Hilde Bürger – Schicksal einer deutschen Jüdin im KZ Theresienstadt

Altersghetto oder Vorzeige-Ghetto – als solches wurde das KZ Theresienstadt in Deutschland bezeichnet. Im „Protektorat Böhmen und Mähren“ wusste man hingegen, dass die ehemalige Garnisonsstadt ein Auffanglager war. Und dass von dort die Transporte in den Tod fuhren. Die Berlinerin Hilde Bürger kam im Juni 1943 nach Terezín / Theresienstadt, nachdem sie zuvor in ihrer Heimatstadt erleben musste, wie Juden immer stärker drangsaliert wurden. Sie überlebte letztlich den Holocaust und hat dies Jahrzehnte später in einem autobiographischen Buch festgehalten. Nun hat der deutsche Historiker und Journalist Werner Imhof den Band ein zweites Mal verlegt. Im Folgenden mehr zur Lebensgeschichte von Hilde Bürger und dem Buch.

Quelle: Verlag Tredition

Im Mai 1916 kommt Hilde Bürger in Berlin zur Welt. Weil ihr Vater verschwindet, bevor ihre Eltern heiraten können, wird sie von ihrer Mutter großgezogen. Diese ist Jüdin, ihr Vater stammt aus einer deutsch-armenischen Ehe. Hilde Bürger geht aufs Gymnasium, sie will eigentlich Abitur machen und dann Medizin oder Pädagogik studieren. Doch Hitlers Machtergreifung zerstört diese Pläne. Nach mehreren Anläufen, die richtige Ausbildung zu finden, beginnt sie am 1. Oktober 1938 als Schwesternschülerin im Jüdischen Krankenhaus. Während sich die Klinik immer mehr in ein Gestapo-Gefängnis verwandelt, kann Hilde Bürger dort noch ihr Schwestern-Examen ablegen. Doch immer mehr Juden werden deportiert. Im September 1942 trifft es ihre Mutter und neun Monate später sie selbst:

„Spät abends hielt der Zug auf freiem Feld, alles war taghell von Scheinwerfern beleuchtet. Wir blickten hinaus und sahen, dass SS-Männer mit Maschinenpistolen und Hunden draußen standen. Sie schrien: ‚Raus, ihr Judenschweine, raus!‘ Man prügelte uns, stieß uns in Baracken. Männer rechts, Frauen links. Dann schrie ein SS-Mann: ‚Alles Geld, Wertgegenstände, auch Trauringe, Tabakwaren, Messer usw. sind abzugeben‘, andernfalls würde ausgeprügelt werden.“

Theresienstadt 1944  (Foto: Archiv Yad Vashem und des Internationalen Komitee vom Roten Kreuz)

So schildert Hilde Bürger in ihrem Buch die Ankunft im KZ und Ghetto Theresienstadt. Damit beginnt für die damals 27-Jährige eine grausame Leidenszeit. Hunger, Krankheiten, Ungeziefer, Misshandlungen und der allgegenwärtige Tod begleiten die junge Deutsche.

Aus dem Transport gerettet

Im Herbst 1944 muss sie in den Transport nach Auschwitz – zusammen mit 2500 weiteren Insassen des Lagers. Sie ist sogar schon im Zug, der gerade anfährt, als ihr Name ausgerufen wird mit dem Befehl, sie solle aussteigen. Ihre Rettung geschieht auf Initiative des leitenden Arztes im Gesundheitswesen des Lagers, Dr. Metz. Im Buch beschreibt sie die Szene so:

Hilde Bürger als Schwester im Jüdischen Krankenhaus  (Foto aus dem Buch „Bezwingt des Herzens Bitterkeit“ von Hilde Bürger)

„Er erzählte mir, dass er die Angst vor Ansteckung bei der SS ausgenutzt und ihnen erzählt hätte, dass wieder Flecktyphus im Lager wäre; es gäbe aber keine qualifizierte Schwester mehr. Die letzte Schwester wäre gerade im Transport. Da wurde ihm befohlen, die Schwester herauszuholen. Später habe ich erfahren, dass der Transport mit den 2.500 Menschen geschlossen ins Gas gegangen ist.“

Hilde Bürger überlebt den Holocaust – anders als ihre Mutter, die im estnischen Raasiku ermordet wird. Doch mehrfach versucht sich die junge Frau nach dem Krieg das Leben zu nehmen, wird aber jeweils gerettet. Sie beginnt wieder, im Jüdischen Krankenhaus als Schwester zu arbeiten. Dort lernt sie Ende der 1940er Jahre auch ihren Mann kennen. Es ist der Arzt, der die Leitung der Inneren Station übernommen hat.

Von ihrem Schicksal erzählt Hilde Bürger aber jahrzehntelang nicht einmal den engsten Familienmitgliedern. Auch ihre Tochter Renate Bürger erfährt damals nur wenig, wie sie in einem Telefon-Interview für Radio Prag International sagt:

Mutter von Hilde Bürger  (Foto aus dem Buch „Bezwingt des Herzens Bitterkeit“ von Hilde Bürger)

„Als Kinder haben wir immer nur gewusst, dass meine Mutter es schwer hatte. Das hat mein Vater immer gesagt. Der Standardsatz lautete: ‚Seid leise, seid lieb zu der Mami, sie hat es so schwer gehabt!‘ Als ich dann ein bisschen älter wurde, habe ich schon auch gehört – ob von der Mutter oder dem Vater, weiß ich nicht –, dass sie als Jüdin im Konzentrationslager war. Als Kind konnte ich mir darunter nicht so viel vorstellen. Aber ich war irgendwie auch stolz, dass ich aus einer Familie komme, in der es keine Nazis gab, sondern aus einem jüdischen Zusammenhang. Das war aber auch alles. Über Judentum, über das Erlebte wurde nie gesprochen. Das war irgendwie tabu und wurde unter den Teppich gekehrt.“

Erst in den 1980er Jahren schreibt Hilde Bürger ihr Schicksal während des Holocaust nieder. Es trägt den Titel „Bezwingt des Herzens Bitterkeit. Drei Leben – vor, in und nach Theresienstadt“.

Schriftstellerische Begabung

Werner Imhof  (Foto: Archiv von Werner Imhof)

Dass dieses autobiographische Buch erneut aufgelegt wurde, geht auf Renate Bürgers jüngere Tochter Sonja Knüppel zurück. Letztlich nahm sich der Historiker Werner Imhof der Aufgabe an. Unter anderem hat ihn der Stil überzeugt:

„Wenn man hört, eine Berliner Krankenschwester habe ein Buch geschrieben, dann erwartet man eigentlich nicht solch einen Text, wie ihn Hilde Bürger hinterlassen hat. Sie war schon als Schülerin außerordentlich begabt, hatte aber das Pech, als Jüdin in den 1930er Jahren aufzuwachsen und ihre Ausbildung zu machen. Sie wäre sicher Ärztin geworden, wenn sie unter anderen Umständen gelebt hätte – oder vielleicht auch Schriftstellerin. Sie hat in der Schule Aufsatzwettbewerbe gewonnen und wurde dafür ausgezeichnet. Sie konnte also wirklich gut schreiben, und das merkt man auch dem Text an. Es gibt ja sehr viel Erinnerungsliteratur, auch Autobiographien von Überlebenden, und natürlich konnten nicht alle schreiben. Aber Hilde Bürger hatte es einfach drauf. Und für mich war dies eine Überraschung, als ich das Buch gelesen habe.“

KZ Theresienstadt  (Foto: Archiv Yad Vashem)

Aber auch aus einem historiographischen Grund hat sich Werner Imhof bereit erklärt, den Band noch einmal herauszugeben. Denn in Deutschland ist das KZ Theresienstadt nicht so sehr im öffentlichen Bewusstsein verankert wie in Tschechien. Dabei sei das Lager sehr wichtig für das Verständnis des Holocaust, erläutert Imhof.

„Erstens ist Theresienstadt benutzt worden, um die Lügen der SS zu verbreiten. Man hat dort einen Propaganda-Film gedreht, den die Häftlinge ironisch ‚Der Führer schenkt den Juden eine Stadt‘ genannt haben. Und es wurde dort eine Kommission des Roten Kreuzes empfangen, die sich ein Konzentrationslager anschauen wollte. Man ließ den Deutschen ein Jahr Zeit, bis der Termin auch wirklich stand. Und die Deutschen hatten die Wahl, welches Lager besichtigt werden sollte. Letztlich wurde ein junger, unerfahrener Schweizer vom Internationalen Roten Kreuz, Maurice Rossel, dort hindurchgeführt. Auf seinem Weg durch das Lager hatte man überall die Fassaden gestrichen und im Prinzip ein Potemkinsches Dorf aufgebaut. Der Mann war dann auch sehr beeindruckt und sagte: ‚Den Juden geht es hier sehr gut‘“, so der Historiker.

Theresienstadt 1944  (Foto: Maurice Rossel,  Archiv Yad Vashem)

Wie perfide das System war, hat sich laut Werner Imhof noch an einer weiteren Lüge gezeigt. So boten die Nationalsozialisten reichen Juden etwa in Hamburg oder Berlin einen sogenannten „Heimeinkaufsvertrag ins Kurbad Theresienstadt“ an.

„Sie haben zum Teil eine Million Reichsmarkt bezahlt, um dann nach Theresienstadt zu reisen und ihre Zimmer mit Seeblick zu beziehen. Diese Menschen haben buchstäblich wenige Wochen später den Verstand verloren, als sie die wahren Zustände in Theresienstadt sahen“, sagt Imhof.

Hohe Todesrate in Theresienstadt

Ganz anders die tschechischen Juden: Sie wussten, dass dort ein Sammellager für alle Juden war und sie irgendwann auch dorthin mussten. Und sie hatten ihre Taschen bereits mit dem Wichtigsten für die anstehende harte Zeit gepackt. Auch aufgrund dieses Unterschieds wollte Werner Imhof gerne Hilde Bürgers autobiographischen Text herausbringen. Als dritten Grund nennt er die unglaublich schlimmen Zustände in dem Lager:

Todesopfer im KZ Theresienstadt  (Foto: Archiv Yad Vashem)

„In Theresienstadt haben kaum unmittelbare Mordaktionen durch die SS stattgefunden. Zwar war auch dort zum Zeitpunkt der Befreiung eine Gaskammer im Bau, sie wurde aber nicht mehr in Betrieb genommen. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sterblichkeitsrate in Theresienstadt höher lag als in Buchenwald. Das heißt, die Häftlinge, die dorthin transportiert wurden, hatten eine sehr geringe Überlebenschance.“

Denn 35 Prozent der Inhaftierten in Theresienstadt kamen durch Krankheiten, Hunger und Misshandlungen ums Leben. Die weiteren Gefangenen wurden zumeist in die Vernichtungslager deportiert und dort ermordet.

Und bei den Überlebenden blieb das Trauma des Holocaust zurück. Renate Bürger hat das bei ihrer Mutter erlebt, und es habe letztlich die ganze Familie belastet, wie sie sagt:

Massengrab in Theresienstadt  (Foto: Archiv Yad Vashem)

„Meine Mutter hatte auch immer so eine Art Maske auf. Sie konnte nicht so richtig lachen oder weinen. Sie war immer sehr gefasst, sehr kontrolliert und aber viel krank. Das war schon für uns als Kinder nicht so leicht – und für meinen Vater auch nicht.“

Ihre eigenen Töchter würden sich mittlerweile intensiv mit dem Familienschicksal auseinandersetzen und auch mit der jüdischen Herkunft des einen Familienteils, so Renate Bürger.


Das Buch lässt sich bestellen unter: www.tinyurl.com/hildebuerger

Autor: Till Janzer
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