Größenwahn aus Stein: Nazi-Pläne zur Umgestaltung Prags
Die Nationalsozialisten mit ihrem Führer Adolf Hitler an der Spitze hatten einige größenwahnsinnige Pläne, wie zum Beispiel der gigantomanische Umbau von Berlin. Wenig bekannt ist, dass auch Prag umgestaltet werden sollte, und zwar in eine „deutsche Stadt“. Dazu wurden zahlreiche Pläne ausgearbeitet.
Es war der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop, der 1939 Hitlers Dekret über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren verlas. Die deutschen Truppen erreichten am Vormittag des 15. März 1939 Prag, die Besetzung der Tschechoslowakei erfolgte rasch und ohne Gegenwehr. Zwar sollte der Status eines Protektorats den Tschechen kulturelle Autonomie und politische Selbstverwaltung garantieren, de facto aber kontrollierten die deutschen Behörden das Land. So auch in Prag. Faktisch hatte die Hauptstadt des Landes einen tschechischen Oberbürgermeister: Otakar Klapka. Er wurde jedoch von seinem Stellvertreter, dem Deutschen Josef Pfitzner, kontrolliert. Pfitzner war es auch, der für eine massive Germanisierung Prags eintrat. Sein erster Schritt war, die Prager Straßennamen deutsch umzubenennen. In einem Interview sagte er dazu 1940:
„Nun steht es eindeutig und streitlos fest, dass deutsche Geschlechter seit der Begründung der Stadt einen bedeutenden Anteil an dem Auf- und Ausbau dieser unvergänglich schönen Moldau-Stadt besitzen. Es war daher nichts anderes als ein Akt der Gerechtigkeit, wenn wir uns bemühten, nunmehr auch den Jahrhunderte alten deutschen Leistungsanteil entsprechend zur Geltung zu bringen.“Dazu sollten aber nicht nur einfache Namensänderungen beitragen. Die Behörden planten auch den Umbau Prags in eine Stadt mit „deutschem Charakter“. Praktischerweise war 1939 bereits eine Planungskommission für Prag und Umgebung entstanden. Leiter dieser Kommission sollte eigentlich der berühmte tschechische Architekt und Stadtplaner Josef Gočár werden. Doch es kam anders. Der Historiker Miloš Hořejš hat das Buch „Protektorátní Praha jako německé město“ (Das Protektorats-Prag als deutsche Stadt) veröffentlicht:
„Die Planungskommission hatte sehr große Kompetenzen. So etwas hatten die Architekten der Urbanistik in den 1920er und 1930er Jahren immer gefordert. Diese Kompetenzen erhielten die Architekten aber erst mit dem Entstehen der Planungskommission im Jahr 1939, die leider dann unter die Aufsicht der deutschen Besatzungsbehörden fiel. Der eingesetzte Vorsitzende und sein Stellvertreter waren Deutsche, und die Pläne wurden dann natürlich unter anderen Vorzeichen verwirklicht, als sich das die tschechischen Stadtplaner vorgestellt hatten.“ Die Kommission hatte noch weitere Mitglieder, zu denen auch zahlreiche Tschechen gehörten, zum Beispiel Pavel Smetana, Max Urban oder Jan Sokol. Allerdings konnten nur der Vorsitzende und sein Stellvertreter Entscheidungen treffen, die restlichen Mitglieder hatten nur beratende Funktion.„Die Pläne dieser Kommission waren von Beginn an sehr hochtrabend. Sie griff auf Ideen zurück, die schon vorher, in den 1920er und 1930er Jahren, kursierten. Eines der Hauptziele der Planungskommission war die Lösung der Verkehrsprobleme in Prag, sowohl in der Innenstadt, als auch in den Randbezirken.“
So sah die Planungskommission bereits damals eine breite Magistrale vor, als Nord-Süd-Verbindung mitten durch die Prager Innenstadt. Sie sollte am Hauptbahnhof vorbeiführen, im Norden die Moldau queren sowie im Süden mittels einer Brücke über das Nusle-Tal den Stadtteil Pankrác anbinden. Schaut man sich das heutige Prag an, erkennt man auf den ersten Blick, dass diese Pläne offensichtlich nach 1945 weiterverfolgt wurden. Denn genau diese Achse dominiert die Stadt Prag auch heute. Miloš Hořejš:„Die Transversale, oder wie wir sie heute nennen, die Magistrale, entspricht mehr oder weniger dem, was die Planungskommission während des Zweiten Weltkriegs zum Ziel hatte. Dazu gehört die Nusle-Brücke, die Prager Magistrale selbst, und auch Teile des Prager Rings. Das lag alles schon Ende der 1930er und zu Beginn der 1940er Jahre auf dem Tisch.“
Auch die Pläne für den Prager öffentlichen Nahverkehr stammen noch aus dieser Zeit, sagt der Historiker:
„Ein Problem des Prager öffentlichen Nahverkehrs war die Notwendigkeit, die Bahnen in den Untergrund zu verbannen, also die Schaffung einer Untergrundbahn. Das war eine Kernaufgabe der Planungskommission.“Und auch hier lässt sich erkennen, dass die Ideen der Planungskommission nach dem Krieg aktuell blieben. In groben Zügen sieht das heutige Metrosystem nämlich durchaus dem damals angedachten Streckennetz von unterirdischen Schnellbahnen ähnlich. Damals war keine vollständige Metro vorgesehen, wie sie später nach sowjetischem System entstand, sondern eine Art Stadtbahn, wie man sie zum Beispiel aus Köln oder dem Ruhrgebiet kennt. Sogar die Fahrzeuge hatten die Architekten schon entworfen, sie ähnelten den bekannten Prager Straßenbahnen vom Typ T3, wirkten allerdings viel futuristischer.
Diese genannten Vorschläge der Planungskommission klingen auch heute nach vernünftiger Stadtplanung in einer modernen Metropole. Doch tatsächlich lassen sich auch monumentale Bauvorhaben finden, wie sie Albert Speer und Adolf Hitler in Berlin vorhatten. Zum Beispiel sollte das tschechische Gemeindehaus in der Altstadt abgerissen und durch eine Konzerthalle ersetzt werden. Der Entwurf des Architekten Theis sah einen neoklassizistischen Säulenbau vor, der an den historischen Pulverturm anschließen sollte. Daneben, am heutigen Platz der Republik, war die Errichtung eines monumentalen Opernhauses vorgesehen. Außerdem sollte der Hauptbahnhof ebenfalls im neoklassizistischen Stil umgebaut und der Vorplatz großzügig angelegt werden, umgeben von modernen Verwaltungsbauten und einem Turm. Die Altstadt sollte aber verschont bleiben, sagt Hořejš:„Die deutschen Architekten betrachteten die Altstadt als Kleinod, das in seinem ursprünglichen Zustand erhalten bleiben sollte. Natürlich kam das auch aus dem Gedanken heraus, dass dort Relikte deutscher Architektur seien, also der deutschen Gotik, der deutschen Renaissance und des deutschen Barocks. Hier spielte die Ideologie erneut eine Rolle. Die Umsetzung der monumentalen Bauten sollte eher am Stadtrand von Prag erfolgen und nicht in das direkte Stadtzentrum vordringen.“ Auf dem Gelände des Bahnhofs Bubeneč sollte ein monumentales modernes Verwaltungszentrum entstehen. Der Entwurf dazu stammte vom Architekten Langhammer und trug, ebenso wie eine riesige Ehrenhalle, neoklassizistische Züge.Im Norden der Stadt wollten die Planer ein weiteres Projekt realisieren: eine Siedlung für die deutschen Einwohner der Stadt. Am Ufer der Moldau, hinter dem Schloss Troja, planten sie eine in sich geschlossene Siedlung im so genannten Heimatstil. Solche Siedlungen waren auch in den Stadteilen Bubeneč, Dejvice, Holešovice sowie Petřiny und Baba vorgesehen. In diesen Vierteln sollten die Deutschen konzentriert leben, getrennt von den Tschechen. Realisiert wurde von all diesen Ideen nur wenig, sagt Historiker Hořejš:
„Ergebnisse der Planungskommission gab es nur wenige, denn die Umsetzung lief sehr langsam. Es sind nur Häuser der Kolonie in Bubeneč und die dritte und vierte Eisenbahntunnelröhre unter dem Stadtteil Vinohrady entstanden, sowie einige nicht betriebene Teile des Prager Rings. Und natürlich sind sehr viele nicht realisierte Pläne und Ideen in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien erhalten geblieben.“Die Kolonie in Bubeneč war übrigens das Lieblingsprojekt des stellvertretenden Prager Oberbürgermeisters Josef Pfitzners. Er besorgte sogar für die Umsetzung finanzielle Mittel, so dass die bis heute bestehenden Häuser gebaut werden konnten. Allerdings war der Einfluss Pfitzners auf die Kommission begrenzt, denn sie wurde vom Staatsminister des Protektorats eingesetzt, nicht von der Stadt Prag.