Islam in Tschechien

Vladimír Sánka (Foto: Autor)

Das öffentliche Leben in Tschechien ist nur in geringem Ausmaß von Religion geprägt. Den größten Anteil an der Bevölkerung haben die Konfessionslosen. Erst dann kommen Katholiken und Angehörige anderer christlicher Religionen. Doch auch einige Tausend Moslems gibt es in Tschechien. Von den weltweiten Diskussionen rund um den Islam bleibt die eher kleine Gruppe der hiesigen Moslems weitgehend unberührt. Allenfalls ein etwas gesteigertes Interesse an ihrer Religion würden sie derzeit verzeichnen, heißt es. Der Islam in Tschechien: Hören Sie dazu die folgende Ausgabe des Magazins "Schauplatz" von Gerald Schubert:

Vladimír Sánka  (Foto: Autor)
Dass eine Großstadt wie Prag eine moslemische Gemeinde hat, das liegt auf der Hand. Die Prager Moschee liegt zwar in einem ziemlich weit vom Stadtzentrum entfernten Außenbezirk, aber auch in der Nähe des Wenzelsplatzes gibt es ein islamisches Zentrum mit einem Gebetsraum. Der Direktor des Zentrums, Vladimír Sánka, beschreibt gegenüber Radio Prag die Entwicklung des Islam in Tschechien:

"Die Wurzeln der moslemischen Glaubensgemeinschaft reichen hier bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Im Jahr 1934 entstand die erste moslemische Gemeinde. Damals gab es hier die ersten tschechischen Moslems, aber auch bosnische Moslems und so weiter. Später dann, nach dem Jahr 1989, änderten sich die Bedingungen soweit, dass die Moslems hier wieder Organisationen gründen konnten. Es wurde die Islamische Stiftung in Prag gegründet, und später auch die Islamische Stiftung in Brünn. Beide hatten zum Ziel, islamische Zentren in diesen Städten zu gründen, wo die meisten der tschechischen Moslems leben. Die erste Moschee entstand dann 1998 in Brünn, und ein Jahr später entstand auch eine in Prag. Was die Zahl der Moslems betrifft, so können wir nur schätzen. Es dürften etwa zehn- bis fünfzehntausend in der ganzen Tschechischen Republik sein. Meistens sind es Ausländer, die hier entweder arbeiten oder studieren, einige sind nur vorübergehend im Land. Moslems tschechischen Ursprungs gibt es schätzungsweise vier- bis fünfhundert."

Vladimír Sánka  (Foto: Autor)
Der Islam ist in den letzten Monaten und Jahren wohl stärker ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gedrungen als jemals zuvor. Oder vielleicht sollte man eher sagen: Ins Halbbewusstsein. Denn wenn die Massenmedien eine Religionsgemeinschaft beinahe ausschließlich im Zusammenhang mit Terroranschlägen oder Geiselnahmen thematisieren, dann muss man davon ausgehen, dass das entstandene Bild am tatsächlichen Glaubensinhalt in der Regel weit vorbeizielt. Haben die Moslems in Tschechien in diesem Zusammenhang einen Stimmungswechsel in der Öffentlichkeit registriert? Vladimír Sánka:

"Das, was wir in letzter Zeit vielleicht bemerkt haben, ist ein erhöhtes Interesse an Informationen über den Islam. Dieses Interesse steht möglicherweise mit der internationalen Situation in Zusammenhang. Damit, dass viele Medien mehr über den Islam schreiben, dies jedoch - unserer Meinung nach - sehr verzerrt und negativ. Sie bringen den Islam mit Dingen in Verbindung, die überhaupt nicht zu ihm gehören. Hauptsächlich mit den Taten von Extremisten, die wir ebenfalls verurteilen. Wir versuchen also, die Dinge zu erklären und den Menschen, die Interesse haben, ordentliche Informationen über den Islam anzubieten."


Unter den westeuropäischen Ländern hat im Zusammenhang mit dem Islam in letzter Zeit vor allem Frankreich von sich Reden gemacht: Das Kopftuchverbot an französischen Schulen hat weltweit Aufmerksamkeit erregt - nicht zuletzt durch die Entführung von zwei französischen Journalisten, mit denen Extremisten eine Rücknahme dieses Verbots erzwingen wollten. Ist in Tschechien die Situation schon aufgrund der Kleinheit der moslemischen Gemeinde entspannter? Vladimír Sánka, Direktor des Islamischen Zentrums, bejaht:

"Ich glaube, da haben Sie den Unterschied zwischen der Tschechischen Republik und vielen anderen europäischen Ländern schon genannt. Hier gibt es nur eine verhältnismäßig kleine moslemische Gemeinde. Während man die Moslems in Deutschland, England oder Frankreich in Hunderttausenden oder gar Millionen zählt, sind es bei uns nur etwa zehntausend. Die Öffentlichkeit nimmt uns also wahrscheinlich nur als eine eher unbedeutenden Randgruppe wahr und kommt mit uns kaum in Kontakt. Wenn allerdings irgendein Projekt wie etwa der Bau einer Moschee auftaucht, dann gibt es immer einige Leute, die protestieren. Das sind Leute, die xenophobe Ansichten haben oder auch falsche Informationen über den Islam. Sie glauben, dass durch den Bau einer Moschee etwas Fremdes angelockt wird. Wir selbst aber betrachten uns als einen integralen Bestanteil der Gesellschaft. Wir haben Interesse daran, dass unser Land und unsere Gesellschaft prosperieren, und wir wollen uns daran auch beteiligen."

Apropos Bau von Moscheen: Erst im vergangenen Winter war in der nordmährischen Gemeinde Orlová ein entsprechender Plan aufgetaucht: Angeblich saudiarabische Projektanten wurden bei Bürgermeister Vladimír Farana vorstellig und verhießen die Aussicht auf Milliardeninvestitionen und dauerhaft zu schaffenden Arbeitsplätzen. Das Projekt scheiterte letztlich jedoch an grundsätzlichen Unklarheiten: Offenbar fehlte den Investoren die Rückendeckung aus der Heimat, und auch bezüglich der konkreten Finanzierung blieben zu viele Fragen offen. Bürgermeister Farana denkt zurück:

"Ich persönlich muss sagen: Ich hätte es mir vorstellen können. Ich machte mir zwar großen Sorgen darüber, wie das Ganze ausgehen wird, ob es ein richtiger oder ein falscher Schritt ist. Schließlich aber hat es geendet, wie es eben geendet hat. Die Angelegenheit hat sich sozusagen von selbst erledigt. Im Großen und Ganzen habe ich darin aber eine Chance gesehen."

Auch Vladimír Sánka vom Islamischen Zentrum kann sich an den Fall erinnern:

"Wir haben die Causa auch verfolgt und uns auf Anfrage der Medien auch dazu geäußert. Für mich war die Absicht dort von Anfang an nicht seriös. Derjenige, der mit dieser Idee gekommen ist, konnte gar kein richtiges Projekt oder gar Sponsoren aufweisen. Außerdem war meiner Meinung nach der Ort, den er dafür gewählt hat, absolut unpassend. Ein Ort, an dem fast gar keine Moslems sind."


Eine letzte Frage an Vladimír Sánka, den Direktor des Islamischen Zentrums in Prag: Wie ist er eigentlich zum islamischen Glauben gekommen?

"Meinen ersten Kontakt mit dem Islam hatte ich, als ich als Techniker in ein moslemisches Land gereist bin. Dort habe ich etwa zweieinhalb Jahre lang gearbeitet. Nach meiner Rückkehr ist etwa fünf Jahre lang gar nichts passiert. Erst später dann habe ich begonnen, mehr über die geistigen Dimensionen des Lebens nachzudenken. Ich habe Antworten auf verschiedene Fragen gesucht. Und ich habe gemerkt: Das, was mir fehlt, ist der Glaube."

Sánka hat sich informiert. Er hat verschiedene Religionen miteinander verglichen. Für und Wider abgewogen. Monotheistische Religionen schienen im am konsistentesten zu sein. Letztlich erinnerte er sich an seine erste Bekanntschaft mit dem Islam einige Jahre zuvor. Und daran, dass der Islam auch auf jüdische und christliche Wurzeln zurückgreift. Sie alle würde man im Islam wieder finden.