Gratias-Agit-Preisträger I: Das Ehepaar Kraus und der Einsatz für die Verständigung

Erich und Brigitte Kraus bei der Überreichung des Gratias Agit-Preises

Jedes Jahr verleiht das tschechische Außenministerium den Preis "Gratias Agit" an Menschen im Ausland, die sich um das Ansehen der Tschechischen Republik verdient gemacht haben. Die Liste der Preisträger gleicht dabei einer Reise um den Globus: Die Vereinigten Staaten waren in diesem Jahr vertreten, Mexiko, Vietnam oder Israel. Immer wieder sind aber auch deutschsprachige Länder dabei. So konnte der tschechische Außenminister bei der feierlichen Überreichung des Preises im Juni unter anderem dem Ehepaar Brigitte und Erich Kraus gratulieren. Es wurde für seinen Einsatz für die tschechisch-deutsche Verständigung ausgezeichnet. Und das hängt wiederum vor allem mit dem Schicksal von Erich Kraus zusammen.

Till Janzer mit Erich Kraus
"Wir waren ganz erschrocken, dass wir solch eine hohe Auszeichnung bekommen sollen. Wir haben auch gar nicht gewusst, dass so etwas möglich ist", sagt Brigitte Kraus.

Und Erich Kraus fügt an:

"Wir sehen das als eine überaus hohe Auszeichnung für die Arbeiten an, die wir gemacht haben. Und wir sehen das als Ansporn dazu an, die Dinge, die wir begonnen haben, auch zu Ende zu führen."

Doch worum geht es eigentlich? Brigitte und Erich Kraus helfen seit der Wende, den kleinen Ort Dolni dvur wieder herzurichten. Der Anstoß dazu kam von der tschechischen Seite, nämlich von der aus Prag stammenden Familie Smejkal, mit der sie seit über 30 Jahren befreundet sind. Auf die Initiative von Brigitte und Erich Kraus wurden weitere frühere deutsche Bewohner des Ortes in die Arbeiten eingebunden. Als Dolni dvur noch Niederhof hieß, bildeten sie schließlich dort die Mehrheit der Bewohner.

"Wir haben unter unserer Leitung zum Beispiel Spenden gesammelt in Deutschland und an der Kirche fünf Fenster wieder hergerichtet. Wir haben die Orgel gemeinsam restauriert, voriges Jahr den Kirchturm. Und so haben wir jedes Jahr gemeinsame Veranstaltungen ausgerichtet", erzählt Erich Kraus.

Brigitte Kraus
Vertriebene und Tschechen - das ist manches Mal eine Begegnung voller Vorurteile. Warum es aber in Dolni dvur funktioniert, liegt vielleicht an dem nicht ganz so gewöhnlichen Vertriebenenschicksal von Erich Kraus. Auch er ist in Dolni dvur - oder in diesem Fall besser - in Niederhof geboren (1937), während seine Frau Brigitte aus dem sächsischen Zwickau stammt.

Erich Kraus ist ein recht spät Vertriebener. Als Kind erlebt er die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg erst einmal nur als Weggang der anderen. Drei Wellen der Vertreibung inklusive der Zersiedlung der verbliebenen Deutschen innerhalb der Tschechoslowakei gehen an der Familie Kraus vorüber. 1948 ist sie dann die einzige verbliebene deutschstämmige Familie in dem Ort, der nun Dolni dvur heißt. Man braucht Erich Kraus´ Vater, denn er leitet die örtliche Weberei. Allerdings will er nun nicht mehr bleiben.

"Während der Zersiedlung, der inneren Vertreibung, hatte mein Vater eine Legitimation und durfte gar nicht weg. Dann haben wir aber eine Möglichkeit gefunden, dass wir gegen Bezahlung in die sowjetische Zone gehen durften. Der Grund war, dass wir Kinder keine Schule besuchen durften. Das heißt, wir wären ein paar Jahre im Wald rumgeirrt und am Ende wären wir vielleicht irgendwelche Rübezahle und Waldarbeiter geworden."

Und genau das, nämlich keine Ausbildung zu erhalten, wollen die Eltern ihren Kindern nicht zumuten. Die Vertreibung der Familie Kraus ist also eigentlich eher ein Weggang. In jedem Fall kommt dieser Erich Kraus zu Gute. In der damaligen DDR holt er alle ihm zuvor verwehrte Schulbildung nach, macht das Abitur und geht dann an die Technische Hochschule in Dresden.

Erich Kraus
"1959 habe ich ein Praktikum in Liberec gemacht, als Student von der Technischen Hochschule in Dresden aus. Dort habe ich einmal einem Vorarbeiter gesagt, dass ich einige Kilometer entfernt aus dem Riesengebirge stamme. Und eines Mittwochs früh, das weiß ich noch, steht ein Auto auf dem Hof. Er sagt: Sie brauchen heute nicht arbeiten, wir fahren ins Riesengebirge."

So kommt Erich Kraus bereits nach elf Jahren das erste Mal wieder in seinen Heimatort zurück. Viele andere Vertriebene, nämlich die in der damaligen Bundesrepublik, haben diese Chance zu dieser Zeit nicht - ein weiterer Unterschied also im Schicksal von Erich Kraus.

1980 lernen Erich und Brigitte Kraus dann die Familie Smejkal aus Prag kennen, mit der sie heute die Arbeiten im Ort leiten. Die Smejkals, das sind diejenigen, die nun das frühere Haus seiner Eltern als Wochenenddatsche nutzen. Verbitterung darüber herrscht bei Erich Kraus nicht, im Gegenteil, man freundet sich an. In der Nachwendezeit beginnt die Familie Smejkal, die neu errungene Freiheit für Arbeiten im Dorf zu nutzen. Dass sich die Vertriebenen dem anschließen, stört weder sie noch andere Tschechen vor Ort.

"Wir arbeiten eben mit jenen zusammen, die mit uns zusammenarbeiten wollen. Da kann ich auch nicht sagen, dass das manche nicht gewollt hätten. Es hat nie Probleme gegeben", sagt Erich Kraus.

Viel eher bekommt er die Vorbehalte auf der anderen Seite zu spüren:

Erich und Brigitte Kraus bei der Überreichung des Gratias Agit-Preises
"Diese negativen Reaktionen gibt es unter den Heimatvertriebenen. Manche sagen: ´1945 bis 1948 sind wir rausgeschmissen worden und jetzt macht Ihr mit den Tschechen gemeinsame Sache.´ Aber wir sind der Meinung, dass die Betroffenen, also unsere Eltern, alle bereits tot sind. Und jene, die das Unrecht auf der anderen Seite begangen haben, sind auch nicht mehr da oder sehr alt. Und für die Zukunft kann nur etwas gemacht werden, bei dem der Frieden erhalten wird und die Völker zusammenarbeiten."

Frieden erhalten heißt für Erich Kraus aber nicht, Gras über das wachsen zu lassen, was geschehen ist:

"Als ich 2001 überraschend Ehrenbürger von dem Ort wurde, musste ich eine Rede halten. Und da habe ich gesagt, dass nun so viele Jahre seit dem Krieg vergangen sind und wir vielleicht an die Zeit denken sollten, die Geschichte ist. Wir könnten mal die Dinge aufarbeiten, die in den Archiven vorhanden sind."

Und zwar zum Thema Vertreibung der Deutschen aus dem Kreis Trutnov / Trautenau nach dem Zweiten Weltkrieg. Für seine Idee gewann Erich Kraus zwei wichtige Mitarbeiter: den Archivar in Trutnov - und seine Frau Brigitte.

"Als ich vor fünf Jahren Rentnerin wurde und nicht mehr gearbeitet habe, habe ich meinen Mann bei den Suchen in den Archiven unterstützt. Es hat mir viel Spaß gemacht und es macht mir weiterhin Spaß", so Brigitte Kraus.

Mittlerweile sollen sogar Historiker wie Detlef Brandes und Adrian von Arburg, die sich wissenschaftlich mit der Vertreibung beschäftigen, an den Forschungen des Ehepaars Kraus interessiert sein. Dabei betont Erich Kraus:

"Wir wollen keine große Veröffentlichung machen. Wir wollen viel mehr für unsere Kinder und Enkelkinder sowohl auf tschechischer wie deutscher Seite zeigen, wie die Jahre gewesen sind, ohne dass wir das kommentieren."

Vielleicht hinterlassen sie aber den nachfolgenden Generationen noch mehr: nämlich weitere Arbeit. Denn wie Erich Kraus sagt, wisse er nicht, ob er wirklich all die Projekte selbst zu Ende führen werde, die er begonnen hat.

Am 7. August werden wir im Rahmen der Sendereihe "Begegnungen" eine weitere Preisträgerin aus dem deutschsprachigen Raum vorstellen: die österreichische Bohemistin und Übersetzerin Christa Rothmeier.

Fotos: Martina Stejskalova