Künstlerin löst Grenze zwischen Werk und Betrachter auf
Die junge Künstlerin Michaela Tkadleček ist vor acht Jahren aus Tschechien nach Deutschland umgezogen, um dort Kunst zu studieren. Aktuell stellt sie ihre Werke in der Vinothek und Galerie „U Posledního soudu“ (Zum jüngsten Gericht) in Prag aus. Die Ausstellung heißt „unveiled yet“, also „noch nicht enthüllt“. MK hat die Künstlerin auf der Vernissage vors Mikrophon gebeten.
Frau Tkadleček, in der Galerie „Zum jüngsten Gericht“ im Prager Stadtteil Vinohrady wird heute Ihre Ausstellung eröffnet. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie hier Ihre Werke ausstellen?
„Eigentlich war das ein totaler Zufall. Mein Vater ist mal hierhergegangen, um Wein zu trinken. Er hat erwähnt, dass es diese Vinothek gibt und sie einen netten Besitzer hat, der Kunst ausstellt. Ich studiere, und damals war das für mich etwas ganz Neues. Ich habe Herrn Václav angesprochen, er hat sich angeschaut, was ich so mache, und war damit einverstanden. Es war das erste Mal. Und jetzt hat er mich nach zwei Jahren wieder gefragt, ob ich Lust hätte, etwas auszustellen. Ich habe zugesagt, weil ich diesen Ort sehr mag.“
Was stellen Sie dieses Mal hier aus?
„Es sind Zeichnungen und Malerei, aber auch Objekte und Installationen – je nachdem, wie man es betrachtet. Die Werke sind auf handgeschöpftem japanischem Papier, das sehr stabil ist. Es sieht aus wie eine Leinwand, ist aber auch sehr leicht. Das Papier reagiert sehr schnell auf die Bewegung der Luft oder der Menschen, die sich in der Nähe befinden. Durch diese Bewegung entsteht aus dem Zweidimensionalen das Dreidimensionale. Die Arbeiten sind nur oben am Rand befestigt. Dadurch können sie bei einem Luftzug auch in den Raum hineinflattern.“
Welche ist die Hauptidee der Ausstellung?
„Es ist eben diese Verbindung. Es geht darum, dass sich die Grenze zwischen dem Werk und dem Betrachter irgendwo auflöst, dass man zusammen etwas schafft. Es ist nicht ein Werk, dass man sich anschaut, sondern man wird hineingezogen. Man nimmt das am Anfang nicht wahr, sondern fließt langsam hinein und merkt: Da reagiert etwas auf mich, da bin ich auf einmal ein Teil von etwas.“
Wurden diese Werke schon irgendwo gezeigt?
„Es ist das erste Mal. Die Werke sind mir auch sehr wichtig, sie sind ein Teil meiner Seele. Ich bin auch sehr glücklich über diesen Ort. Hier kommen komplett unterschiedliche Menschen hin. Es ist ja nicht ein ausgewähltes Publikum wie in einer White-Cube-Galerie.“
Sie sind eine tschechisch-deutsche Künstlerin. Was bedeutet das?
„Ich wurde in Tschechien geboren und habe bis zu meinem 20. Lebensjahr in Prag gewohnt. Danach bin ich nach Deutschland umgezogen. Denn meine Mutter kommt aus Deutschland, und ich habe mir gedacht: ‚Ja, das ist das Land, das mir irgendwie am nächsten liegt, und es wäre gar nicht so schlecht, dieses Land zu entdecken und dieses Gefühl in mir zu unterstützen‘.“
Sie sind nach München gegangen, um dort Kunst zu studieren, oder wie war das?
„Ganz zu Anfang habe ich in Neugablonz angefangen. Dies ist eine Stadt im Allgäu, die von vertriebenen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Da gibt es eine kleine Berufsfachschule, an der ich eine Ausbildung zur Glasmalerei gemacht habe. In dieser Zeit habe ich eine Faszination für Licht und Bewegung entwickelt, was auch die Arbeiten in dieser Ausstellung irgendwie reflektieren. In Neugablonz lagen die Schwerpunkte eher auf dem Restaurieren und der Tradition, ich wollte aber freier arbeiten und meinen eigenen Ausdruck finden. Durch einen Lehrer, mit dem ich immer zur Jahresausstellung an der Münchner Akademie gefahren bin, habe ich die Münchner Akademie entdeckt. Dort gibt es eine sehr gute Glasmalereiwerkstatt. Und da habe ich mir gedacht, ich probiere es mal. Ich hab alles auf eine Karte gesetzt, und es hat geklappt.“
Kommen Sie oft auch nach Tschechien zurück? Leben Sie zwischen den beiden Ländern, oder sind Sie mittlerweile in Deutschland fest verankert?
„Ich wohne schon eher in Deutschland als in Tschechien. Hierzulande besuche ich immer wieder meine Familie und meine Freunde, das ist mir auch wichtig. Aber eigentlich lebe, arbeite und studiere ich in München.“
Planen Sie, als freischaffende Künstlerin zu arbeiten?
„Ich bin gerade noch am Anfang. Das ist für mich aber die ganze Zeit ein Thema, denn natürlich würde ich das gerne professionell machen. Nur gibt es ein paar Fragezeichen dadurch, dass ich noch studiere. Aber ich werde bald mein Diplom machen. Es ist tatsächlich mein Ziel. Oder mein Weg – je nachdem, wie man es betrachtet.“
Wir treffen uns hier in Prag kurz nach dem durch die Corona-Pandemie verursachten Lockdown. Die Grenze zwischen Tschechien und Deutschland wurde erst vor ein paar Tagen geöffnet. Was hat das für die Vorbereitung der Ausstellung bedeutet? Wann konnten Sie hierherkommen?
„Ganz ursprünglich sollte die Ausstellung am 19. Mai anfangen, dann wurde die Vernissage auf den 28. Mai verschoben. Das war schon kompliziert, weil ich natürlich einen negativen Corona-Test haben musste. Da ging etwas schief, ich hatte nicht die Krankheit, habe aber dieses negative Ergebnis beim ersten Mal nicht bekommen, und dadurch hat sich wieder alles verschoben. Das war schon sehr stressig, denn natürlich hat es auch andere Menschen betroffen.“
Bis wann ist die Ausstellung in Prag zu sehen?
„Die dauert bis 7. Juli. Auch die Hörer sind herzlich eingeladen vorbeizuschauen. Ich werde auf jeden Fall in den letzten Tagen der Ausstellung noch einmal hier sein.“