„Bücher gehören in die Bibliothek“
Milan Kundera regelt seinen Nachlass. Der 91-jährige Schriftsteller vermacht der Mährischen Landesbibliothek in Brno / Brünn eine umfangreiche Sammlung mit verschiedenen Ausgaben seines Werks sowie persönliches Archivmaterial. In seinem Geburtsland, das Kundera in den 1970er Jahren in Richtung Frankreich verlassen hatte, sorgte die Ankündigung für Freude.
Im Herbst bereits soll die Sammlung ihren Weg von Paris nach Brünn antreten. Dort wird Kunderas Teilnachlass in der Mährischen Landesbibliothek ihren Platz finden. In der Pressemitteilung der zweitgrößten tschechischen Bibliothek fand sich vergangene Woche ein knapper Kommentar von Kundera selbst:
„Ich denke, Bücher gehören in die Bibliothek. Es ist also logisch, dass ich sie der Mährischen Landesbibliothek gebe.“
Tomáš Kubíček ist der Leiter der Bibliothek. Als Biograph und Autor der Ausstellung „Milan Kundera – (Nicht) Verloren in der Übersetzung“ arbeitet er bereits seit Langem eng mit dem Autor zusammen. Er sprach vergangene Woche von einem „riesigen Geschenk“:
„Wenn wir wollen, können wir es natürlich symbolisch lesen. Kundera kehrt mit diesem Geschenk de facto in seine Geburtsstadt zurück. Die Bibliothek wird sogar unweit seines Geburtshauses ihren Platz finden, denn die Mährische Landesbibliothek befindet sich zwischen dem Zentrum und dem Stadtteil Královo pole, wo Kundera zur Welt kam. Man kann darin also auch eine Rückkehr Kunderas zu seinen Wurzeln sehen.“
Die Schenkung besteht zum einen aus mehreren tausend Ausgaben von Kunderas Werken in Tschechisch und über vierzig weiteren Sprachen. Bis zur Übergabe soll diese Sammlung nach Absprache mit dem Lizenzverwalter noch um weitere Bände ergänzt werden. Noch interessanter für die Forschung ist laut Tomáš Kubiček jedoch der zweite Teil des Geschenks, nämlich Archivmaterial des Autors:
„Dieses Archiv umfasst Buchausschnitte, Artikel und Kritiken zu Kunderas Romanen und Essays, die die Herausgeber von Kunderas Werken im Laufe der Jahre gesammelt haben. Tschechische oder ausländische Forscher können auf der Grundlage dieser Sammlung über die Rezeption von Kunderas Werk in jedweder Kultur schreiben und auch vergleichende Arbeiten anstellen. Das ist eine unglaublich interessante Sache, denn Kundera ist ja ein weltweit gelesener Autor, und so zeigen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten.“
Unter dem Material befinden sich auch Fotos und von Kundera selbst angefertigte Zeichnungen. Während das Archiv bis Ende nächsten Jahres in digitaler Form zur Verfügung stehen soll, ist für die Sammlung ein eigener Platz im Lesesaal vorgesehen. Tomáš Kubíček:
„Die Vorstellung ist, dass die Sammlung in einem öffentlichen Lesesaal zugänglich sein wird und zugleich als Ort für Lesungen, für Diskussionen und Debatten dienen soll. Wir wären froh, wenn wir an diesem Leseort auch ein kulturelles Programm auf die Beine stellen könnten, zu dem wir tschechische und internationale Autoren einladen. So wie es eben auch der Bedeutung Kunderas und seinem Werk entspricht, das ja eigentlich die tschechische Literatur mit der Weltliteratur verbindet.“
1975 hatte Kundera die Tschechoslowakei verlassen und lebte zunächst als Dozent in Rennes, bevor er sich 1978 dauerhaft in Paris niederließ. Seit den 1990er Jahren publiziert er in französischer Sprache. Die Schenkung lässt sich als weitere Etappe der beidseitigen Annäherung zwischen Kundera und seiner früheren Heimat lesen. Erst im vergangenen Jahr hatte Kundera seine Staatsbürgerschaft zurückerhalten.