Johann von Böhmen: Vor 700 Jahren kamen die Luxemburger nach Prag
Anfang des 14. Jahrhunderts ging in Böhmen eine uralte Dynastie unter: die Přemysliden. Als der erst 16-jährige Wenzel III. ermordet wurde, hinterließ er keine männlichen Nachkommen. In den chaotischen Jahren danach versuchten unterschiedliche Herrscherhäuser den böhmischen Thron an sich zu reißen. Erfolg hatten vor genau 700 Jahren erst die Luxemburger. Mit Johann Heinrich entstand eine neue Erbfolge in Böhmen, die große Herrscher wie Karl IV. hervorbrachte. Rund ein und ein Viertel Jahrhunderte saßen die Luxemburger auf dem Thron in Prag. Der erste von ihnen, König Johann, genießt in der tschechischen Geschichtsschreibung eher einen schlechten Ruf. König Fremdling war sein Beiname.
Im Jahr 1308 verwaiste aber auch der Kaiserthron im Heiligen Römischen Reich. Gerade der Stimme Böhmens fiel großes Gewicht zu, um einen Thronfolger zu wählen. Doch Heinrich von Kärnten war zögerlich. An seiner Stelle entschied der ehemalige Kanzler am Hof von Wenzel II., Peter von Aspelt. Er war mittlerweile zum mächtigen Erzbischof von Mainz aufgestiegen. Die Wahl fiel auf Heinrich, Graf von Luxemburg. Und damit öffnete sich auch der Weg der Luxemburger nach Prag. Unter der Vermittlung der Zisterzienser wurde die Hochzeit der damals 18-jährigen Elisabeth von Böhmen, Annas Schwester, mit dem erst 14-jährigen Sohn des Kaisers ausgehandelt. Die Vermählung mit Johann von Luxemburg fand am 1. September 1310 im Dom von Speyer statt. Erst Ende desselben Jahres gelangte das Paar nach Böhmen:
„Wir wissen wegen der sehr detaillierten Beschreibung in der Chronik von Peter von Zittau, dass es nicht leicht war. Denn Prag war besetzt von der Armee des vorherigen Herrschers Heinrich von Kärnten. Er war zudem Schwager von Elisabeth. Ein Teil der Bürger neigte zum Kärntner, der andere zur Opposition. Erst durch eine List gelangten der junge König und seine Truppen in die Stadt. Es war bereits Anfang Dezember und damit Beginn des Winters. Die Lage war also ernst“, sagt die Kunsthistorikern Klára Benešovská.Sie ist Kuratorin der Ausstellung „Die Königshochzeit“, die derzeit im Haus zur Steinernen Glocke am Altstädter Ring in Prag zu sehen ist. Letztlich gelang es den Truppen des jungen Johann sogar, Heinrich und Anna für immer aus der Stadt zu jagen. Am 7. Februar 1311 wurden Elisabeth und Johann in Prag gekrönt.
Doch die Herrschaft gestaltete sich schwierig. Der böhmische Adel war aufsässig. Johann war bereit einzulenken, Elisabeth hingegen nicht. Erst als sich Johann durchsetzte und 1318 im Frieden von Domažlice die Stellung des Adels anerkannte, kehrte Frieden in Böhmen ein. Die Ehe des Königspaars, die zerbrach aber daran. Elisabeth lebte zeitweise im Exil und ihre gemeinsamen Kinder mit Johann wuchsen verteilt an mehreren Höfen in Europa auf. Sohn Wenzel, später Kaiser Karl IV., wurde beispielsweise in Frankreich erzogen. Elisabeth starb bereits mit 38 Jahren in Einsamkeit.Johann von Böhmen zog hingegen durch die Lande und betrieb europäische Politik. In der tschechischen Geschichtsschreibung wurde er deswegen über Jahrhunderte als „König Fremdling“ verachtet. In den letzten Jahrzehnten wurde begonnen, das Bild zu differenzieren. Kunsthistorikern Klára Benešovská:
„Er war eine schwierige Person. Auf den böhmischen Thron kam er in sehr jungen Jahren und hat sich erst dann zu einer anerkannten Persönlichkeit entwickelt. Seine Lage wurde dadurch beeinflusst und erschwert, dass er zu Anfang Sohn des Römischen Kaisers war und damit als Aushängeschild des Reiches galt. Nach dem Tod seines Vaters musste er sehr schnell auf die neue Lage reagieren. Er musste seine Ländereien in Luxemburg zusammenhalten, musste Kontakte pflegen mit den Höfen aus dem Westen des Reiches, mit Frankreich, mit dem päpstlichen Avignon. Es war also ziemlich logisch, dass er sich nicht nur in Böhmen aufhalten konnte, sondern unerlässlich reisen musste. Aber nur so wurde seinem erstgeborenen Sohn Karl der Weg geebnet zu seiner späteren Karriere.“ König Johann habe für Böhmen nichts erreicht – das war bis vor kurzem noch die gängige Sicht der meisten tschechischen Historiker. Er habe vor allem die Staatskasse geplündert, um seine europäischen Abenteuer und Feldzüge zu finanzieren, hieß es. Lenka Bobková ist Historikerin an der Prager Karlsuniversität und wendet sich wie Benešovská gegen diese negative Sicht: Schlacht von Crécy„Ich glaube, man sollte Johann einfach zugestehen, dass er böhmischer König und zugleich Graf von Luxemburg war. Selbstverständlich hat er sich auch um das Fürstentum Luxemburg gekümmert. Das wurde ihm durchaus wegen des Geldes erleichtert, das ihm aus dem böhmischen Königreich zur Verfügung stand. Wenn man aber fragt, wer die Tür nach Europa aufgestoßen hat, dann war das auf jeden Fall Johann. Seine Tätigkeiten am französischen Hof, am Hof von Ludwig dem Bayern, die Teilnahme an vielen Verhandlungen aber auch an Schlachten, das war nicht nur eine Visitenkarte von Johann. Da im Mittelalter der Staat mit dem König gleichgesetzt wurde, war dies auch eine Zurschaustellung des böhmischen Königreiches.“
Im Westen Europas schrieben die Chronisten zum Teil sogar Lobeshymnen auf Johann von Böhmen, besonders auf seine Ritterlichkeit. Auch der wichtigste böhmische Chronist, Johanns Zeitgenosse Peter von Zittau, zeigt sich anfangs regelrecht begeistert vom ersten Luxemburger auf dem böhmischen Thron. Festgehalten hat er dies in seinem Hauptwerk Chronicon Aulae regiae, auf Deutsch „Königsaaler Chronik“. Im Tschechischen ist sie indes nach dem heutigen Namen des Zisterzienser-Klosters als Kronika Zbraslavská bekannt. Doch in den späteren Teilen der Chronik wird de Autor immer kritischer. Laut Historikerin Bobková ist das auf die Parteinahme für die Přemysliden zurückzuführen. Karl IV., also Johanns Sohn, hat hingegen ein sehr positives Bild in der tschechischen Geschichtsschreibung erhalten. Er gilt bis heute als Mehrer des böhmischen Königreiches. Viel zu einseitig, befindet Lenka Bobková auch in diesem Aspekt:„Jeder mittelalterliche Herrscher versuchte seine Macht auszuweiten. Das hat auch Johann von Luxemburg schon sehr früh gemacht. Vielleicht wirkt das überraschend, weil ein großer Teil der Tschechen ihn als König Fremdling im Bewusstsein hat. Es war aber Jan von Luxemburg, der die Stadt Cheb als Pfand erhalten hat. Das Paradoxe daran, dieser Landesteil ist als Einziger Teil des tschechischen Staates geblieben. Zudem holte er die Oberlausitz zurück, die schon einmal im 12. Jahrhundert den böhmischen Ländern angeschlossen war. Mit Schlesien war es schwieriger, weil dies kein einheitliches Herrschaftsgebiet war, sondern sich aus mehreren Fürstentümern zusammensetzte. Die Fürsten leisteten einen Lehn-Eid auf Johann als ihrem höchsten Herrn. So entstand dieses Gebiet, das Karl IV. dann im Jahr 1348 in den gegebenen Grenzen festlegte. Karl IV. erweiterte die Ländereien später noch um die Niederlausitz und die Gegend zwischen dem Böhmerwald und Nürnberg, also die Oberpfalz.“ Das Verhältnis zwischen König Johann und dem späteren Kaiser Karl IV. wird übrigens kontrovers diskutiert. Eine Meinung ist, dass der Vater seinen erstgeborenen Sohn nicht sonderlich gemocht hat. Auch hier hält Lenka Bobková eine differenzierte Sicht für nötig:„Ich glaube das so nicht, im Gegenteil – denke ich – war er stolz auf ihn. Johann muss sehr genau erkannt haben, wie fähig Karl war. Zugleich hat er sich vielleicht auch etwas vor seinem Sohn gefürchtet. Man muss sich vorstellen, dass zwischen beiden nur 20 Jahre Altersunterschied lagen. Als Karl also 20 Jahre alt war, war Johann erst 40. Und Johann hatte im Alter seines Sohnes bereits drei Kinder. Damit will ich sagen, es wurde natürlich angenommen, dass Karl nun regieren wollte.“
Und Johann habe mit 40 sicher noch nicht abtreten wollen, glaubt Bobková. Zehn Jahre später aber kommt es aber zum Machtwechsel – und das nicht nur auf dem böhmischen Königsthron, sondern auch im Reich. Johann ist zu dieser Zeit wegen einer Erbkrankheit bereits vollständig erblindet.„Wenn man sich Johann mit 50 vorstellen soll, dann war er immer noch ein kräftiger Mann, obwohl er sein Augenlicht verloren hatte. Selbst da wollte er noch nicht wirklich abtreten, aber er hatte zuvor seine Stimme dafür gegeben, dass sein Sohn Karl zum Römischen Kaiser gewählt wird. In dem Moment muss ihm bereits klar gewesen sein, dass er auf das zweite oder dritte Gleis geschoben wird. Sich damit abzufinden, war wohl nicht leicht. Dennoch hat er dies getan zum Ruhm seiner Familie und vielleicht in Erinnerung an seinen Vater, der ja auch Kaiser gewesen war. In jedem Fall glaube ich, dass Johann sein ganzes Leben lang die Kaiserkrone auch selbst gewollt hat“, so Bobková.
Doch Johann war bei seiner Thronbesteigung zu jung gewesen für die Kaiserkrone. Und so wartete er, bis sein Sohn sich mit ihr schmücken konnte.Noch im selben Jahr aber, in dem sein Sohn den Thron besteigt, kommt Johann ums Leben – und zwar in der Schlacht von Crécy, die den Beginn des so genannten Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England markiert. Laut Überlieferung ritt der blinde ehemalige böhmische Herrscher schutzlos ins Kampfgetümmel und wurde dann erschlagen. Beigesetzt wurde er in Luxemburg.