Jan Palach und das Jahr 1969
Heute laden wir Sie zu einem Ausflug in das Jahr 1969 ein und erinnern daran, was die Gemüter der Tschechinnen und Tschechen vor 35 Jahren bewegte - Jan Palach, Jan Zajic, Eishockey und vieles mehr.
Das Jahr 1969 begann eigentlich positiv - insbesondere für die Slowaken. Zum 1. Januar trat das Gesetz über die Föderation des Staates in Kraft. Dies war einer der wenigen Beschlüsse des Jahres 1968, der tatsächlich verwirklicht wurde und nicht nach der gewaltsamen Beendigung des Prager Frühlings im August 1968 für nichtig erklärt wurde. Damals entstanden die tschechische föderative Republik und die slowakische föderative Republik. Das Land verfügte von nun an über ein tschechisches, ein slowakisches und ein tschechoslowakisches Parlament sowie über drei Regierungen. Damit war zwar einer der Beschlüsse des Reformjahres 1968 in Kraft getreten, doch die neuen Posten wurden mit Moskautreuen Genossen besetzt - ein Zeichen dafür, dass die Reformbewegung endgültig gescheitert war.
Vier Monate zuvor - im August 1968- hatten Panzer und Soldaten der Warschauer Pakt-Staaten den Prager Frühling gewaltsam beendet. Mit der Invasion starben die Hoffnungen auf politische und gesellschaftliche Veränderungen. Die Bevölkerung begann, sich mit den Veränderungen abzufinden - was sollte und konnte man auch tun angesichts fremder Armeen im Lande - außer emigrieren.
In diese Atmosphäre der Resignation und des Zurückziehens in den unpolitischen Alltag platzte am 16. Januar 1969 die Nachricht von der Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach. Palach wollte mit seiner radikalen Tat das Volk wachrütteln, es an die Ideale der Reformbewegung erinnern, gegen die zunehmende Gleichgültigkeit kämpfen. Drei Tage später, am 19. Januar 1969, erlag er den schweren Verbrennungen in einem Prager Krankenhaus. Kurz vor seinem Tod konnte ein Kommilitone Palach im Krankenhaus besuchen. Dieser übermittelte die letzten Worte Palachs via Rundfunk an die tschechoslowakische Bevölkerung:
"Meine Tat hat ihren Sinn erfüllt. Aber niemand sollte sie wiederholen. Die Studenten sollten ihr Leben schonen, damit sie ihr ganzes Leben lang unsere Ziele erfüllen können, damit sie lebendig zum Kampfe beitragen."Jan Palachs Plan ging in Erfüllung - wenn auch nur für kurze Zeit: Tausende von Menschen waren durch seine Tat für einige Tage aus ihrer Gleichgültigkeit und Lethargie gerissen. 10.000e defilierten an seinem Sarg vorbei, der in der Prager Karlsuniversität aufgebahrt war. Sie alle wollten so ihre Achtung gegenüber Palach ausdrücken, aber auch ihre Ablehnung der neuen Verhältnisse. Am 25. Januar fand schließlich das Begräbnis von Jan Palach auf dem Olsaner Friedhof in Prag statt. Erneut waren 10.000e Menschen auf den Strassen unterwegs. Das Begräbnis wurde zu einer Massendemonstration gegen die sowjetischen Okkupanten. Palachs Tod stellte jedoch nur ein Memento dar und konnte die Veränderungen in der Tschechoslowakei nicht aufhalten.
Als sich Ende Februar 1969 der Student Jan Zajic auf dem Wenzelplatz ebenfalls aus Protest gegen die Okkupation verbrannte, rief sein Tod nicht mehr die Reaktion hervor wie noch einen Monat zuvor.
Ein anderes Ereignis weckte allerdings die Tschechen und Slowaken aus ihrer zunehmenden Resignation: Die Eishockey-Weltmeisterschaft in Schweden. Als die Tschechoslowakei die Sowjetunion in der ersten Runde besiegte, wurde dies überall im Lande mit Genugtuung gefeiert. Als das tschechoslowakische Team über das sowjetische ein zweites Mal triumphierte, kannte die Freude keine Grenzen. Die politische Bedeutung dieses Eishockeysiegs war um einiges größer als die sportliche.
Ein Dreiviertel Jahr nach der gewaltsamen Beendigung des Prager Frühlings durch russische Truppen, hatten es die Tschechoslowaken geschafft, den verhassten großen Bruder zu besiegen. Die Nation befand sich im Hockeyfieber - wer konnte, schaute Fernsehen. Presseberichte verglichen die Stimmung in den Strassen mit der südamerikanischer Karnevalsfeiern.
Die Feiern nach den Siegen über die Sowjetunion wurden allerdings auch von den kommunistischen Hartlinern ausgenutzt. Sie trachteten danach, die Ergebnisse des Prager Frühlings rückgängig zu machen und die Symbolfiguren dieser Bewegung in den Hintergrund zu drängen. Die von ihnen inszenierte Demolierung der Aeroflot-Niederlassung in Prag während der Siegesfeiern wurde zum Anlass für einen Besuch des sowjetischen Verteidigungsministers in Prag genommen. Dieser äußerte sich unzufrieden über den Stand der Dinge und verlangte eine schnellere "Normalisierung". Die ersten Schritte zur Zufriedenstellung des großen Bruders ließen nicht lange auf sich warten:
Anfang April wurde eine vorläufige Zensur eingeführt. Kritische Zeitschriften und Zeitungen wurden verboten. Mitte April wurde Alexandr Dubcek, d i e Symbolfigur des Prager Frühlings, als Generalsekretär der Partei durch Gustav Husak abgelöst.
Mit einigen Befürchtungen blickte die neue politische Riege auf den sich nähernden ersten Jahrestag der Invasion der Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei. Wochenlang bereitete sich die neue Regierung auf die zu erwartenden Demonstrationen vor. Die Armee war ebenso wie die Volksmiliz und die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Dennoch begannen die Prager sich bereits am 19. August auf dem Wenzelplatz zu versammeln. Am 21. August, dem Jahrestag, demonstrierten dann bis zu 100.000 Menschen in Prag gegen die Invasion.
Auch in anderen Städten gingen die Menschen auf die Strasse. Gegen die Demonstranten wurden Panzer eingesetzt. Diesmal handelte es sich allerdings nicht um Panzer und Soldaten sozialistischer Bruderstaaten, sondern um tschechoslowakische. 300 Panzer und 20.000 Soldaten gingen in 30 Städten gegen ihre Mitbürger vor. Die Bilanz war tragisch: vier Tote und Dutzende von Verletzten.Die Regierung reagierte prompt auf die Unruhen: in einer Sondersitzung wurden sofortige Maßnahmen zur Festigung und zum Schutz der öffentlichen Ordnung beschlossen. Das Strafmass bei Vergehen wie Aufwiegelung oder Beleidigung der Republik oder eines Amtsträgers wurde kurzerhand erhöht. Eine weitere Maßnahme ermöglichte es, so genannte "Störer der sozialistischen Ordnung" sofort aus ihrer Arbeit zu entlassen bzw. ihnen das Weiterstudium oder den Aufenthalt in bestimmten Städten zu verbieten. Die Maßnahmen traten bereits am 22. August 1969 in Kraft. Sie sorgten dafür, dass immer weniger Menschen sich trauten, in der Öffentlichkeit die politischen Verhältnisse zu kritisieren.
Einen Schlussstrich unter die Konsolidierung der Verhältnisse setzte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei im September. Es erklärte alle im Juli und August 1968 vom damaligen, reformfreundlichen Zentralkomitee verabschiedeten Beschlüsse für ungültig. Die Partei erlebte außerdem ihre erste Säuberungswelle: führende Vertreter des Prager Frühlings wurden ausgeschlossen. Bis zum Sommer des folgenden Jahres wurden 67.000 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, 147.000 traten selber aus Protest gegen die Veränderungen aus, 259.000 wurden aus den Mitgliedsverzeichnissen gestrichen.
Zu Beginn des Jahres 1969 hatte Jan Palach mit seiner Tat die Bevölkerung der Tschechoslowakei für einige Tage aus der wachsenden Resignation gerissen. Am Ende des Jahres jedoch scheinen sich Tschechen und Slowaken mit den politischen Veränderungen abgefunden zu haben. Der Kampfgeist war gestorben, die Resignation hatte ebenso gesiegt wie die Moskautreuen Kommunisten - man zog sich in das Privatleben zurück und wartete auf bessere Zeiten.