Grenzüberschreitend malen – Projekt für Menschen mit geistiger Behinderung
Kunst kann vieles – kritisieren, Wissen vermitteln und manchmal auch komisch aussehen. Oder auch Grenzen überwinden – so wie ein Projekt der Diakonie der Evangelischen Kirche der böhmischen Brüder und der deutschen Diakonie Neuendettelsau. Ein Teil der Kunstwerke wird jetzt in Prag ausgestellt.
„In den Bildern können Sie erkennen, welcher Geist bei den gemeinsamen Begegnungen gewirkt hat. Leider können die Bilder nicht vermitteln, welchen herzlichen Umgang die jungen Leute miteinander hatten und wie toll die Atmosphäre bei den Workshops war.“
Die neun Jugendlichen mit geistiger Behinderung erarbeiteten im vergangenen Sommer in sogenannten Artshops Acrylbilder. Gemeinsam gestalteten die vier tschechischen und fünf deutschen Teilnehmer farbenfrohe Kunstwerke. Die Teilnehmer trafen sich an zwei Wochenenden: Zuerst kamen die tschechischen Künstler für drei Tage nach Neuendettelsau – dann die deutschen Jugendlichen für ebenfalls drei Tage nach Plzeň / Pilsen. Gefördert wurde das Projekt vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.
Martin Kastler war als Vertreter des Zukunftsfonds bei der Vernissage. Er ist ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments und sitzt seit 2012 im Verwaltungsrat des Zukunftsfonds. Von dem Projekt „Keine Kunst Grenzen zu überwinden“ ist er begeistert – und nicht nur er, wie Kastler in einem kurzen Interview verrät.
„Es ist ein klasse Projekt“
„Es ist ein klasse Projekt, bei dem man merkt, wie die jungen Leute trotz aller Sprachbarrieren und Hindernisse zusammenkommen. Sie haben sich bei dieser Vernissage in Prag zum dritten Mal getroffen und man hat einfach gespürt, wie sie sich über das Wiedersehen gefreut haben – und natürlich darüber, dass ihre Werke hier gezeigt werden. Die Bilder sind zum großen Teil schon gegen Spenden verkauft worden. Und wenn Menschen zwischen diesen beiden Ländern – zwischen Deutschland und Tschechien – gemeinsam Kunst machen, ist das für die Jugendlichen einfach ein wunderbares Ereignis und Erlebnis.“
Gefördert wurde das Projekt durch den Deutschen-Tschechischen Zukunftsfonds. Das heißt es muss eine Projektinitiative gegeben haben. Von wem ging die aus?„Die Idee kommt aus der evangelischen Kirche, beziehungsweise aus der Diakonie Neuendettelsau und der Böhmischen Brüdergemeinde. Die beiden Institute haben sich zusammengetan und sind dann auf den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds in Prag zugegangen. Zusammen haben die Diakonien einen Antrag gestellt, ob dieses Projekt nicht eine Begegnungsmaßnahme im kulturellen Bereich wäre. Das haben wir im Verwaltungsrat des Zukunftsfonds dann auch so entschieden. Es fand jetzt zum ersten Mal auf dieser Ebene statt, dass Menschen mit Einschränkungen grenzüberschreitend zusammen Kunst gemacht haben.“
Woran messen Sie den Erfolg dieses Projekts?
„Den Erfolg messen wir daran, wie es angenommen wird – bei den Vernissagen in Nürnberg, Pilsen oder jetzt auch in Prag. Und auch daran, wie die Reaktionen auf die Kunstwerke sind, wie viele Leute kommen und sich die Ausstellung über mehrere Wochen hinweg ansehen. Und vor allem ist es natürlich ein Erfolg, dass fast alle Kunstwerke verkauft sind – gegen eine Spende an die Diakonien.“Das Projekt der deutschen und tschechischen Diakonie ist das erste gemeinsame Projekt für Menschen mit Behinderung.
Auf die Anfänge des Projektes blickt René Reinelt. Er ist Leiter des Bereichs Wohnen bei der Diakonie Neuendettelsau und Initiator des Projekts.
Wann ist der Startschuss für das Projekt gefallen?„Letztlich ist er vor drei Jahren gefallen. Wir in Neuendettelsau haben eine Kunstwerkstatt. Dort wurde vor drei Jahren die Idee geboren, ein internationales Kunstprojekt zu initiieren, das Grenzen überwindet.“
An dem Projekt haben auch tschechische Jugendliche teilgenommen. Wie ist es zu dem Kontakt nach Pilsen gekommen?
„Wir haben in der Diakonie Neuendettelsau ein Europa-Institut. Mit der zuständigen Leitung habe ich dann Kontakt aufgenommen, und darüber ist der Kontakt zu der Diakonie der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder zustande gekommen. Mit deren Vertreter Petr Neumann habe ich mich erstmal über das Projekt ausgetauscht. Und als wir dann beide der Meinung waren‚ dass das die Idee eine gute Sache ist, sind wir dann in die Planung gegangen.“
Die jungen Leute sind bei ihrer künstlerischen Arbeit professionell betreut worden. Wie war das Konzept des Projekts?
Unser Konzept ist: ‚Sich mit Kunst auszudrücken‘.
„Unser Konzept ist: ‚Sich mit Kunst auszudrücken‘. Wir wollen Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit geben, sich selbst auszudrücken. Das findet bei uns im Rahmen einer Kunstwerkstatt statt. Und da haben wir die Idee gehabt, ein Projekt zu gestalten, das auch Grenzen überwindet.“
Was hatten Sie für ein Gefühl, wie dieses Projekt bei den jungen Leuten angekommen ist?
„Ich von meiner Seite aus kann sagen: Wir hatten das Ziel, dass sich über die Kunst Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, miteinander in Kontakt kommen. Und das ist gelungen. Wenn man auch heute hier wieder beobachten konnte, die Jugendlichen haben sich gesehen und sind sich sofort in die Arme gefallen. Und ich finde, wenn so etwas bei einem Projekt rauskommt, kann man sich vorstellen, was während der Workshops gelaufen ist. Nämlich, dass sich die Menschen näher gekommen sind und sich, ohne dieselbe Sprache zu sprechen, ausgetauscht haben. Genau das sieht man dann heute, wenn sie sich begrüßen: Sie sprechen nicht dieselbe Sprache und gehören doch zusammen.“Die Worte von René Reinelt, dass sie mittlerweile zusammengehören würden, bestätigten auch die Künstler:
„Unsere Freunde aus Pilsen, die haben wir ins Herz geschlossen. Wir haben uns richtig verbunden. Das Malen hat auch sehr viel Spaß gemacht, und die Stadt Pilsen konnten wir auch ein bisschen angucken – das war richtig toll. Ich vermisse es jetzt schon. Und wenn ich jetzt wieder nach Neuendettelsau gehe, dann denke ich ‚Mann, das war so eine tolle Zeit‘.“Die ausgestellten Bilder zeigen farbenfrohe Muster und Formen, aber auch Interpretationen zum Motto „Grenzen“ – zum Beispiel eine Weltkugel ohne Grenzen. Drumherum haben sich die Teilnehmer mit ihren Handabdrücken verewigt. Für die Künstler bleiben nicht nur ihre Werke, sondern auch die neuen deutsch-tschechischen Freundschaften, die während des Projekts entstanden sind. Einer der deutschen Teilnehmer erinnert sich:
Die Ausstellung „Keine Kunst Grenzen zu überwinden“ ist noch bis zum 30. Mai in der Prager Kirche St. Martin in der Mauer zu sehen. Geöffnet ist die Kirche montags bis samstags von 15 bis 17 Uhr.
„Ich kann mich noch sehr gut an die tolle Zusammenarbeit mit Lenka erinnern. Wir haben die vier Jahreszeiten gemalt: Winter, Frühling, Sommer und Herbst. Das war super.“
Mit der Ausstellung in Prag ist das Projekt offiziell beendet. Die beiden Diakonien wollen ihre erfolgreiche Zusammenarbeit aber fortsetzen. Ziel ist es, dass die tschechisch-deutsche Grenze in Zukunft kein Hindernis mehr ist – auch für Menschen mit Behinderung.