„Ich nehme alles als Herausforderung“ – David Stecher, neuer Leiter des Prager Literaturhauses

David Stecher (Foto: ČT 24)

Sechs Jahre lang war Lucie Černohousová als Leiterin des Prager Literaturhauses das Gesicht deutscher Literatur in Prag. Unter ihr wurde diese Institution gegründet und zog später aus einem kleinen Büro in ein echtes Literatur-Häuschen um. Ende Oktober gab Černohousová ihren Posten allerdings aus privaten Gründen kurzerhand ab, seitdem ist David Stecher der Herr im Literaturhaus. Bisher vertrat er die tschechische Kultur - zunächst als Direktor im Tschechischen Zentrum in München, dann in Tel Aviv. Jetzt dreht er den Spieß um und präsentiert deutsche Literatur in seinem Heimatland. Neben der Literatur hat David Stecher aber auch eine besondere Beziehung zur Musik. Nur weiß das kaum einer von ihm. Romy Ebert hat sich mit dem neuen Leiter getroffen.

David Stecher  (Foto: ČT 24)
Herr Stecher, Sie sind der neue Geschäftsführer des Prager Literaturhaus. Es war etwas schwierig, mit Ihnen einen Gesprächstermin auszumachen, obwohl Sie bereits am 5. November den Posten als Leiter übernommen haben. Anscheinend ist die Übergangsphase recht stressig, oder?

„Das ist bis jetzt so, wie Sie sehen. Wenn man hier anfängt, muss man so viel Bürokratie erledigen! Es war nicht geplant, dass die frühere Leiterin Frau Černohousová ihre Mission hier so kurzfristig beendet. Dann hat der Vorstandsrat über einen neuen Leiter entschieden. So schnell kann sich etwas bewegen! Ich denke, dass wird sich erst in drei Monaten wieder normalisieren.“

Lucie Černohousová  (Foto: Archiv des Prager Literaturhauses)
Also kam der Ruf für Sie auf alle Fälle überraschend. Freuen Sie sich denn auf die neuen Aufgaben, die hier auf Sie warten?

„Ich freue mich immer auf neue Aufgaben. Wir haben hier gerade einen Praktikanten. Er hat nachgefragt über meine Person, und die Antwort war immer, dass ich alle Sachen als Herausforderung annehme.“

Ihre Vorgängerin Lucie Černohousová hat das Literaturhaus seit seiner Entstehung im Jahr 2006 geleitet, also eigentlich seit es das Prager Literaturhaus gab. Nach so vielen Jahren stehen jetzt Sie an der Spitze des Hauses. Mit welchen Neuerungen kann man denn rechnen? Was möchten Sie ändern, oder was möchten Sie anpacken?

„Viele Sachen. Wir haben dieses schöne Haus hier. Von außen gesehen denkt jeder, da seien nur zwei Räume. Aber wir haben noch zwei weitere Räume – nur, dass diese nicht nutzbar sind. Zum Beispiel fehlt die Beleuchtung. Ich finde es wichtig, dass wir die Räumlichkeiten noch etwas zivilisierter gestalten und nicht unter solchen provisorischen Bedingungen arbeiten. Eine andere Sache ist, dass Frau Černohousová das Literaturhaus quasi allein geleitet hat. Nach meinen Erfahrungen ist es besser, wenn es ein kleines Team gibt. Das ist meine Idee. Ich möchte das Literaturhaus nicht vergrößern, aber die Mitarbeiter mehr beteiligen.“

Gebäude des Prager Literaturhauses  (Foto: Archiv des Prager Literaturhauses)
Haben Sie inhaltlich schon Ideen, die Sie umsetzen möchten, oder ist das noch in der Schwebe?

„Ab dem neuen Jahr wollen wir die Lesungen und andere Veranstaltungen direkt hier im Prager Literaturhaus machen. Ich finde es wichtig, denn wir haben viel Platz und wir sollten darum alles hier veranstalten. Außerdem machen wir noch einen Stipendiatenaustausch: Schriftsteller aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen für einen Monat nach Prag. Diese Dauer reicht gerade einmal dazu, sich zu akklimatisieren, und dann ist der Aufenthalt schon wieder vorbei. Vielleicht wäre es besser nicht so viele Stipendiaten nach Prag zu bringen, dafür aber für eine längere Zeit.“

Kampagne „Šprechtíme“
Es gibt in den letzten Monaten oder Jahren eine große Diskussion über das fehlende Interesse der tschechischen Bevölkerung an der deutschen Sprache. Wie beurteilen Sie die Situation, und was könnten Sie mit dem Prager Literaturhaus daran vielleicht ändern?

„Wir beteiligen uns beispielsweise an dem Programm ‚Šprechtíme‘. Außerdem möchte ich noch unser Programm für Grundschulen und Mittelschulen vergrößern. So können wir ein größeres Interesse am Deutschunterricht und an der deutschen Sprache wecken.“

Nun zu Ihrer Person: Sie haben ja unter anderem das Tschechische Zentrum in München geleitet, jetzt sind Sie hier in Prag und vertreten deutsche Kultur. Anscheinend sind Sie also stark tschechisch-deutsch geprägt. Wie kommt das?

Lenka Reinerová  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Meine Großmutter war deutschsprachig. Ich habe meine Kindheit mit ihr verbracht. Leider ist meine Großmutter kurz nach der Wende im Alter von 87 Jahren verstorben. Danach habe ich gedacht, dass es nicht schlecht wäre, Germanistik zu studieren. Von der Zeit an beschäftige ich mich also mit Deutschland. Aber ich habe mich auch immer für Kultur interessiert. Ich habe dann den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds im tschechischen Rat für Naziopfer vertreten und bekam danach die Anfrage, ob ich mich nicht für den Posten des Direktors im Tschechischen Zentrum in München bewerben möchte. Ich war unter anderem mit Lenka Reinerová befreundet, aber auch mit vielen anderen Menschen, die sich mit den tschechisch-deutschen Beziehungen beschäftigen. Ich bin auch am Prager Literaturhaus seit seiner Gründung durch Lenka Reinerová und František Černý beteiligt. Dass ich jetzt Geschäftsführer bin, war wirklich purer Zufall, aber die ganze Zeit war ich bereits Mitglied im Aufsichtsrat des Prager Literaturhaus.“

Tel Aviv  (Foto: Vodnik,  Wikimedia Creative Commons 2.5)
Sie haben außerdem das Tschechische Zentrum in Tel Aviv aufgebaut…

„Darauf bin ich stolz!“

Welche Erfahrungen von dort können Sie für die Arbeit hier mitnehmen?

„Israel prägt jeden. Zum Beispiel die Sicherheitslage: In Israel ändert sie sich in fünf Minuten. Als Erfahrung nehme ich mit dass man sich in einem kleinen Team auf die anderen Menschen verlassen können müssen. Das ist meiner Meinung nach das größte Geschenk, dass ich ins Prager Literaturhaus mitbringe: die Idee, das Literaturhaus wieder eine zu einer Oase für unsere Besucher zu machen, aber mit einem kleinen Team. Das kann man machen! Wir müssen unsere Aufgaben erfüllen. Wenn die Aufgaben noch nicht erledigt sind, müssen wir alle länger bleiben. Das ist Teamarbeit. Wenn die Arbeit dann fertig ist, haben wir alle Ruhe. Zunächst wird es nicht viel Ruhe geben, aber vielleicht ist das im Frühjahr bereits besser.“

Jaroslav Rudiš  (Foto: David Vaughan)
Sie sprechen das Thema Ruhe gerade an: Haben Sie selbst eigentlich noch Zeit, ein Buch zu lesen?

„Zurzeit lese ich fast keine Bücher, sondern nur Vorschriften und Gesetze. Ich habe nicht einmal die Zeit, Zeitung zu lesen, und das finde ich schon schade.“

Haben Sie eigentlich einen Lieblingsautor?

„(Lacht) Meine Lieblingsautorin, wenn ich über das alte Prag lesen möchte, ist Lenka Reinerová. Wir müssen Joachim Dvořak dankbar sein, dass er die Publikationen von Reinerová wieder in die Öffentlichkeit gebracht hat. Ein weiterer Lieblingsautor von mir ist Arnošt Lustig, er war ein guter Freund, auch ein treuer Freund - das ist wichtig. Es gibt viele andere gute Schriftsteller in Tschechien. Von den jüngeren Schriftstellern lese ich gerne Jaroslav Rudiš, auch deswegen, weil er mit Jaromír Švejdík zusammenarbeitet. Švejdík ist der Musiker Jaromír 99 und Frontmann der Band Priessnitz. Es ist sehr interessant, dass alle Menschen in mir nur einen Beamten sehen, aber wenn sie erfahren, dass ich Anfang der 90er Jahre Manager dieser Band war, werden sie sofort warmherziger zu mir. Ich habe noch etwas vergessen: Einer meiner Lieblingsautoren ist auch Martin Walser.“