Romancier von Weltformat: Milan Kundera ist tot
Einer der wichtigsten tschechischen Autoren ist tot. Milan Kundera starb am Dienstag im Alter von 94 Jahren in Paris. Ein Nachruf.
Sein größter Publikumserfolg war der Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, der zudem verfilmt wurde. Nun ist Milan Kundera mit 94 Jahren gestorben. Geboren wurde er in Brno / Brünn, lebte aber nach seiner Emigration 1975 in seiner zweiten Heimat Frankreich. Kundera gilt als einer der größten tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Tomáš Kubíček ist Leiter der Mährischen Landesbibliothek in Brünn. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er:
„Kundera gehörte sicher zu den wichtigsten Schriftstellern der Welt. Das zeigt sich schon allein an der Zahl der Sprachen, in die seine Bücher übersetzt wurden. Es sind heute 54, wobei rund 3000 Auflagen in der ganzen Welt erschienen. Das heißt, die Leser haben entschieden, dass Kundera zum Kanon der Weltliteratur gehört.“
Zu Anfang seiner schriftstellerischen Karriere galt Kundera noch als hoffnungsvoller kommunistischer Autor. Ab den 1960er Jahren wurde er aber zu einem Gegner des Regimes.
Doch Kundera selbst wollte sein Schreiben nicht aufs Politische reduziert sehen. Und er hielt gerade den Roman für die beste Form, um gegen solche Vereinfachungen anzukämpfen. So sagte er Mitte der 1970er Jahre in einem Radiointerview für die ARD:
„Der Roman ist die Kunst der Ironie. Er ist eine Konfrontation von Figuren, das heißt die Begegnung von verschiedenen relativen Wahrheiten. Die Welt des Romans ist die Welt der Relativität, die Welt der Démystification. Wo die Ideologien ihre simplifizierenden Wahrheiten in die Welt hinausposaunen, zeigt der Roman mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen die Relativität der Dinge und bezeugt sein Einverständnis mit den menschlichen Irrtümern. Seiner Struktur nach, seinem Wesen nach ist der Roman vehement antiideologisch eingestellt.“
Sein Romandebüt feierte der Autor 1967 mit „Der Scherz“ (Žert). Gerade im Umgang mit dem Genre „Roman“ liegt auch die Bedeutung des Schriftstellers…
„Kundera gelang es, in den Roman etwas einzufügen, was die Weltliteratur durchgehend versucht – und zwar eine essayistische Denkweise. Der Roman sollte so etwas werden wie ein Abenteuer des Kennenlernens des Menschen, seines Bezugs zur Geschichte und seiner Beziehung zu den anderen Menschen. Am stärksten hat sich Kundera also für das Individuum, für den Menschen interessiert. Damit entwickelte er eine humanistische Botschaft des europäischen Romans“, so Kubíček.
Thematisch-inhaltlich schaffte es Milan Kundera, in Frankreich nahtlos an seine Werke aus dem vorherigen Schaffensabschnitt in der Tschechoslowakei anzuknüpfen. Jedoch habe sich sein Stil im Laufe der Jahre verändert, erläutert der Bohemist und Literaturhistoriker Kubíček:
„Der Romanstil wurde zunehmend analytischer. Er wog jedes einzelne Wort ab, im Grunde war er ein Semiotiker. Und dies zeigte sich auch im Stil, der immer reduzierter wurde, aber diamantengleich geschliffen war.“
Ab den 1990er Jahren schrieb Kundera nicht mehr auf Tschechisch, sondern auf Französisch. Ebenso tat er sich schwer mit der tschechischen Gesellschaft nach der Wende und ihrem Umgang mit Emigranten beziehungsweise Re-Emigranten. Dem Schriftsteller war bereits 1979 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft entzogen worden. Erst 40 Jahre später, im Herbst 2019, wurde er wieder eingebürgert. Es scheint, als habe sich Milan Kundera zuletzt ausgesöhnt mit seiner früheren Heimat. Davon zeugt auch, dass in diesem Jahr sein Archiv in die Mährische Landesbibliothek überführt wurde.