Installation: Zerbrochene Utopien in MeetFactory
Die Konzeptkünstlerin Katharina Stadler stammt aus Wien und lebt mittlerweile in Tiflis. Seit Anfang Januar ist sie aber in Prag. Denn in der Prager MeetFactory hat sie eine großformatige Klanginstallation vorbereitet, mit dem Titel „Ruins Not Yet Built – Solidarity Blueprint“. Die Ausstellung wird an diesem Donnerstag eröffnet. Zudem präsentiert Stadler ihre älteren Arbeiten im Österreichischen Kulturforum Prag.
„Ich war letztes Jahr im Juni und Juli schon hier in Prag als ‚Artist in Residence‘ in der MeetFactory. Das war für ein Projekt, das ‚The New Dictionary for Old Ideas‘ heißt. Letzten Sommer habe ich hauptsächlich recherchiert, um eine neue Arbeit zu kreieren. Und jetzt bin ich knapp zwei Monate wieder an der MeetFactory, um dort diese neue Arbeit zu produzieren. Am 20. Februar haben wir eine Ausstellungseröffnung. Und gleichzeitig kam durch Gespräche mit dem Österreichischen Kulturforum in Prag das Angebot, auch dort eine Ausstellung zu installieren.“
Das Motto der gerade entstehenden Ausstellunglautet „alte Ideen in neuer Form“. Um welche Ideen geht es?
„Es geht darum, wie wir alte Utopien, die in der Vergangenheit Utopien für die Zukunft waren, in unserer Zukunft denken können.“
„Bei meiner Arbeit geht es darum, wie wir alte Utopien, die in der Vergangenheit Utopien für die Zukunft waren, in unserer Zukunft denken können. Das heißt, ich spiele mit mehreren Zeitebenen. Es gibt eine Vergangenheit, die wir als Vergangenheit wahrnehmen, aber es gibt auch eine Vergangenheit, die einst eine Zukunft war. Und umgekehrt eine Zukunft, in die wir blicken, aber die ja eines Tages auch eine Vergangenheit sein wird. Basierend darauf habe ich mich letzten Sommer mit Science-Fiction aus der Region beschäftigt, die sich mit der Gesellschaft beschäftigt. Es gibt tschechische, ungarische, österreichische und polnische Bücher, die in den 1910er bis 1930er Jahren die Gesellschaft ganz genau analysiert, kritisiert und entweder ein utopisches oder ein dystopisches Bild aufgezeichnet haben. In diesen Büchern habe ich gelesen und recherchiert, um zu überlegen, was die Parameter sind, die sich wiederholen. Es sind Parameter, die wir neu aufgreifen können, um eine Utopie daraus zu kreieren, die uns eventuell in ein anderes, mehr solidarisches Gesellschaftskonstrukt führen könnte.“
Und welche gemeinsamen Parameter haben Sie gefunden?„Das ist fast die schwierigste Frage. Die gemeinsamen Parameter sind ein Bedürfnis nach Gemeinschaft, das aber immer enttäuscht wird. Es wird etwas angestrebt, etwas erhofft, was in den meisten dieser Romane jedes Mal wieder zerbricht. Es gibt da sehr selten Momente, in denen das tatsächlich umgesetzt werden kann. Für mich stellen sich daher folgende Fragen: Woran liegt das? Warum können wir das nicht umsetzen? Warum fällt es den Menschen so schwer, gemeinsam solidarisch zu leben? Warum fallen die Menschen im Verlangen nach Macht immer wieder in Gefühle wie Neid zurück? Das ist einer der Punkte, die sich in diesen belletristischen Utopien ständig wiederholen.“
Wie sieht Ihre Antwort darauf aus? Wie haben Sie das Kunstwerk gestaltet, das auf dieser Grundlage entstanden ist?
„Es wird etwas erhofft, was wieder zerbricht. Warum fällt es den Menschen so schwer, gemeinsam solidarisch zu leben?“
„Ich habe Tesla-Lautsprecher, sowohl aus der Zeit vor 1989 als auch aus der Zeit danach, als Basis genommen. Es war mir wichtig, dass verschiedene Zeitaspekte vorhanden sind. Allerdings werden die Besucher der Ausstellung diese Lautsprecher nicht sehen, die sind nämlich komplett in Beton eingebettet. Und zwar so, dass der Beton einen Widerstand für den Sound liefert, der Sound muss herausbrechen. Wenn wir davon ausgehen, dass es leider immer schwierig ist, die Utopie umzusetzen, heißt es, dass wir da Ruinen einer Utopie haben. Ich habe mir überlegt, wie diese Ruinen aussehen, sich anfühlen und vor allem sich anhören können. Was sind da die Reste in diesen Ruinen, die man optisch sehen und fühlen kann, und was kann man daraus ziehen? Das größte Problem ist sicherlich, die ‚große Utopie‘ umzusetzen. Aber in kleinen Momenten oder in kleinen Ansätzen muss es ja gehen. Darauf versuche ich anzuspielen. Diese kleinen Momente sind greifbar in meiner Arbeit und idealerweise auch übertragbar.“
Diese Klanginstallation in der MeetFactory wird bald eröffnet. Sie präsentieren hier im Österreichischen Kulturforum in Prag aber noch eine weitere Ausstellung. Darin sind Ihre älteren Arbeiten zu sehen und zu hören, die an unterschiedlichen Orten entstanden sind…„Man kann hier Arbeiten aus drei verschiedenen Kontexten finden. Ich arbeite immer sehr lokal- und kontextbezogen. Deswegen macht es einen großen Unterschied, ob eine Arbeit in Teheran oder in einem kleinen Dorf in Dänemark entstanden ist. Zwei Arbeiten sind im Rahmen von ‚Artists in Residence‘ entstanden, zwei Arbeiten im Zusammenhang mit einem Fanzine, das ich zusammen mit einem Freund herausgegeben habe. Zwei weitere Arbeiten beruhen auf Einladungen von Galerien. Das beeinflusst natürlich das Format und die Möglichkeiten. Ich versuchte hier einen roten Faden aufzuzeigen, an dem ich arbeite, der mich nicht loslässt. Das ist die Frage, wie wir als Individuen und als Gemeinschaft mit ideologischen Strukturen umgehen, wie wir daraus ausbrechen können. Mit diesen ideologischen Strukturen meine ich jetzt nicht eine spezielle Ideologie, sondern Strukturen, die Gesellschaften als Fundament zu Grunde liegen. Man kann in diese verschiedenen Lokalitäten hineintreten, gleichzeitig war aber meine Intention, die Arbeiten aus der jetzigen lokalen Perspektive zu denken: Was sagt diese Arbeit für mich hier in Prag, egal ob ich jetzt in Prag lebe oder auf Besuch bin? Funktioniert es? Gibt es mir auch eine Frage oder ein Gefühl mit? Oder ist es eventuell vollkommen losgetrennt von meinem Kontext oder vom Kontext der Besucher?“
„Ich arbeite immer sehr lokal- und kontextbezogen.“
Wie ist der Kontext in Prag? Sie kommen aus Wien, haben in Berlin studiert, jetzt leben Sie in Tiflis. Wie ist es für Sie, für längere Zeit in Prag zu sein?
„Ehrlich gesagt: wunderschön. Mein Großvater war in den 1960er Jahren in Prag, und ich bin damit aufgewachsen, dass es immer wieder Erzählungen gab. Prag war so eine Stadt, die nicht nur hinter dem Eisernen Vorhang lag, sondern zu der es Geschichten gab, bei der in meinem Kopf Bilder entstanden sind, ohne hier gewesen zu sein. Ich war später als Besucherin in Prag. Als ich aber letzten Sommer länger hier verbracht habe, war es interessant, auch diese Kindheitserinnerungen von Erzählungen anderer Menschen aufzugreifen. Ich habe mich viel mit der Zeit beschäftigt, in der meine Großeltern hier waren. Gleichzeitig haben die Städte, die damals in der Habsburger Monarchie miteinander verbunden waren, auch architektonisch viele Referenzen. Mir ging es immer so, wenn ich nach Budapest oder nach Ljubljana kam, dass da eine gewisse Vertrautheit ist. Insofern hat es in Prag nach wie vor eine Vertrautheit, die gleichzeitig erschreckt, weil mein Tschechisch sehr minimal ist. Ich kann ein bisschen was verstehen, aber ich bin nicht Teil der Gesellschaft, weil ich sehr viel nicht verstehe.“
„Prag war eine Stadt, bei der in meinem Kopf Bilder entstanden sind, ohne hier gewesen zu sein.“
Endet Ihr Aufenthalt in Prag jetzt mit der Vernissage, oder wie geht es weiter?
„Jein. Mit der Vernissage endet der Aufenthalt für diese Produktion. Ich werde allerdings im April wiederkommen und unter anderem eine Führung durch die Ausstellung im Österreichischen Kulturforum geben. Und danach weiß ich noch nicht. Aber angesichts dessen, dass ich in den vergangenen neun Monaten doch viel davon hier verbracht habe, hoffe ich doch, dass sich da bald wieder neue Möglichkeiten ergeben.“
Die Ausstellung im Rahmen des Projekts „The New Dictionary of Old Ideas“ läuft von 20. Februar bis 27. März. 3, und zwar im Kunstzentrum MeetFactory im Prager Stadtteil Smíchov (Ke Sklárně 3213/15, Prag 5, Öffnungszeiten täglich 13–20 Uhr). Die Ausstellung ID-FI ist im Österreichischen Kulturforum Prag bis 2. April zu sehen (Jungmannovo náměstí 18, Prag 1, Öffnungszeiten Mo–Fr 10–17 Uhr).