Happy End und Kundera: tschechische Literatur-Akademie vergibt Preise
Auch wenn sie einen stolzen Namen trägt - die Akademie der tschechischen Literatur ist noch eine junge Institution. Erst seit zwei Jahren besteht die Vereinigung, die sich zur Aufgabe gestellt hat, die Entwicklung der Literatur in Tschechien zu fördern. Und erst zum zweiten Mal wurden nun auch Literaturpreise der Akademie vergeben - unter anderem an Milan Kundera für sein Lebenswerk.
Vor allem diejenige Literatur möchte die Akademie unterstützen, die nur wenige Aussichten auf kommerziellen Erfolg hat, sagt die Schriftstellerin und Präsidentin der Akademie Eva Kanturkova:
"Preise werden zwar an sich schon eine ganze Reihe vergeben - der Staatspreis, der Seifert-Preis, der Preis der Verleger - aber uns schien, dass es noch eine gewisse Lücke bei den wirklich künstlerischen, nicht kommerziell ausgerichteten Werken gibt. Bei uns wählen Autoren die Preisträger aus, nicht Verleger, wie das sonst meist ist, und das garantiert, dass die Arbeiten künstlerisch wirklich hoch stehend sind."
Das gilt zweifellos auch für den Autor, dem die Mitglieder der Akademie den diesjährigen Ladislav-Fuks-Preis für das Lebenswerk zugesprochen haben - auch wenn gerade bei ihm auch der kommerzielle Erfolg nicht ausgeblieben ist: Die Auszeichnung geht an Milan Kundera, den wohl bekanntesten tschechischstämmigen Gegenwartsautor - eine einstimmige Entscheidung der Akademie, wie Präsidentin Eva Kanturkova betont. Schwieriger sei es dagegen gewesen, den bereits seit Mitte der 1970er Jahre in Frankreich lebenden, gegenüber seiner alten Heimat nicht selten unwirsch auftretenden Kundera zu der Annahme des Preises zu bewegen. Das klang auch in dem Dankesschreiben durch, das der nicht selbst anwesende Kundera von einem Freund verlesen ließ:
"In einem fortgeschrittenen Lebensalter bedeutet Beifall für einen Schriftsteller nichts mehr. Wenn ihn etwas verletzt, dann Gehässigkeit und nicht Misserfolg. Wenn ihn etwas freut, dann nicht Erfolg, sondern Sympathie."
Erst vor kurzem hatte Milan Kundera in seiner Heimat nochmals einen Sturm auf die Buchhandlungen ausgelöst, als nämlich sein Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" erstmals offiziell in Tschechien erschien - zuvor war er nur in einem Exilverlag erhältlich gewesen. Dennoch hält der 1929 in Brünn geborene Kundera Abstand zu seiner alten Heimat; seit langem schon schreibt er nur noch auf Französisch. Wie passt das zu einer Auszeichnung, die lebenslange Verdienste um die Förderung der tschechischen Literatur würdigen soll? die Akademievorsitzende Eva Kanturkova sieht darin keinen Widerspruch:"Wir sehen Kundera als tschechischen Autor an! Auch wenn er jetzt französisch schreibt und seine Werke erst ins Tschechische übersetzt werden. Kundera ist ein sehr eigenwilliger Autor, er lebt in Paris und tritt in der tschechischen Öffentlichkeit praktisch nicht auf. Aber die Themen seiner Bücher kommen fast alle aus Tschechien, die Geschichten schöpfen aus Erinnerungen und Erfahrungen, die von hier stammen. Überall fühlt man eine gewisse nostalgische Verbundenheit zur alten Heimat. Und wenn Kundera sich wirklich nicht mal ein kleines bisschen als tschechischer Autor fühlen würde, dann hätte er sicher nicht seine Zustimmung zu dem Preis gegeben."
Neben dem Preis für das Lebenswerk hat die Akademie für tschechische Literatur am vergangenen Mittwoch im Prager Klementinum auch die beste Neuerscheinung der vergangenen drei Jahre gewürdigt. Ausgezeichnet wurde der 2005 erschienene Roman "Happy End" von Daniela Fischerova. Die 1948 in Prag geborene Schriftstellerin hatte sich in den 70er und 80er Jahren vor allem mit Rundfunk- und Theaterarbeiten einen Namen gemacht. Mehrere Stücke und Inszenierungen von Fischerova wurden von der Zensur verboten. Der Mensch muss seine Freiheit aber nicht nur in der Auseinandersetzung mit der Macht verteidigen, erinnerte als Laudator der Autor und Journalist Frantisek Cinger:
"Die Zivilisation hat eine virtuelle Realität des gesellschaftlichen und privaten Lebens entstehen lassen. Ein System gefühlloser Spiegel macht sich unser Antlitz, unsre Erscheinung und unsere Taten zu eigen, und wir wissen oft gar nicht mehr, welche Gestalt, welche Entscheidung eigentlich unsere eigene ist, und wann uns die Manipulatoren mit ihren Spiegeln nur verspotten. In diesen Momenten müssen wir zu unseren Wurzeln zurückfinden und uns fragen: Wer bin ich, was bestimmt mich? Welcher genetische, familiäre, soziale, persönliche Code trägt meine Existenz? Will ich so sein oder will ich mich ändern? Und überhaupt: Was will ich erreichen, und mit welchen Mitteln."
Das sind auch die Fragen, die Daniela Fischerova in ihrem Roman "Happy End" beschäftigen, ihrem ersten großen Prosawerk. Es ist eine Geschichte um Realität und Fiktion, um Sinn und Identität. Dr. Mondspiegel arbeitet als Dramaturg einer Reality-Show, zugleich kommt ihm aber die Realität des eigenen Lebens immer mehr abhanden, bis sich ihm schließlich die Frage nach dem eigenen Ich stellt. Autorin Daniela Fischerova schickt ihn auf eine Suche, die in verwirrende Zusammenhänge führt:
"Das ist ein schwieriges Buch, und ich spreche jetzt gegen meine eigenen Interessen: Das ist keine leichte Lektüre. Das sage ich nicht, um mich damit zu rühmen, sondern um die Leser zu warnen. Das Buch besteht aus drei umfangreichen Geschichten, die jeweils in einer ganz anderen Zeit spielen - in den dreißiger Jahren, den fünfziger Jahren und heute. Alle drei Geschichten sind auf komplizierte Weise miteinander verbunden und ineinander verwoben, und es sind alles Geschichten mit einem Geheimnis, Geschichten über verwechselte Identitäten, über Menschen, die in die Irre geführt wurden und selbst nicht wissen, wer sie sind."
Auf Deutsch liegt von Daniela Fischerova derzeit nur der Erzählband "Nah und fern" vor, 2002 im Berliner Elfenbein-Verlag erschienen. Deutsche Anklänge aber finden sich aber auch in dem Roman "Happy End" - etwa der deutsche Name des Helden - Dr. Mondspiegel.
"Das ist natürlich ein so genannter sprechender Name, den ich mir ausgedacht habe - ich kenne niemanden, der so heißt. Aber mit der Bedeutung Mond / Spiegel wird im Text viel gespielt. Der zweite männliche Hauptheld des Romans lebt übrigens als Emigrant in der Schweiz und kämpft sein ganzes Leben lang damit, dass er zwar eine ganze Reihe von Sprachen beherrscht, aber nie den Graben zum Schweizerdeutsch überwindet."
Von weiteren deutschen Reminiszenzen konnte sich das Publikum bei der Preisverleihung im Prager Klementinum dann noch selbst überzeugen, als Daniela Fischerova einen Auszug aus ihrem Roman vortrug: