Symbolische Rückkehr in die Heimat: Privatbibliothek von Milan Kundera von Paris nach Brünn überführt
Milan Kundera, einer der wichtigsten tschechischen Gegenwartsautoren, lebt seit 1975 in Frankreich. Obwohl der heute 93-Jährige selbst die Rückkehr in die Heimat schon lange nicht mehr erwägt, ist seine Privatbibliothek nun aber in Kunderas Geburtsstadt Brno / Brünn überführt worden.
Der Umzug war jahrelang geplant und wurde wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschoben. Am Freitag vergangener Woche ist die Privatbibliothek von Milan Kundera nun endlich in Brünn eingetroffen. Tausende Bücher – eigene Werke sowie die anderer Autoren – und zwei gemalte Bilder hat der Leiter der Mährischen Landesbibliothek, Tomáš Kubíček, direkt in Paris abgeholt.
Der ganze Vorgang fand unter der Regie von Kunderas Ehefrau Věra statt. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks beschrieb sie mit bewegenden Worten, was sie bei Abfahrt der Lieferwagen empfand:
„Die Antwort ist sehr einfach: tiefe Trauer über zwei zu Ende gehende Leben. Die zwei Leben enden damit, dass die Bücher nach Brünn gelangen. Es gibt uns Frieden, dass sie eben in Milans Geburtsstadt zurückkehren. Somit kommt er dort wieder mit seiner Mutter und seinem Vater zusammen. Und für uns ist es beruhigend, dass Tomáš Kubíček sicher sehr sorgfältig Acht geben wird auf das, was er mitgenommen hat.“
Die Bücher hätten nicht nur das Leben des Ehepaars ausgefüllt, sondern auch ihre Pariser Wohnung, fährt Věra Kundera fort:
„Dort herrscht jetzt totale Leere, ich habe dies auf Fotos festgehalten. Es ist schrecklich und schwer anzusehen. Mit der Bibliothek und dem Archiv sind auch die beiden Leben gegangen.“
Sie hätten sich trotzdem für die Abgabe der Bücher und Schriften entschieden, um das Werk Milan Kunderas zu erhalten, betont die Ehefrau. Seine Bibliothek solle dorthin zurückgeführt werden, wo sie einst ihren Anfang genommen habe.
Die Vorbereitungen auf den Umzug haben viel Zeit und Arbeit in Anspruch genommen. Věra Kundera hat die Bände geordnet und katalogisiert…
„Daran arbeite ich im Prinzip schon seit 40 Jahren. Milan hat die Bücher zwar geschrieben, aber ich bin die Archivarin und kenne sie alle. Ich weiß genau, was Tomáš Kubíček nach Brünn mitgenommen hat.“
Der Leiter der Mährischen Landebibliothek weist auf einen eleganten Band, den er einer der Kisten entnimmt:
„Dies ist eine Auszeichnung, die Milan Kundera bekommen hat, und zu ihr gehörte eine Ausgabe der Essais von Montaigne. Schwer zu sagen, welches der Bücher den größten Schatz darstellt. Ich meine, alles zusammen ist ein echter Schatz.“
Auch das Tschechische Zentrum Paris war in die Umzugsaktion involviert. Dessen Leiter Jiří Hnilica betont die Bedeutung des Vorgangs:
„Für mich ist dies eine wunderbare Episode der tschechischen Kultur. Sie begann in den 1970er Jahren mit dem Weggang dieses großen tschechischen Schriftstellers. Nun findet sie ihren Höhepunkt, indem der Künstler in seine Geburtsstadt Brünn zurückkehrt. Es ist schön, dabei zu sein.“
In Südmähren beginnt nun sozusagen eine weitere Episode. Im neu errichteten Gebäude der Milan-Kundera-Bibliothek in Brünn wird bereits seit Juni das Archiv des Ehepaares Kundera aufgearbeitet und digitalisiert. Es enthält etwa die Korrespondenzen mit den Verlegern oder auch Dutzende Literaturpreise. Mit den Tausenden gerade angekommenen Büchern wird nun ähnlich verfahren. Die Bibliothek soll nicht nur Studierenden und Wissenschaftlern dienen, sondern auch der breiten Öffentlichkeit. Spätestens im Februar kommenden Jahres wird sie eröffnet.