„Ich sehe mich als europäischen Filmemacher“ – Štěpán Altrichter und sein Schmitke

Štěpán Altrichter, foto: Cristian Pirjol, Archiv des Tschechischen Rundfunks

Schmitke – so heißt Štěpán Altrichters erster Spielfilm. Der Regisseur schickt darin einen leicht depressiven deutschen Windkraftingenieur in die tschechische Provinz, wo nichts funktioniert, wie es sollte. Lost in Translation im Erzgebirge, so wirkt das zunächst, aber ausgerechnet die entrückte Atmosphäre dort holt den traurigen Homo Faber zurück ins Leben. Ein Grenzgänger zwischen zwei ähnlichen und doch unterschiedlichen Kulturen ist auch Regisseur Altrichter. Er pendelt zwischen Tschechien und Deutschland und gibt Auskunft über seine Liebe zum Erzgebirge, die Metaebenen von Schmitke, die Eigenheiten der Filmförderung und seine Pläne für die Zukunft.

Štěpán Altrichter,  foto: Cristian Pirjol,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Zwei Inspirationen standen am Anfang von Schmitke, sagt Regisseur Štěpán Altrichter: die Landschaft und der Mensch. Schmitke und das Erzgebirge passen auf eine fast schon unheimliche Art gut zueinander, auch wenn der Protagonist 90 Minuten braucht, bis er das realisiert. Štěpán Altrichter:

„Es ist ja wirklich so: Das Erzgebirge ist eine etwas abgehängte Landschaft. Man würde dorthin nicht unbedingt in den Urlaub fahren. Doch es ist unglaublich schön, ein bisschen wie eine Liebe auf den zweiten Blick. Ich fand es schön, dass es in dem Film nur ein kleines Sich-Öffnen gibt. Und nicht wie in der amerikanischen Erzählweise: Alles wird gut, und die Landschaft blüht plötzlich auf. Das Einzige, was passiert, ist, dass Schmitke aufhört, die ganze Zeit Probleme zu suchen, und sich ein bisschen lockerer macht.“

Die Geschichte vom aus der Zeit gefallenen Schmitke, der ein Windrad reparieren soll, entstand in Zusammenarbeit mit Produzent Tomáš Vach und Schriftsteller Tomáš Končinský. Gemeinsam sind sie im Erzgebirge am äußersten Nordrand von Tschechien herumgereist.

„Tomáš Končinský hat nach diesen Reisen eine Kurzgeschichte geschrieben. Es war klar: Wir wollen etwas über den Ort erzählen und auf der anderen Seite etwas über Schmitke – was das für ein Mensch ist, was er für ein Problem hat. Das war der Beginn des Filmes, das war die Geschichte, die wir verfilmen wollen. Der Anfang war witzig: Als Tomáš die Geschichte rumgeschickt hat sagten viele Leute, dass sie doch sehr unfilmisch sei. Zwar sehr schön, aber absolut unfilmisch. Da haben wir uns gesagt: Ok – machen wir einen Film daraus!“

Entstanden ist Štěpán Altrichters Abschlussarbeit für die Berliner Filmhochschule Konrad Wolf. Das tschechisch-deutsche Team drehte den Film in Abertamy. Der Erzgebirgsort direkt an der Grenze hieß früher einmal Abertham, und auch in Schmitke schimmert die deutsche Vergangenheit durch – etwa wenn der Protagonist im Wald auf eine alte Rüstungsfabrik der Nazis stößt.

„Es ist nicht wichtig, dass alles mit Verstand funktioniert und benannt wird“

„An einem bestimmten Punkt im Drehbuch standen wir vor der Frage, wieviel von der Geschichte des Erzgebirges wir mit hineinnehmen. Wir haben uns dann aber entschieden, alles eher im Unbewussten zu belassen. Es wäre auch zu viel geworden, denn die Hauptgeschichte ist die eines Menschen und nicht die des Ortes. Ich finde das eigentlich so auch viel interessanter, denn man hat diese Assoziationen, auch ohne alles zu benennen. Das ist ein wenig die Art, wie der Film funktioniert und wie auch ich die Welt sehe: Es ist nicht so wichtig, dass alles mit Verstand und Ratio funktioniert und benannt wird. Wichtig ist eher ein bestimmtes, menschliches Gefühl. So war das auch mit der Geschichte des Ortes. Natürlich sind dort viele, auch grausame Dinge passiert. Und dennoch haben die Menschen dort eine positive Einstellung zum Leben, eine Art Überlebenswillen.“

In ausgewählten Prager Kinos läuft der Film bereits – mit deutschen Untertiteln. Die Zuschauer in Deutschland bekommen den Film ab September zu sehen, allerdings aus einer etwas anderen Perspektive:

„Umgekehrt wird in Deutschland nicht untertitelt, weil Schmitke ja auch nicht Tschechisch versteht. Die Geschichte ist extra so gebaut, dass nichts Wesentliches im Tschechischen gesagt wird. Der einzige Unterschied sind vielleicht zwei, drei Jokes, die dem deutschen Zuschauer dadurch entgehen. Aber ich fand es sehr gut, dass man das eben nicht versteht und dass man genauso verloren ist wie Schmitke.“

Dem deutschen Zuschauer bleibt die kleine Welt im Erzgebirge also genauso rätselhaft wie Schmitke, der von einem unverständlichen, weil tschechischen Grundrauschen umgeben ist. Dafür bekommen die tschechischen Zuschauer eine Außenansicht auf sich selbst, sagt Štěpán Altrichter.

„Man kann den Film als Tscheche ja nicht aus der Perspektive eines Außenstehenden sehen, der hierher kommt. Darum läuft er hier auf einer anderen Ebene – man sieht, wie andere einen sehen. Das ist eben diese typisch tschechische Eigenschaft, sich über sich selbst lustig zu machen. Dass die Deutschen nur die dreckigste Kneipe von Tschechien besuchen und absolut unkooperative Leute treffen. Der Film hat schon eine sehr tschechische Seele. Das heißt, da gibt es so diesen Humor. Aber ein anderes Filmerlebnis ist es nicht, finde ich. Denn dafür hat der Deutsche Zuschauer die Perspektive, dass er irgendwohin kommt und dann nichts versteht. Das ist am Ende wieder so etwas Ähnliches.“

Angenommen wird der Film auf beiden Seiten. In Deutschland etwa gab es Preise bei Festivals in Cottbus und Schwerin, die Kritiken in Tschechien waren bislang positiv bis begeistert. Unterschiede hat Štěpán Altrichter eher im Vorfeld ausgemacht, als es um die Finanzierung ging:

„Eine deutsche Filmförderungsanstalt hat den Film damals abgelehnt, aus dem gleichen Grund, aus dem ihn die tschechische gut fand. Die Formulierung war genau die gleiche. Sie sagten, die Geschichte sei zu verworren, es wäre gut, wenn es nur ein Genre wäre, außerdem sei das alles zu uneindeutig – man wisse nicht, wie es ausgeht. Für die Filmförderung in Tschechien war gerade diese Uneindeutigkeit der Grund, den Film zu fördern. Sie sagten, man wisse nicht, ob es funktionieren werde – also wollten sie es sehen.“

Štěpán Altrichter ist in Brünn geboren und kam mit seinen Eltern Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland. Inzwischen hat der 34-Jährige die Prager Filmhochschule und die Berliner Filmhochschule Konrad Wolf abgeschlossen – und kennt damit die Strukturen auf beiden Seiten.

“In der Filmförderung sucht man oft den Konsens – als würde man Autos bauen.“

„Die deutsche Förderung ist unglaublich gut aufgestellt. Gerade im Vergleich zu Tschechien fließt sehr viel Geld hinein, das ganze System ist sehr gut. Umso mehr ist es schade, dass die Entscheidungswege so sind, wie sie sind. Ganz oft geht man sozusagen den Konsens, als würde man Autos bauen. Gewagtere Projekte schaffen es nicht. Viele meiner Kollegen in Deutschland können nur ihre langweiligsten Ideen realisieren, oder ihre gewagteren Projekte entstehen eben außerhalb von Förderung. Das ist sehr schade, weil es ein unglaubliches Potential gibt. In Deutschland hat man eine durchmischte Gesellschaft, hier ja weniger. Und es ist schade, dass dieser Vorteil manchmal nicht ganz ausgeschöpft wird.“

Tschechische Filme atmen echtes Leben, dafür fehle es dem Drehbuch oft an Substanz, sagt Štěpán Altrichter. In Deutschland dagegen entstünden Filme, die auf dem Papier funktionieren, aber auf der Leinwand dann nicht mehr:

Schmitke; Foto: YouTube
„Weil es eben so schwer ist und so viele Runden in den Gremien überleben muss, geht natürlich als Erstes das Leben darin flöten. In Deutschland passiert sehr viel auf dem Papier, alles muss begründet werden, es ist viel Bürokratie dabei. Das fördert Projekte, die ein soziales oder politisches Problem erzählen wollen, weil das auf dem Papier besser dargestellt werden kann. Wenn man aber nun zum Beispiel französisches Kino nimmt, das eher vom Filmischen, Nicht-Begreifbaren und Unerklärlichen lebt, wird so etwas eher nicht gefördert, weil es in den Gremien, auf dem Papier nicht so gut funktioniert.“

Seine eigene Zukunft als Filmemacher macht Štěpán Altrichter ohnehin nicht an nationalen Räumen fest. Alles hängt davon ab, wo sich Ideen, Stoffe und Produzenten finden:

„Ich mache da keinen großen Unterschied. Ich lebe in Prag und Berlin, das ist auch sehr nah, näher zum Beispiel als Berlin und München. In den letzten zehn Jahren bin ich zwischen Prag und Berlin gependelt und sehe darin eigentlich keinen Nachteil, sondern eher einen Vorteil. Meine nächsten Stoffe sind wieder von beiden Kulturen und Erlebnissen beeinflusst. Von der Filmsprache, der Bildsprache bin ich wohl schon eher tschechisch geprägt. Doch gerade was Dramaturgie betrifft habe ich nun an der Filmhochschule in Deutschland viel gelernt. Stoffe finden sich mal mehr in Tschechien, mal mehr in Berlin. Wir werden also sehen.“

“Von der Filmsprache her bin ich tschechisch geprägt, über Dramaturgie habe ich viel in Deutschland gelernt.“

Štěpán Altrichters nächste Projekte sind ein Drama über die Berliner Club-Szene und eine Komödie über einen 13-jährigen Jungen, der mit seinen Eltern von Tschechien nach Deutschland geht und versehentlich auf einer Mädchenschule landet. Genau das ist Štěpán Altrichter tatsächlich passiert. Sein Plan für die Zukunft: Das Beste von deutscher und tschechischer Seite zusammenführen:

„Das wäre mein Ziel. Ich sehe mich ohnehin eher als europäischen Filmemacher. Ich denke, in Zukunft wird man auf diese Trennung nicht mehr so viel geben. Heute kann man fast nur noch größere Filme machen, wenn man mehrere Länder involviert. Dass es funktioniert, sieht man ja zum Beispiel an Schmitke, der in Deutschland und in Tschechien angenommen wird. Man kann es nur als Vorteil sehen, dass man zwei Einflüsse hat. Und ich würde sie gerne verbinden – tschechische Seele und Humor mit der Art, Geschichten durchdacht zu erzählen, wie ich das in Deutschland gelernt habe.“


Schmitke kommt am 5. November in die deutschen Kinos.

Autor: Annette Kraus
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