Havel: Transformation der NATO ist erforderlich

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Zu den Begleitveranstaltungen des Prager NATO-Gipfels zählt auch eine Konferenz des Aspen-Instituts mit dem Titel Transformation der NATO, die am Mittwoch von Präsident Václav Havel eröffnet wurde. Havels Vortrag auf der Konferenz war voraussichtlich die letzte große Rede des in Kürze aus dem Amt scheidenden tschechischen Präsidenten vor einem breiten internationalen Publikum. Martina Schniebergová fasst die Hauptgedanken von Havels Ansprache zusammen:

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Der tschechische Staatspräsident unterstrich, der Hauptgegner der Werte, die von der NATO verteidigt werden, sei heutzutage keine Groß- oder Staatsmacht, sondern das Böse, das über die ganze Welt versprengt sei. Es sei - so Havel - umso gefährlicher, je schwieriger es greifbar oder für die Menschen begreiflich sei. Aus diesem Grund sei eine Transformation der Nordatlantischen Allianz erforderlich, die Allianz müsse imstande sein, neuen Bedrohungen wie z. B. Terroranschlägen entgegenzuwirken. Sie dürfe nicht mehr ein großes, aber ein wenig leeres System darstellen, das über viele Befehlshaber ohne Armee und viele Ausschüsse und Kommissionen ohne bedeutenden Einfluss verfüge. Die NATO müsse imstande sein, schnell Entscheidungen zu treffen und entweder ihre ständigen Schnelleinsatztruppen oder spezialisierte Einheiten verschiedener Armeen zu entsenden, meinte der Präsident.

Diese müssten imstande sein, den modernen Risiken - wie dem Terrorismus oder den ABC-Waffen - entgegenzuwirken, sagte der Präsident. Auch wenn es nicht jedem gefalle, sollte wenigstens ein Teil dieser Truppen nicht nur militärischen Charakter, sondern gewissermaßen auch den Charakter einer Polizei haben. Havel zufolge werde eine entsprechende Transformation der NATO nur durch Bürokratie, Trägheit sowie durch Jahre lang gepflegte Gewohnheiten gebremst, die bei ihren Trägern Angst vor Neuem erwecken. Der tschechische Präsident wies darauf hin, dass die jetzige explosive Erweiterung davon zeuge, dass die Nordatlantische Allianz nicht eine Art Klub von Veteranen des Kalten Krieges, sondern eine Organisation sei, die den gesamten euroamerikanischen Kulturraum umfasse - ohne Rücksicht darauf, wer einst Anspruch auf dessen einzelnen Teile erhoben hatte. Europa dürfe - so Havel - nicht mehr über die Köpfe seiner Bewohner hinaus - in Einflusssphären geteilt werden. Bei der Erweiterung der NATO kommt man Havel zufolge nicht um die Frage herum, wann und wo dieser Prozess enden sollte. Die Grenzen sind nach seinen Worten in dem Raum zu suchen, der durch die gemeinsamen Traditionen des Westens gegeben sei, zu denen der ganze Balkan, nicht aber Russland gehöre. Der Präsident stellte in diesem Zusammenhang fest:

Mir persönlich scheint nur soviel sicher zu sein, dass neben den Staaten, die morgen zum NATO-Beitritt eingeladen werden, auch weiteren Balkan-Staaten früher oder später die Mitgliedschaft in der NATO angeboten werden sollte - das heißt im einzelnen Kroatien, Albanien, Mazedonien, Serbien, Montenegro und Bosnien und Herzegowina. Und dies sollte sogar bereits jetzt klar gesagt werden.

Präsident Havel erinnerte daran, dass sich die nordamerikanische sowie die europäischen NATO-Stützen gegenseitig brauchen werden. Die Europäer sollten sich bewusst darüber werden, dass die USA ein Spiegel der europäischen Zivilisation seien, da sie von den Europäern gegründet wurden. Aus diesem Grund sollten sie Verständnis für den Mangel an Sensibilität, die Tolpatschigkeit oder Überheblichkeit der USA zeigen, meinte Havel. Amerika sollte sich wiederum vergegenwärtigen, dass es seine Größe und Stärke vorwiegend seinen europäischen Zivilisationswurzeln verdankt. Außerdem sollte Amerika einsehen, dass es Europa vielleicht noch brauchen werde, um das Prinzip des Gleichgewichts in einer multipolaren Welt aufrechtzuerhalten.

Das Prinzip eines präventiven Schutzes vor dem Bösen erscheine - so Havel - zwar theoretisch richtig, könne aber auch sehr problematisch sein. Es gebe - so der Präsident - kein einheitliches Rezept dafür: jeder Fall müsse sehr gründlich und einzeln überlegt werden.

Im Zusammenhang mit dem Verständnis für andere Menschen, andere Kulturen dürfe man aber im Interesse einer guten Stimmung die eigene Überzeugung nicht verschweigen. Der Präsident nannte hierfür zwei Beispiele:

Ich kann mir kaum vorstellen, wie jemand gemeinsam mit den Russen dem weltweiten Terrorismus entgegenwirken könnte, ohne ihnen dabei anzudeuten, was er über ihren Krieg gegen das tschetschenische Volk denkt. Oder wie jemand gemeinsam mit der Volksrepublik China für das Recht der Völker auf Souveränität kämpfen könnte, ohne die chinesische Tibet-Politik zu erwähnen.

Präsident Havel erinnerte abschließend auch an zwei widersprüchliche Beispiele aus der tschechischen Geschichte - an das Münchener Abkommen, mit dem die demokratischen Staaten Westeuropas den Frieden soweit beschützten, dass sie eigentlich das Übel des Nationalsozialismus förderten. Dagegen waren Millionen sowjetischer Bürger 1968 davon überzeugt, dass es richtig sei, in Form der sogenannten brüderlichen Hilfe die tschechoslowakische Staatssouveränität im Namen von einem höheren Wert - dem Wert des Sozialismus - zu unterdrücken. Auch wenn jeder bei uns damals wusste, dass es sich nur um die sowjetische Hegemonie und ökonomische Ausbeutung handelte, betonte Präsident Havel abschließend.