Ja mit Hintertür: Tschechien akzeptiert EU-Mehrwertsteuerkonzept
Im Streit um verminderte EU-Mehrwertsteuersätze hat die Tschechische Republik am Wochenende dem Drängen der Mehrheit der EU-Staaten nachgegeben. Oder war es umgekehrt? Wie fast immer nach politischen Auseinandersetzungen fühlen sich beide Seiten als Gewinner: Die österreichische Ratspräsidentschaft ist ein gutes Stück weiter bei dem Bemühen, ihren Reformentwurf durchzusetzen - und die tschechische Delegation rühmt sich, erreicht zu haben, was zu erreichen war. Wie beides zusammengeht, versucht Thomas Kirschner zu erklären.
Ein klares Nein kam in der vergangenen Woche aus Prag: gemeinsam mit den EU-Neumitgliedern Polen und Zypern hatte sich die Tschechische Republik gegen den österreichischen Vorschlag zur Neuregelung der Mehrwertsteuer gestellt. Hauptstreitpunkt für Tschechien: das Ende des ermäßigten fünfprozentigen Steuersatzes für Haus- und Wohnungsbau. Stattdessen sollten ab 2008 die regulären 19 Prozent fällig sein. Bis zum Wochenende hatten die EU-Finanzminister den Opponenten Bedenkfrist eingeräumt; am Samstag gab es weißen Rauch über der Prager Burg:
"Die Verhandlungen haben unter großem Druck stattgefunden. Wir haben dabei das Maximum erreicht, und ich meine, die tschechische Delegation hat sich bei diesen Verhandlungen als kompetent erwiesen", erklärte für die Regierungskoalition der Vorsitzende der Christdemokraten Miroslav Kalousek.
Das Ergebnis: Tschechien stimmt dem Entwurf inklusive der vorgeschlagenen Erhöhung zu, reiht einen Löwenanteil der neuen Bauvorhaben aber unter den sozialen Wohnungsbau ein, für den weiterhin der fünfprozentige Steuersatz gilt. Die Definitionshoheit liegt hier bei den Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten, betont Finanzminister Bohuslav Sobotka:"Es ist jetzt an der tschechischen Regierung, selbst die Bedingungen für die vergünstigte Besteuerung von sozialem Wohnungsbau festzulegen. Das wird natürlich nicht alle Neubauten von Wohnungen und Einfamilienhäusern in Tschechien betreffen. In den Unterlagen, die die Regierung vorbereitet, werden Parameter enthalten sein, etwa die Größe und der Anteil der öffentlichen Unterstützung und ähnliches."
Für sozialen Wohnungsbau gilt auch in vielen anderen EU-Ländern der ermäßigte Mehrwertsteuersatz, allerdings zumeist in begrenztem Umfang. Nach dem erzielten Übereinkommen wird der niedrige Steuersatz in Tschechien des Weiteren bis 2010 für arbeitsintensive Dienstleistungen gelten, zum Beispiel Hausmeisterarbeiten und häusliche Pflege, zeitlich unbegrenzt außerdem für Fernwärme. Von den ursprünglichen Opponenten hat inzwischen auch Zypern dem österreichischen Steuerentwurf zugestimmt; Polen wurde wegen der Katastrophe in Kattowitz eine Verlängerung der Bedenkfrist eingeräumt.