Historisch und privat: Peter Demetz´"Böhmen böhmisch"

Er ist einer der besten und tiefgründigsten Kenner der Literatur- und Kulturgeschichte der Böhmischen Länder: der Germanist und Publizist Peter Demetz. Im Wiener Zolnay-Verlag ist nun unter dem programmatischen Titel "Böhmen böhmisch" eine neue Sammlung seiner Essays erschienen.

Seit Jahrzehnten lebt er in den Vereinigten Staaten, zu Hause aber ist Peter Demetz in Prag. Hier ist er 1922 zur Welt gekommen - in einer deutsch-tschechisch-jüdischen, eben böhmischen Familie. Als Sohn des Prager Theaterdirektors Hans Demetz wuchs er inmitten der Prager Literatur auf - in den Kreisen und Themen also, die Demetz heute, als emeritierter Hochschulprofessor, halb wissenschaftlich, halb autobiographisch zum Gegenstand seiner Arbeiten macht. Jüngestes Ergebnis ist der gerade erschienene Essayband "Böhmen böhmisch".

"Ich habe im Jahre 1991 als Professor aufgehört zu unterrichten und zu schreiben - ich hatte andere Aufgaben als Literaturhistoriker: Ich habe über Fontane geschrieben, ich habe eine Geschichte der deutschen Literatur geschrieben. Aber plötzlich war ich frei, ich war Pensionist und hab mir gesagt: Jetzt kommen die alten Rechnungen dran!"

Die alten Rechnungen - das war etwa die Abrechnung mit dem neoromantischen Mythos des magischen Prag, der Stadt des Zwielichtigen und Unheimlichen. Mit seinem Buch "Prag in Schwarz und Gold" hat Demetz den Golem- und Goldmacher-Legenden ein 600-Seiten-Manifest entgegengesetzt: das Bild einer wachen und aufgeklärten Stadt. Zuletzt hat sich der 84-Jährige von Franz Kafka und Max Brod an die Hand nehmen lassen und mit ihnen in seinem gleichnamigen Buch "Die Flugschau von Brescia" besucht - ein tollkühnes Ereignis, das 1909 Künstler, Phantasten und Visionäre aus ganz Europa angezogen hat. Mit "Böhmen böhmisch" legt Demetz nun wieder einen Essayband vor - ein Mosaik von kleinen, aber scharfkantigen Splittern zur Literatur- und Mentalitätsgeschichte der Deutschen, Tschechen und Juden in den Böhmischen Ländern.

Es geht um den Prager Dichter Jiri Orten und sein Verhältnis zu Rilke, um den Philosophen Bernhard Bolzano, um das Prager Jiddisch, aber auch um die Benes-Dekrete. Immer wieder ergänzen dabei die persönlichen Erinnerungen den historischen Blick - so auch in einem der Beiträge, die Peter Demetz für die Vorstellung des Buches in Prag ausgewählt hatte, eine Hommage an Johannes Urzidil:

"Von ihm war zu Hause oft die Rede, denn er interessierte sich sehr für das Theater, nicht zuletzt in Gestalt meiner Tante Fritta. Allerdings war es ihm nicht gegönnt, bei ihr zu reüssieren, denn sie wollte immer hoch hinaus, und kaum hatte sie den Abschiedsmonolog der Schillerschen ´Jungfrau von Orleans´ auswendig gelernt, hatte sie die Prager Provinz auch schon verlassen und ging, eine emanzipierte Frau, die zum Schrecken meiner Mutter lange Hosen trug wie Marlene Dietrich, an die staatlichen Schauspielhäuser nach Frankfurt und Berlin. Dem Urzidil war aber nicht abzuraten, so behauptete zumindest die Familientradition, und nachdem ihm Tante Fritta die kalte Schulter gezeigt hatte (ich glaube, er musste zu ihr aufsehen, denn sie war ein sogenannter ´langer Lulatsch´), warf er sein Dichterauge auf Frittas jüngere Schwester Anna, die allerdings keine Schauspielerin, sondern eine einfache Nähmamsell war und meine spätere Mama dazu. Er hatte auch da kein Glück, denn ihr Bedarf an expressionistischer Lyrik war schon gedeckt, und das durch meinen zukünftigen Vater, der nach jedem Sonntagsausflug nach Zbraslav das entsprechende Gedicht spätestens am Dienstag im Prager Tagblatt publizierte."

Prag
Zusammen mit dem vor zehn Jahren erschienen Sammelband "Böhmische Sonne - Mährischer Mond" erlauben die Essays aus "Böhmen böhmisch" nicht nur tiefenscharfe Einblicke in das böhmische Mit-, Gegen- und Durcheinander der Nationen, sondern sie zeichnen auch einen guten Teil des bewegten Lebens von Peter Demetz nach.

"Ich fürchte das ist meine Form der Autobiographie, aber im nächsten Buch tritt das noch deutlicher zu Tage. Da wird es einen Wechsel geben von sachlicher Geschichtsschreibung und zwischengeschalteten subjektiven Memoiren. Der Leser muss sich dann damit auseinandersetzen, dass es wie in jedem Leben Bruchstellen gibt: Hier Geschichte, da das Persönliche."

Und manchmal fällt beides auf tragische Weise zusammen, wie etwa in den Erinnerungen an den Prager Jugendfreund Hans Werner Kolben - bereits ein Verweis auf das nächste böhmische Buch von Peter Demetz, das sich mit Prag in der Protektoratszeit befassen wird:

"Einer meiner frühen Prager Freunde war Hans Werner Kolben, ältester Sohn der berühmten Konstrukteur- und Industriellenfamilie, die in einer turmbewehrten Villa in den Weinbergen wohnte. Ich habe ihn als bedächtig, muskulös, melancholisch und ein wenig ungelenk im Gedächtnis, "eckige Jugend, an das Haus gebunden", wie er in einem Gedichte sagte, "wo schwer verstanden wird, oft straff befohlen, den Weg zu Spielgefährten nie gefunden". Als Autor von Gedichten war Kolben nie ein jugendlich unsicherer Verseschmied; alles, was er schrieb, war sogleich gefestigt und mit jener Achtung vor der klassischen deutschen Sprache, welche die älteren Prager Poeten charakterisierte, nur selten gebrochen und gemildert durch einen Hauch Hofmannsthal. Sein Gedicht "Gespräch im Walde" besteht aus Frage und Antwort, und bleibt doch ohne Antwort -

Frage: Du alter Mann, ich weiß, Du warst schon hier

Als Deine Haare noch ganz dunkel waren,

Und immer suchst Du, wie vor vielen Jahren

Was denn? Ist dieser Wald noch nicht in Dir?

Das Tal spielt Dir doch stets das Gleiche vor,

Hier einen Strahl, dort einen Nebelreigen,

Ein Vogel ruft ganz schwach von fernsten Zweigen

Und dauernd ragen Säulen schwarz empor.

Antwort: Das Unsagbare hab ich einst besessen,

Als Kind vielleicht in meiner frühsten Zeit,

Vielleicht noch früher in der Ewigkeit;

Im Wind der Jahre hab ich es vergessen.

Nun such ich wieder tastend zu erfahren,

Was diese Bäume zu einander sagen.

Ich fühl, der Wald muß das Geheimnis tragen.

Vielleicht wird er mir's einmal offenbaren.

Als ich seine Gedichte in meine Sammlung tippte, war er längst dem Tode nahe, denn ein eifriger Mitschüler aus dem Gymnasium Stefansgasse erkannte ihn in einer Straßenbahn als Juden ohne Stern und denunzierte ihn der Gestapo, die ihn nach Mauthausen transportierte. Er starb am Typhus im Außenlager Kauffering, 1944."

Die Essaysammlung "Böhmen böhmisch" von Peter Demetz ist im Zsolnay-Verlag erschienen und kostet in Deutschland 19,90 Euro und in Österreich 20,50 Euro.