die Regierung nicht unterstütze. Da die Vorwürfe auf unbeweisbaren Behauptungen beruhen, wird die Affäre kaum jemals befriedigend zu klären sein. Umso mehr sieht die Wochenzeitung Respekt in dem Vorfall einen, so wörtlich, "vortrefflichen Führer im Irrgarten der heimischen Politik":"Obgleich eine Reihe von Fragen weiter offen bleiben, ist eines doch sicher: Eine derart gute Möglichkeit, zu sehen, wie in Tschechien die "hohe Politik" funktioniert, gab es schon lange nicht mehr. Die Aussage des Abgeordneten Koristka weist eine ganze Reihe unübersehbarer Ungereimtheiten auf. Obwohl er das Schicksal der gegnerischen Partei in den Händen hielt, hat Koristka nicht nur nicht versucht, einen Beweis für deren angeblichen Bestechungsversuch in die Hände zu bekommen, sondern darüber hinaus auch noch drei Wochen über das Angebot geschwiegen. Auch die Leiterin des tschechischen Zweiges der Antikorruptions-Organisation Transparency International bezeichnet daher seine Aussage als "nicht allzu glaubwürdig", und Politologen sprechen ganz offen von einem Versuch, Probleme in der eigenen Partei mit den Vorwürfen zu überdecken. Das Prinzip, dem man - nicht nur in der tschechischen Politk - folgt, beschrieb der zurückgetretene Premier Vladimir Spidla: "Die Politik benutzt die Medien als Instrument. Man schickt falsche Informationen aus und täuscht, damit das, was man nicht zeigen will, im Dunklen bleibt."
Die Meinungen darüber, ob Koristka wirklich ein Millionenangebot für seine Stimme bekam, gehen weiterhin auseinander. In einem aber, so berichtet die Zeitung Respekt, herrsche Einigkeit: nämlich darüber, dass mit einem solchen Angebot anders umzugehen sei. Unabhängig von der Wahrheit der Vorwürfe bleibt daher der Eindruck, dass Koristka wie auch andere Politiker diese vor allem für eine politisch gerade opportune Inszenierung missbraucht haben, so die Quintessenz des Artikels.
Politisches Theater, auf Show-Effekte und gute Optik berechnet, wittert die Lidove noviny auch andererorts. In ihrer Montagsausgabe geht die Zeitung auf das Verhältnis zwischen Präsident Klaus und der Regierung ein, in dem sie eine Spielwiese für beiderseitige oberflächliche Profilierungssucht sieht:
"Die Regierung Spidla ohne Spidla, dafür mit Rückendeckung durch Präsident Klaus. So könnte die neue Definition des Kabinetts Gross lauten - nach dem gestrigen Ausspruch des Präsidenten, dass er für die neue Regierung eine größere Verantwortung fühlt, da er sie im Unterschied zur vorhergehenden selbst ernannt hat. Die Frage ist nun, worin sich die größere Fürsorge äußern wird. (...) Vermutlich wird die Zusammenarbeit auf regelmäßige Treffen zusammenschrumpfen, von denen das erste in der letzten Woche stattgefunden hat. Vielleicht wird Klaus in ihnen fordern, dass aus einer "halbreformatorischen" eine reformorientierte Regierung werden soll. Auch wenn er das genauso über die Medien könnte. Eher aber werden die Treffen nur deshalb stattfinden, weil es gut aussieht. Für einen Präsident, der Regierungen in "eigene" und "fremde" einteilt, ist das ein hinreichender Grund - und für den Großplakat-Premier gleichfalls."
Wenn Stanislav Gross hier zuletzt als Großplakat-Premier bezeichnet wird, ist dies eine Anspielung auf die aktuelle Imagekampagne der Regierung, die derzeit den Spott des Landes auf sich zieht. Treu dreinblickend schaut der knabenhafte Premier seinem Volk von allen Plakatwänden entgegen. Die Botschaft ist klar: Wer so guckt, der kann´s nur gut meinen. Von entsprechendem Gehalt sind die beigegebenen Slogans. "Ich bin Sozialdemokrat", sagt der sozialdemokratische Regierungschef über sich, und: "Myslim to uprime" - "Ich meine es ehrlich". Anstatt lange über das Selbstverständnis ihrer Politiker zu grübeln, das aus solchen Aussagen spricht, greifen die Tschechen lieber zum Filzstift und ergänzen die Plakate nach eigenem Geschmack, von witzig bis vulgär. "Ich hab mich gern" ist dort zu lesen, und aus dem socialni demokrat Gross wird ein asocialni pripad, ein unsozialer Vorfall. Außerdem wird präzisiert, was der Premier denn da ehrlich meint. Die Vorschläge reichen von "Ich pfeif´auf euch" bis zu "Wählt die anderen".Der Tageszeitung Lidove noviny zufolge kann der Spott jedoch für die Sozialdemokraten letztlich einen positiven Effekt haben:
"Reklamefachleute meinen, dass die Sozialdemokraten eine gute Strategie gewählt haben, um den starken Rückgang der Wählergunst zu bremsen, den die Meinungsumfragen anzeigen. ´Es ist ihnen gelungen Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn sie klug sind, dann wecken sie in der nächsten Phase bei den Leuten Interesse an ihrem Programm, und wenn das gelingt, dann müssen die nächsten Wahlen für die Sozialdemokraten nicht so katastrophal ausfallen, wie es zur Zeit aussieht."