Jazz-Rhythmen gegen das Schicksal: Fritz Weiss und die Ghetto Swingers

Fritz Weiss Quintett (Quelle: K. Heřmann, Wikimedia)

Das Lager in Terezín / Theresienstadt spielte in der Politik der Nationalsozialisten eine sonderbare Rolle: Als „Vorzeigeghetto“ sollte es dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes demonstrieren, dass den dorthin zwangsdeportierten Juden nichts Böses geschehe. So konnte beispielsweise Fritz Weiss in Theresienstadt eine Jazzband namens Ghetto Swingers gründen. Das war jedoch ein falsches Spiel der Nazis.

Fritz Weiss Quintett  (Quelle: K. Heřmann,  Wikimedia)
In bestimmten Dokumenten ist er als Fritz, in anderen als Bedřich Weiss eingetragen. Ob der 1919 in Prag geborene Musiker ein Tscheche oder ein Deutscher war, das lässt sich nicht so genau sagen. Beide Sprachen beherrschte er perfekt. Die Weiss´ gehörten zu den gut situierten jüdischen Familien, für die die Frage nach der Nationalität unwichtig war. Fritz studierte auf Wunsch seines Vaters Jura, selbst fühlte er sich aber eher zur Musik hingezogen. Schon mit 16 Jahren spielte er als Solist im Prager Kulturhaus „Lucerna“ und beherrschte mehrere Instrumente. Petr Koura ist Historiker an der Prager Karlsuniversität:

„Er war ein Naturtalent, doch Weiss hat seine Begabung sehr fleißig weiterentwickelt. Er hörte Aufnahmen amerikanischer Swing-Musik, die ihn begeisterten. Zunächst spielte er Trompete, laut den Erinnerungen des später berühmten Bandleaders Karel Vlach allerdings nicht sonderlich gut. Wahrscheinlich bereitete ihm die Technik Probleme, daher ging er zu Saxophon und Klarinette über. Seine Freunde erzählten, sie seien überrascht gewesen, wie schnell er diese Instrumente beherrschte. Besonders auf der Klarinette wurde er meisterlich. Er spielte sie im Stil von Benny Goodman, seinem Idol.“

Fritz Weiss fand sein erstes und zugleich letztes professionelles Engagement im Orchester „Swing Rhythm“, das sich später in Emil Ludvík Orchestra umbenannte. Im diesem Orchester spielten zunächst Tschechen, Deutsche und Juden brüderlich zusammen, aber die Politik brach Ende der 1930er Jahre auch hier hinein. Nachdem einige deutsche Musiker das Orchester verlassen hatten, wurde Fritz Weiss 1939 als erster Klarinettist engagiert. In diesem Jahr wurde aber Prag von der Wehrmacht besetzt, und die Nationalsozialisten erließen im neu entstandenen Protektorat Böhmen und Mähren antijüdische Gesetze. Weiss musste nun auf die öffentlichen Auftritte verzichten. Eine gewisse Zeitlang konnte er noch bei Studioaufnahmen mitwirken, denn nicht alle Musiker wurden auf den Schallplatten-Covern genannt. Einige der Einspielungen sind erhalten geblieben und wurden 2003 vom Jüdischen Museum in Prag auf einer CD herausgegeben.

Benny Goodman war sein Idol

Lubomír Dorůžka  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Im Protektorat wurde Juden bald aber schon verboten, überhaupt Musikinstrumente zu besitzen. Dem begabten jungen Musiker blieb ab da nur noch die Möglichkeit, zu komponieren und ab und zu geheim im Studio zuzuschauen und zuzuhören. Der Musikpublizist und Zeitzeuge Lubomír Dorůžka hat die Lage seines jüdischen Kollegen 1967 im Buch „Der Tschechoslowakische Jazz“ beschrieben:

„Weiss leitete die Proben laut einzelnen Sektionen, lehrte die Musiker gemeinsame Phrasierungen und sprach mit ihnen über ihre Soli. Vor allem aber arrangierte er die Kompositionen und gab daher dem Orchester sein musikalisches Gesicht. Dabei wohnte er in einer ganz kleinen Wohnung mit mehreren Verwandten zusammen. Seine ursprüngliche Wohnung hatten er und seine Eltern gemäß amtlichem Befehl aufgeben müssen. Nachdem Fritz´ Bruder im Herbst 1941 nach Theresienstadt deportiert wurde, wartete er ungeduldig auf jeden Brief von ihm. Im November desselben Jahres musste auch Fritz die Reise ins Ghetto antreten.“

Theresienstadt  (Foto: Denisa Tomanová)
Ein Musikinstrument ins KZ mitzunehmen, auch das war verboten. Fritz Weiss widersetzte sich jedoch dieser Anordnung und packte seine Klarinette und die Noten in sein Gepäck. Es gab mehrere solche Fälle: Ein Mann soll sogar sein Violoncello auseinandergenommen und im Koffer versteckt haben, mithilfe einer Dose Klebstoff setzte er es in Theresienstadt angeblich wieder zusammen. Der Überlieferung nach spielte Weiss schon am dritten Tag nach seiner Deportation ein illegales Konzert für die KZ-Häftlinge. Bald gelang es ihm, Kontakt zu einem tschechischen Gendarmen zu knüpfen, der regelmäßig an den Zaum des Ghettos kam und den Häftlingen ermöglichte, verschiedene Sachen hin und herzuschicken. Fritz bekam von ihm vor allem Noten zu verschiedenen Musikstilen, die er dann für den Jazz neu arrangierte – darunter zum Beispiel seine Interpretation von Julius Fučíks „Einmarsch der Gladiatoren“:

Musik für den Propagandafilm

Die Lage änderte sich dann aber in unerwarteter Weise, wie Petr Koura schildert.

„Ab dem Sommer 1942 wurde die Kultur einschließlich der Jazzmusik im Ghetto toleriert. Im Januar 1943 entstanden dort die legendären Ghetto Swingers. Es ist sogar eine sogenannte Gründungsurkunde erhalten, dies war ein Brief samt der Liste aller Musiker, den Fritz Weiss an die Verwaltung des Ghettos gesandt hat. Zunächst waren die Ghetto Swingers ein Quintett, nach und nach wurden aber weitere Musiker engagiert. Im Sommer 1943 lag die Zahl der Bandmitglieder einschließlich Sänger und Sängerinnen bei bis zu 15. In der nächsten Phase bemühten sich die Nazis, das Orchester auch propagandistisch auszunutzen. Sie ließen es vor der Kommission des Internationalen Roten Kreuzes und in einem Propagandafilm spielen. Die Musiker wurden beauftragt, die neuesten amerikanischen Jazzstücke einzuüben, also die Musik, die im nationalsozialistischen Deutschland als ‚entartete Negerkunst‘ verboten war. Jene Musiker, die den Holocaust überlebten, erzählten später, dass es für sie etwas Fantastisches gewesen sei, die Kompositionen von Glen Miller, Benny Goodman oder Duke Ellington spielen zu können. Sie wurden aber unbewusst Teil eines Plans der Nazis, um der Welt zu sagen: Den Juden fehlt da doch nichts, sie können sogar die Musik unseres Feindes spielen. Diese teuflische Strategie konnten aber die inhaftierten Menschen nicht durchschauen.“

Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“  (Foto: YouTube)
„Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ – so hieß der erwähnte Propagandafilm, der die Illusion eines normalen Lebens im Ghetto zeigen sollte. Premiere des Streifens war eine Vorführung im Frühling 1945 für Mitglieder der SS in Prag, heute ist der Film aber verschollen. Nur einige Fragmente sind erhalten, ohne aber die Sequenzen mit den Ghetto Swingers. Soweit bekannt ist, traten sie dreimal in dem Film auf: das erste Mal auf dem Dorfplatz, das zweite Mal bei einem Fest in der Natur außerhalb des Ghettos, wohin etwa 3000 Häftlinge transportiert worden waren, und das dritte Mal im Kaffeehaus, wo Jugendliche zur Musik tanzten. Fritz Weiss hatte die Auftritte arrangiert.

Die Nazis wollten Zeugen aus dem Weg räumen

Ghetto Swingers  (Foto: Archiv Yad Vashem)
Es waren jedoch die letzten Auftritte der Ghetto Swingers. Das Schicksal der Musiker war schon viel früher entschieden gewesen. Als Juden hatten sie und ihre Kunst in den Augen der Nazis keinen Platz auf der Welt.

„Die Mitwirkenden des Filmes vermuteten, sich auf diese Weise vor dem Transport in die Vernichtungslager retten zu können. Es passierte aber genau das Gegenteil. Der konkrete Zweck des Filmes ist nämlich bis heute unklar. Vielleicht sollte er bei möglichen Untersuchungen nach dem Krieg ein Argument dafür liefern, dass es keine Vernichtung der Juden gegeben hätte. Dazu mussten aber die Zeugen verschwinden, was auch wirklich geschah. Der Regisseur und Drehbuchautor Kurt Gerron, die meisten Mitwirkenden sowie fast alle Kinder-Darsteller wurden nach den Aufnahmen nach Auschwitz deportiert und ermordet“, so Historiker Koura.

Coco Schumann  (Foto: YouTube)
Heute lebt nur noch ein letztes Mitglied der Ghetto Swingers, der bekannte Berliner Jazzmusiker Coco Schumann. Er war auch der ein direkter Zeuge der letzten Stunden von Fritz Weiss. Wie er Petr Koura erzählt, kam es nach der Ankunft in Auschwitz zur berüchtigten Selektion an der Rampe. Coco Schumann und Fritz Weiss seien von Josef Mengele auf die sozusagen „glückliche“ Seite gestellt worden. Dann sei aber der Vater von Fritz Weiss an die Reihe gekommen, und ihm sei die andere Richtung gewiesen worden. Fritz blieb angeblich stehen, schaute zu seinem Vater hinüber und fragte schließlich Mengele, ob er seinem Vater folgen dürfe. „Wie du willst“, soll die Antwort gelautet haben. Fritz Weiss ging dann freiwillig in die Gaskammer von Auschwitz.