Junger Mann aus alter Welt?

Eine tolle Wohnung oder lieber gleich ein Haus, in dickes Auto, im Winter Skifahren und im Sommer der Strandurlaub, dazu natürlich ein entsprechend hohes Einkommen - das sind heutzutage die begehrtesten Werte des menschlichen Daseins. Zumindest, wenn man der Werbung glauben will. Es gibt aber auch eine Spezies Mensch, für die nichts davon einen Stellenwert hat. In der neuen Folge der Sendereihe "Heute am Mikrophon" stellt Ihnen Jitka Mladkova einen Mann vor, auf den dies zutreffen könnte. Ob Sie auch dieser Meinung sind, beurteilen Sie am besten am Ende des Beitrags.

Filda, 37 Jahre alt, neunjährige Grundschulausbildung, derzeit Kulissenbauer am Städtischen Theater im südmährischen Brno / Brünn, davor Kuhhirte, früher Bauarbeiter, Straßenverkäufer, außerdem Vagabund, Taubenzüchter, Keramiker und nicht zuletzt auch Musiker.

"Am Fujara-Spiel gefällt mir besonders, dass ich nie vorher weiß, was ich spielen werde. Je nachdem, in welcher Verfassung ich mich gerade befinde, pfeife ich,"

sagt Filda über das etwa 180 cm lange slowakische Hirtenhorn, seinem beliebtesten Musikinstrument neben Flöte und Geige. Die Musik scheint ein fester Teil im Leben dieses Naturmenschen zu sein. Zugleich ist sie auch ein Kommunikationsmittel und ein wichtiges Bindeglied zwischen ihm und der chaotischen Außenwelt. In dieser Welt ist er ständig auf der Suche. Wo kommt er her und mit welchen Vorbildern ist er groß geworden?

"Ich stamme aus der Gegend von Brünn. In den Orten Strelice und Brankovice habe ich gelebt. Dort bin ich gerne netten lächelnden Großväterchen begegnet, die sich nie über etwas den Kopf zerbrochen haben. Das waren meine Vorbilder. Konkret kann ich mich an einen von ihnen erinnern, den ich in einer Kirchbaumallee traf. Wir schauten uns fünf Minuten lang an und lachten. Daran hat sich bis zum Ende seines Lebens nichts verändert. Bei jedem Treffen winkten wir uns einfach zu und fertig. Das hat mir sehr gefallen."

Wenn man ihn danach fragt, was er nach dem Ende seiner Kindheit gemacht hat, macht Filda einen Sprung in der Zeit:

"Ich bin nach Prag gegangen, wo ich als Bauarbeiter und auch als Verkäufer auf der Karlsbrücke gearbeitet habe. Das war für mich so eine Free-Zeit, oder Pseudohippie-Periode. Dieser Lebensstil gefällt mir eigentlich bis heute. Ich mag eher Leute, die ein bisschen verrückt sind. Im vergangenen Jahr bin ich aber doch etwas ruhiger geworden und spüre jetzt schon mehr Demut vor dem Leben."

Zu Fildas Beruhigung mag im vergangenen Jahr auch seine Arbeit als Kuhhirte auf den Almen im norditalienischenin Abbruzzi-Gebirge beigetragen haben:

"Ich war in Poccolo, etwa sieben Kilometer nördlich von Cortina d´Ampezzo. Elektrischen Strom gab es dort nur beim Melken. Ansonsten standen uns nur Gaslampen zur Verfügung, bei denen wir abends geplaudert oder gelesen haben. Ich hatte das Gefühl, in frühere Zeiten gekommen zu sein, als man das Zusammensein und die Kommunikation untereinander viel mehr gepflegt hat als heute. Heute haben alle Strom, Fernsehen und solche Sachen, viele andere Dinge kommen dabei aber zu kurz."

Mit seinen Almkommilitonen fühlte sich Filda sehr wohl.

"Dort war zum Beispiel einer, der zwar einen Hochschulabschluss hatte, aber keinen Job. Er ist dann Hirte geworden. Außerdem war dort zum Beispiel noch ein Junge, der aus einem Kinderheim kam. Wir waren so eine kleine Familie, die aus jungen Männern bestand. Die Mutter des Almverwalters war da auch mit uns und hat sich sehr gut um uns gesorgt und für uns gekocht. Es ging wirklich sehr familiär zu. Anders geht es eigentlich auch nicht."

Vor kurzem kehrte Filda aus Deutschland zurück, wo das Städtische Theater Brno Gastauftritte hatte. Bis zum Ende der Theatersaison bleiben nur noch zwei Monate und ein rastloser Mensch, wie er einer ist, schmiedet schon neue Pläne: Er will den Fußstapfen des bekannten Dichters der tschechischen Romantik, Karel Hynek Macha, folgen. Wo geht es also dieses Mal hin?

"Im Sommer möchte ich - so wie einst Macha und seinesgleichen - durch die Lande wandern. Ich will Waldlandschaften genießen und so richtig einen Streifzug durch die Berge machen. Ich bin auf dem Lande geboren worden und habe das im Blut. Ich liebe blühende Wiesen und Naturtrips bei schönem Wetter, wenn Lerchen ihre Melodien schmettern, als ginge es um ihr Leben. Dann bin ich am glücklichsten. Einfach zu gehen, ohne daran denken zu müssen, wohin, also ohne ein konkretes Ziel."

Filda ist in seinem Leben ständig "on the road". Auf seinem Weg will er viel ausprobieren, lernen und kennen lernen - einen neuen Job, ein neues Musikinstrument, vegetarische Kost usw. Routine ist für ihn nicht die richtige Bahn. Denkt er nicht darüber nach, sich irgendwann, irgendwo einmal niederzulassen?

"Ich möchte mich eigentlich gar nicht richtig niederlassen. Im Grunde habe ich das schon dadurch getan, dass ich mir wieder Tauben angeschafft habe. Mit den Tauben kann man gut meditieren. Ich beobachte, wie sie herumfliegen und wie es zwischen ihnen funktioniert. Eigentlich ist es ähnlich wie bei den Kühen, ohne besondere Umbrüche. Das ist ganz anders als bei den Menschen."

Wenn er die Familie seiner Schwester besucht, ruft der kleine Neffe ihm zu: Onkel Stromer ist gekommen! Fühlt er sich selbst etwa als ewiger Vagabund? Und wie war es unter den Kommunisten? Hat man ihn nicht, wie es damals oft geschah, als so genannten "Fluktuanten" eingestuft?

"Nein, das nicht. In Prag war ich ja ganz offiziell beschäftigt. Auf der Baustelle, wo ich eigentlich aber nicht sein musste. Auf der Karlsbrücke habe ich besser verdient als auf der Baustelle. Es gibt Leute, die dort heute noch ihr Brot verdienen. Ich habe aber in der Zeit schon einen gewissen Reifeprozess durchgemacht. Ich hatte sogar Lust, reich zu werden. Heute ist das allerdings vorbei. Ich habe Menschen kennen gelernt, die waren sehr reich, aber trotzdem nicht glücklich. In bestimmten Situationen waren sie für ein gutes Wort und für Freundschaft dankbar."

An einem guten Wort für andere Menschen sowie an Freundschaft, sprich Nächstenliebe, mangelt es bei Filda offensichtlich nicht. Seit einiger Zeit kümmert er sich zum Beispiel um einen alten Mann, der wegen seiner Vergangenheit nicht gerade den besten Ruf in Brünn genießt:

"Der Mann ist schon 84 Jahre alt. Ihm muss man Kohle bringen und Holz zum Heizen hacken. Das mache ich gerne, weil es angenehm ist, jemandem zu helfen. Ob er früher wirklich ein Dieb oder Heiratsschwindler war lässt sich heute nur schwer sagen, denn heute ist Risa ein ganz anderer Mensch. Eigentlich ist er nur ein alter Opa, der gerne Hüte trägt und auf seine Kleidung achtet."

Reibungslos ist bei weitem nicht alles in Fildas Leben gelaufen, wie es beim Hinhören den Anschein haben mag. Filda spricht auch von Schicksalsschlägen, für die er aber dankbar sei. Konkretes sagt er nicht. Vielleicht eine gescheiterte Liebesbeziehung? Kann sein, sagt er, will aber nicht darüber sprechen. Eine ständige Lebensgefährtin hat er aber schon - die Musik:

"Ab und zu spiele ich mit anderen Jungs, als Trommler oder ich spiele auf der Fujara. Gerne gehe ich allein in den Wald, spiele vor mich hin und nutze dabei das Echo. Ich laufe und spiele dabei mit den Tönen. Das besitzt für mich Tiefe. Es ist keine Klassik, aber die Töne, die faszinieren mich."

Dass er ein Einzelgänger ist, stört ihn durchaus nicht. Dafür aber etwas anderes:

"Mich stört mehr das, was in der Welt passiert. Früher, als man enger mit der Natur lebte, gab es nicht so viel Hungersnot. Heute bekennt man sich zur Philosophie des Konsums, aber es ist nur ein Fünftel der Menschheit, das sich so verhält, als wäre es das allerwichtigste auf der Welt."