Kafka ist tot, es lebe Kafka: Geschichtenerzähler erinnert an 100. Todestag des Schriftstellers

Przemek Schreck im Billardraum des Café Louvre

Vor 100 Jahren, am 3. Juni 1924, starb Franz Kafka im Sanatorium in Kierling bei Klosterneuburg. An den Todestag des Schriftstellers erinnern dieser Tage zahlreiche Veranstaltungen, die nicht nur, aber natürlich auch in Prag stattfinden. In besonderer Form geht Przemek Schreck vom Verein „Die Erzählerei“ auf den Autor ein. Bis zum 8. Juni stellt er jeden Abend ein anderes Kapitel aus dem Leben des Schriftstellers vor. Den Anfang macht eine Veranstaltung im Café Louvre.

Herr Schreck, wir sitzen gerade im Café Louvre, wo heute Abend Ihre Erzählreihe zum 100. Todestag von Franz Kafka beginnt. Warum macht gerade dieses Kaffeehaus den Anfang in Ihrer Programmreihe?

Café Louvre | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

„Weil wir im Rahmen der Reihe in historischen Cafés zu Gast sind, in denen Kafka auch selbst verkehrte. Er war regelmäßiger Gast im Café Louvre, vor allem durch den Brentano-Zirkel, den er mit Max Brod besuchte. Nachdem beide aus dem Zirkel hinausgeworfen wurden, haben sie das Café weiterhin besucht. Deshalb gibt es keinen besseren Ort als diesen für die Eröffnungsveranstaltung.“

Wie ist die Idee zu Ihrer Veranstaltungsreihe entstanden?

„Ich beschäftige mich schon seit 25 Jahren mit Kafka und bin regelmäßig in Prag. Ich trete hier immer wieder an Schulen und in verschiedenen Cafés auf. Nun steht das Jubiläum an. Von daher lag es nur nahe, bei Spaziergängen und anderen Veranstaltungen von Kafka zu erzählen.“

Sie haben mehrere Veranstaltungen bis zum 8. Juni geplant. Was ist das Konzept? Was erzählen Sie an diesen Abenden?

„Ich berichte aus dem Leben von Franz Kafka, fern aller akademischen und philosophischen Diskurse und all der Klischees und Mythen. Ich erzähle, wie Franz Kafka wirklich war. Denn er war ein Mensch so wie wir – mit all den guten und schlechten Charaktereigenschaften und den kleinen Depressionen, die ihn begleitet haben, aber auch mit vielen Lachanfällen, die heute weniger bekannt sind. Wir zeigen ihn im ganzen Facettenreichtum und nicht nur in zwei, drei Eigenschaften, auf denen schon seit 50, 60 Jahren herumgeritten wird.“

Worum geht es thematisch bei der heutigen Eröffnungsveranstaltung?

„Es geht um eine wenig bekannte Seite von Franz Kafka: nämlich um den Kafka, der in den Cafés, Weinbars und Varietés ganze Nächte versessen hat. Alkohol getrunken hat er dort allerdings nicht und noch nicht einmal Kaffee oder Tee. Seine Lieblingsgetränke waren Mineralwasser sowie saure oder lauwarme Milch. Dennoch hat er aber an der lockeren Atmosphäre und diesen von Alkohol, Tabak und durchaus auch ein bisschen Erotik getränkten Nächten partizipiert.“

Was sind die Themen der anderen Veranstaltungsabende, die noch anstehen?

„Am Dienstag sind wir unweit von hier in der Kavárna Ponrepo. Dort spreche ich über die unstete Kindheit von Franz Kafka, denn da kommt so einiges her, was ihn später im Erwachsenenalter umtrieben hat. Tags darauf sind wir im Grand Café Orient, wo ich über ein Thema spreche, das die meisten Menschen brennend interessiert: Franz Kafka und die Frauen. Dann folgt die Čítárna Unijazz, in der ich über den steinigen, holprigen Weg von Franz Kafka zum Schriftstellertum sprechen. Am vorletzten Tag gibt es ein Einmannstück. Ich spiele nämlich den Rotpeter aus ‚Ein Bericht für eine Akademie‘, und zwar oben am Belvedere im Park (in den Königlichen Gärten unweit des Lustschlosses der Königin Anna, Anm. d. Red.). Am letzten Tag gehen wir auf einen literarischen Spaziergang auf Kafkas Spuren. Er beginnt am Haus zur Minute, in dem die Familie Kafka eine Zeit lang lebte.“

Mit Ihrem Verein „Die Erzählerei“ haben Sie schon mehrere Kafka-Events realisiert. Woher kommt Ihr Interesse an diesem Schriftsteller und seinem Werk?

„Ich habe schon immer viel gelesen, auch als Kind. Ursprünglich stamme ich aus Polen, und als ich dann nach Deutschland kam, durfte ich auch all die Schriftsteller lesen, die bei uns im Sozialismus verboten waren. Schnell kam mir auch Kafka in die Hände. Als ich seine Bücher aufschlug, merkte ich ganz schnell, schon nach wenigen Sätzen, dass noch viel mehr dahintersteckte, als ich bisher kannte. Die Kurzgeschichten legte ich erst einmal zur Seite, kaufte mir die Tagebücher. Und als ich sie las, dachte ich mir: Was ist das denn für ein verrückter Typ!? Nach den Tagebüchern besorgte ich mir die Briefe – er hat ja 1500 geschrieben. Ich lernte also zuerst den Menschen Franz Kafka kennen. Als ich dann sein Werk las, war ich gewissermaßen schon eingeweiht. Aber vor allem war es der Mensch, der mich in seinen Bann zog, und so blieb ich dran. Heute beschäftige ich mich nahezu jeden Tag mit Kafka, entweder bewusst, mit einem Buch in der Hand, oder nur im Kopf. Er lässt mich nicht los.“

Heute ist der 100. Todestag von Franz Kafka. Im Zusammenhang mit ihm wird vor allem an Leben und Werk des Autors erinnert. Unter welchen genauen Umständen ist aber Franz Kafka eigentlich vor 100 Jahren gestorben?

„Ach Herr Hauser, wissen Sie, ich rede nicht so gerne über seinen Tod. Denn für mich ist er noch nicht einmal wirklich gestorben. Ich bin jetzt seit 20 Jahren öfter hier, treffe Kafka-Enthusiasten in der Stadt und führe Gruppen auf seinen Wegen. Aber ob Sie es mir glauben oder nicht: Ich war noch nie auf dem Friedhof. Ich weiß noch nicht einmal, wo er liegt.“

Die Veranstaltung am Montag im Café Louvre ist bereits ausgebucht, für alle weiteren Termine gibt es aber noch Plätze. Die Geschichten über Kafka erzählt Przemek Schreck täglich bis zum 8. Juni. Durchgeführt wird das Programm in deutscher Sprache. Dank der Förderung durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds ist der Eintritt frei, es wird aber um vorherige Anmeldung per E-Mail gebeten unter [email protected]. Alle Informationen zu den einzelnen Programmpunkten finden sich online unter www.dieerzählerei.com.