Rote Ultras – Propaganda für die Besetzung der Tschechoslowakei 1968

August 1968 (Foto: Engramma.it, Wikimedia CC BY-SA 3.0)

Am 21. August 1968 marschierten die Truppen der Sowjetunion und weiterer kommunistischer Staaten in die Tschechoslowakei ein. Diese Invasion setzte dem so genannten Prager Frühling ein Ende - also dem Versuch einer Demokratisierung des gesellschaftlichen und politischen Lebens im Land. Für viele Menschen hierzulande kam die Besetzung unerwartet und sie waren schockiert. Es gab aber auch diejenigen, die die Rückkehr zur totalen Kontrolle durch die KPTsch begrüßten. Dies waren vor allem ältere Kommunisten „stalinistischen“ Schnitts, die sich in einer informellen Gruppe organisierten.

Alexander Dubček  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Der Prager Frühling von 1968 begann eigentlich bereits im Winter. Als Alexander Dubček im Januar des Jahres an die Spitze der allmächtigen kommunistischen Partei gewählt wurde, wirkte dies wie eine Offenbarung aus einer anderen Welt. Schon sein Verhalten unterschied ihn von seinen Vorgängern. Der charismatische Politiker war freundlich und spontan, bis dahin hatten sich die kommunistischen Spitzen immer kalt und unnahbar gegeben.

Dubčeks Vision war ein „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, und dafür konnte er sogar Millionen von Menschen begeistern. Nach vielen Jahren herrschte wieder Meinungsfreiheit, und die Staatsgrenzen öffneten sich. Nicht alle sahen das jedoch gern: Viele Kommunisten fühlten sich bedroht. Sie befürchteten nicht nur, ihre politischen Posten zu verlieren, sondern auch die Dominanz ihrer Weltanschauung. Diese Politiker begannen sich daher zu organisieren, ohne jedoch zunächst größeren Einfluss zu haben. Ihre Sternstunde kam erst nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen. Dann organisierten sie zum Beispiel Treffen in Betrieben, an denen auch die Vertreter der Besatzungseinheiten teilnahmen, und halfen bei der Verteilung von Propagandazeitungen und anderen Drucksachen der Okkupanten. Josef Jodas stand an der Spitze dieser informellen Gruppe. Ende 1969, als der Prager Frühling schon erstickt war, beschrieb er im Tschechoslowakischen Rundfunk, wie sich die Lage unmittelbar nach dem Einmarsch für ihn dargestellt hatte:

August 1968  (Foto: Engramma.it,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
„Es gab damals eine große Propagandawelle in den Medien, die den Eindruck erweckte, als ob die gesamte KPTsch und das ganze tschechoslowakische Volk den Einmarsch der Truppen verurteilen würden. Zudem brach eine hasserfüllte Kampagne gegen die Sowjetunion los. Wir alte Kommunisten waren mundtot gemacht, es war sogar gefährlich, seine Meinung zu sagen. Wir wurden beschimpft und mit dem Tod bedroht. Es war, als ob die Menschen schon vergessen hatten, was die Sowjetunion und ihre Armee für die Freiheit unserer Nation bedeuteten. Uns war klar, dass die befreundeten Armeen unsere Souveränität nicht beeinträchtigen würden. Im Gegenteil, sie verhinderten die Kontrarevolution, wie sie 1956 Ungarn erlebt hatte.“

Josef Jodas war damals ein typischer altgedienter Kader: Der KPTsch war er schon mit 19 Jahren bei der Parteigründung von1921 beigetreten. Er hatte sich dann vor allem im kommunistischen Turnverein engagiert. Praktisch den ganzen Zweiten Weltkrieg verbrachte Jodas im Konzentrationslager, was seine Gesundheit ruinierte. 1968 war er 65 Jahre alt, sehr krank und fast blind war - aber er war gut vernetzt und konnte zahlreiche Genossen zusammenbringen, weswegen er viele Meetings organisierte. Die von ihm geführte Gruppe wurde sogar seinem Namen nach „Jodasovci“ genannt. Zu ihren größten Aktionen gehörte eine Versammlung vom 20. Februar 1969, das waren etwa zwei Monate, bevor Alexander Dubček von der Spitze der KPTsch abgesetzt wurde. Es handelte sich um ein Treffen in einer Fabrik im Prager Stadtteil Libeň. Die Stimmung war sehr gereizt, wie in der Aufnahme der Veranstaltung zu hören ist:

„Bitte Ruhe! Seid euch bewusst, dass die Demokratie darin besteht, dass jeder sich äußern kann, wenn er dabei niemanden anfeindet! Ich denke, dass wir alle dieser Ansicht sind. Also bitte respektiert dies!“

Jan Palach  (Foto: Wikimedia Commons,  Free Domain)
Vilém Nový, einer der Befürworter des sowjetischen Einmarschs, erklärte, er sei Mitglied des Zentralkomitees der Partei und habe dessen Vertrauen. Danach äußerte sich zum tragischen Tod von Jan Palach. Der Student hatte sich nur wenige Tage zuvor aus Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen auf dem Prager Wenzelsplatz selbst verbrannt. Der Stalinist Nový behauptete, die Verbrennung von Palach sei eine organisierte Aktion von Kontrarevolutionären gewesen, die Unruhe auslösen sollte.

„Ich persönlich glaube nicht an einen Zufall, dass sich genau einen Tag vor der Tagung der KPTsch eine reaktionäre Studentengruppe getroffen hat und es gerade während unserer Tagung zu dieser schrecklichen Tat gekommen ist. Auch die Berichte der ausländischen Medien weisen darauf hin, dass es sich um eine gezielte Provokation handelt. Die Absicht dieser Provokateure ist es, die Aufmerksamkeit weg von den positiven Auswegen zu leiten, keine Beruhigung zuzulassen und die Gesellschaft in einer ständigen Spannung zu halten. Es geht ihnen darum, keine Konsolidation bei uns zu ermöglichen.“

Konsolidation bedeutete in der Vorstellung dieser roten Ultras, den Prozess der Demokratisierung zu stoppen, also die Meinungsfreiheit wieder einzuschränken, die Staatsgrenzen zu schließen und das ganze gesellschaftliche Leben unter Kontrolle zu bringen. Die Menschen sollten die für kurzes gewährten Freiheiten einfach vergessen. Gerade dagegen wollte aber Palach mit seiner Verzweiflungstat protestieren. Daher gaben sich die Konsolidateure die Mühe, seine Tat herabzusetzen.

Foto: Tschechisches Fernsehen
Eine andere einflussreiche Persönlichkeit unter den kommunistischen Ultras war der Schriftsteller Rudolf Černý. Seine Romane sind längst in Vergessenheit geraten, nur an den Kriegsfilm „Waffen für Prag“, an dem er als Drehbuchautor beteiligt gewesen war, können sich die Zeitzeugen noch heute erinnern. Černý bezeichnete sich selbst als „parteiloser Kommunist“, denn er war nie Mitglied der KPTsch gewesen, seine Weltanschauung war jedoch streng bolschewistisch. Im September 1969 kommentierte er in einem Radiobeitrag die Emigrationswelle, die die Besetzung des Landes ausgelöst hatte:

„Die Flüchtlinge wurden aus verschiedenen Gründen in den Westen getrieben. Bei einigen waren es Romantik und Verwirrung, bei anderen das schlechte Gewissen und böse Absichten. Naturgemäß begann für alle im Rahmen der kapitalistischen Konkurrenz der Kampf um die bloße Existenz. Moralische Zersetzung wird früher oder später manche von ihnen auf den Weg der Diversion bringen und sie zur Schädigung ihrer eigenen Heimat verleiten. Eine besondere Kategorie stellen die Kontrarevolutionäre dar, die noch bevor sich ihre Verbrechen herausstellten, verschwunden waren. Sie gingen nicht weg, um ein asketisches Leben zu führen für die Ideale der Demokratie, wie sie dies zu Zeiten des ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ vorgetäuscht hatten, sondern weil ihre reaktionären Visionen besiegt wurden.“

In den Jahren 1968 bis 1970 emigrierten nach den heutigen Einschätzungen etwa 200.000 Menschen aus der Tschechoslowakei. Vor allem qualifizierte Spezialisten blieben im Ausland, da sie relativ gute Chancen für einen Neustart hatten. Zurückkehren durften sie nicht mehr, denn für das unerlaubte Verlassen des Staates drohte ihnen eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Die tschechoslowakische Wirtschaft war durch diesen Aderlass stark betroffen, aber auch die Akademie der Wissenschaften verlor zum Beispiel elf Prozent ihrer Mitarbeiter. Die offizielle Propaganda stempelte die Emigranten trotzdem zu Verrätern, die mit ihrem Weggang dem Staat aber keinen Schaden zufügen könnten. „Auf zu einem besseren Morgen“, lautete damals die Losung.

Gustáv Husák  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
In der Jodas-Gruppe fanden sich insgesamt einige Dutzend ultrakonservative Kommunisten zusammen, wie die Historiker schätzen. Trotz ihres Eifers erhielten sie aber keinen sonderlichen Dank von den politischen Spitzen aus der Zeit der sogenannten Normalisierung. Ihre Namen wurden zwar in Propagandazeitschriften erwähnt, ihr tatsächlicher Einfluss nahm jedoch schnell ab. Die neue Führung der KPTsch versuchte eine pragmatische Haltung einzunehmen, in der stalinistische Rhetorik keinen Platz mehr hatte. Das Ziel war stattdessen, die Bevölkerung mit materiellen Zugeständnissen für den strengeren politischen Kurs zu entschädigen. Die Führung um Parteichef Gustáv Husák wollte den Lebensstandard im Rahmen des Möglichen erhöhen, damit sich die Menschen keine Gedanken machten über die Politik und am besten den Mund hielten.