Karel Schwarzenberg: der Träger des Mitteleuropa-Preises 2009 im Interview
Er ist einer, den man getrost das Musterbeispiel eines Mitteleuropäers nennen kann: Karel Schwarzenberg. Der tschechische Senator, ehemalige Außenminister und Leiter der Präsidentschaftskanzlei von Václav Havel. 1937 in Prag geboren, 1948 als Adeliger mit seiner Familie aus dem Land geworfen, verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens in Österreich. In den 1970er- und 1980er-Jahren engagierte er sich für die tschechoslowakischen Dissidenten, ab 1984 war er Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte. Nach der politischen Wende 1989 kehrte er in seine alte Heimat zurück und ist seither in der tschechischen Politik aktiv. In der vergangenen Woche ist Karel Schwarzenberg in Wien der diesjährige „Mitteleuropa-Preis“ verliehen worden. Radio Prag hat ihn zum Interview gebeten.
Herr Senator Schwarzenberg, Sie haben in Wien den diesjährigen „Mitteleuropa-Preis“ entgegen genommen. Zunächst herzliche Gratulation dazu…
„…ich danke, danke!“
…außerdem sind Sie ja Träger von hohen Auszeichnungen der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Österreich und der Tschechischen Republik. Was bedeuten denn Ihnen solche Auszeichnungen? Manch einem bedeuten sie ja gar nichts. Peter Handke etwa, der kürzlich in Prag den Franz-Kafka-Preis bekommen hat, meinte einmal, „jeder Trottel von Schriftsteller“ bekomme „im Laufe seines Lebens eine ganze Menge Preise".
„Ich würde sagen, in meinem Beruf ist das eher eine Alterserscheinung. Ab einem gewissen Alter kommen solche Sachen eben. Aber wehe dem, der sich selbst deswegen mehr ernst nimmt.“
Bereits 1989 haben Sie ja gemeinsam mit Lech Wałesa den Europäischen Menschenrechtspreis bekommen. Und in diesem Jahr 1989 hat ja auch Ihre politische Karriere begonnen. Sie sind quasi über Nacht im Verlauf der Samtenen Revolution in einem Amt „gelandet“, nämlich bei Václav Havel, dessen Präsidentschaftskanzlei Sie dann später geleitet haben. Wenn Sie heute, 20 Jahre danach, darauf zurückblicken: War das eigentlich eine glückliche oder eher eine verhängnisvolle Fügung des Schicksals, dass Sie damals in der tschechischen Politik gelandet sind?
„Das werden wohl erst die Historiker später entscheiden. Aber für mich selbst war es ein großartiger Moment. Erstens, weil ich zurückkehren durfte. Zuvor konnte ich ja nur Kurzvisiten machen und oft gab es Schwierigkeiten mit dem Visum. Sich endlich wieder frei bewegen zu dürfen und bleiben zu können, so lange man will, war schon ein unglaubliches Erlebnis. Und dann die Chance zu bekommen, in einem entscheidenden Moment dem Lande zu dienen, das ist, insbesondere, wenn man das 20. Jahrhundert mit seinen ganzen Niederlagen und Tragödien mitgemacht hat, etwas, das man natürlich sofort annimmt und nur das schlechte Gewissen hat, ob man wirklich genügend darauf vorbereitet ist, das zu leisten, was von einem verlangt wird.“
Nun befindet sich ja die tschechische Politik 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges in einer schweren Krise. Man braucht sich nur die neuesten Umfragen anzusehen: Neun von zehn Tschechen sagen, sie sind unzufrieden mit der politischen Situation im Land, und nur ein Drittel meint, das Parlament leiste gute Arbeit. Sie sitzen ja selbst im Oberhaus des Parlamentes; woran liegt das schlechte Image des tschechischen Parlaments?
„Zweifellos hat sich die gesamte politische Klasse in der Tschechischen Republik den schlechten Ruf zum Großteil selbst redlich verdient. So, wie sie agiert haben, werden sie auch gesehen. Manches wird verzeichnet, manchmal wird überdimensioniert, schärfer gesehen, die Leute neigen auch dazu, die Sachen in Schwarz und Weiß zu teilen. Aber dass, sagen wir, das Verantwortungsbewusstsein bei unseren Politikern viel zu gering ist, das kann ich leider nicht bestreiten.“
Milan Kundera hat 1980 in einem Text geschrieben, dass die Katastrophe, die 1968 passiert ist – also die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings – eine 100-jährige Nachwirkung hat. Kann es sein, dass sich die tschechische Politik noch nicht vollständig vom Kommunismus erholt hat, dass das noch eine Zeit braucht?
Gesellschaft erfassen. Diese Regime haben auch unsere Gesellschaft geprägt und wir werden uns davon noch sehr lange erholen. Schauen Sie zum Beispiel in Österreich, wie lange es gedauert hat, bevor man sich von den Folgen des Nationalsozialismus erholt hat. Dabei hat der in Österreich nur sieben Jahre und nicht fünfzig regiert.“
Es kochen immer wieder so Geschichten aus der Vergangenheit hoch, aktueller Anlass ist die Nominierung von Štefan Füle zum tschechischen EU-Kommissar, dem man seine kommunistische Vergangenheit und sein Studium in Moskau vorwirft. Wie sehen Sie das? Ist das ein Problem?
„Ich kenne Štefan Füle natürlich, der war ja, als ich Außenminister war, Botschafter bei der Nato und hat sich da hervorragend bewährt. Er ist zweifellos ein erstklassiger Diplomat. Es ist richtig, dass er die Moskauer Diplomatenschule gemacht hat. Nur war in seiner Jugend für einen tschechoslowakischen Staatsbürger keine andere Qualitätsschule für einen Diplomaten erreichbar. Das muss man realistisch sehen. Und übrigens, das war keine schlechte Schule. Die Absolventen haben ihr Handwerk beherrscht. Das habe ich festgestellt. Dass er in die kommunistische Partei eingetreten ist, ist bedauerlicher Weise wahr. Das tat er zweifellos, um seine Karriere zu befördern. Wenn ich mir aber überlege, wie viele Diplomaten die, sei es in der Bundesrepublik, sei es in Österreich, im Staatsdienst standen, ehemals in der NSDAP waren…Das hat mich gelehrt, solche Sachen etwas milder zu beurteilen.“
Kommen wir noch einmal zurück zur Beliebtheit der Politiker: Einer, der sich in der Tschechischen Republik besonders großer Beliebtheit erfreut, ist Staatspräsident Václav Klaus. Und das, obwohl er es Tschechien auf der internationalen Bühne nicht immer ganz leicht macht. Wie sehen Sie die Politik von Václav Klaus? Schadet er wirklich dem Land?
„Ich bin bekannter Maßen in Opposition zum Präsidenten. Ich pflege den schuldigen Respekt, den man gegenüber dem Staatsoberhaupt zu haben hat, ich halte aber seine Politik für verfehlt und das habe ich auch immer offen gesagt.“
Sie mussten ja 1948 die Tschechoslowakei verlassen und haben dann bis 1989 auch viel Zeit in Wien verbracht. Sie haben es ja gerade erzählt, Sie sind auch immer wieder über die Grenze gefahren, so man Sie gelassen hat. Sie hatten also den Blick auf die beiden Länder und die Entwicklung 20 Jahre danach. Österreich und Tschechien, das war nicht immer eine gute Nachbarschaft. Mittlerweile hat man so das Gefühl, dass trotz Temelín und trotz der Beneš-Dekrete, dieser Themen, die immer wieder aufgewärmt werden, die Zeit der bösen Worte vorbei ist, aber auch irgendwie Funkstille herrscht, oder?
„Ach, wir könnten sehr viel mehr zusammen arbeiten. Leider Gottes haben wir auf beiden Seiten Regierungen, die mehr den eigenen Problemen zugewandt sind und nicht wirklich Interesse für ihre Nachbarn haben. Das wirkt sich natürlich negativ aus. Sie kennen ja meine Theorie, dass Tschechen und Österreicher ein Volk mit zwei verschiedenen Sprachen sind. Wir haben nun einmal dieselben Fehler und machen dieselben Dummheiten immer wieder.“
Was kann man verbessern in Zukunft?
„Das Wichtigste wären mehr Informationen. Wir wissen voneinander immer noch viel zu wenig. Wenn ich hier in Österreich mit Leuten rede, fällt mir auf, dass deren Nichtwissen über Tschechien wirklich beachtlich ist, obwohl fast jeder eine böhmische Großmutter oder Urgroßmutter hat. Und umgekehrt ist das auch in der Tschechischen Republik zu bemerken: Das echte Wissen über Österreich fehlt absolut. Man kennt allenfalls Wien vom Einkaufen, ein paar Skiorte; man entdeckt Österreich immer mehr auch für Wochenendausflüge. Aber das Wissen übereinander, dass man sich mit Österreich beschäftigt, das fehlt noch immer. Aber wie gesagt, das beruht leider absolut auf Gegenseitigkeit.“