Keine Lust weiterzuarbeiten – in Tschechien fehlen Anreize für eine Beschäftigung im Alter
Derzeit können sich die Beschäftigten in Tschechien so sicher fühlen wie in wenigen anderen Ländern Europas: Die Arbeitslosenquote ist vergleichsweise gering. Jenseits der 60 Jahre kommt jedoch der Knick: Dann sind nur noch relativ wenige Menschen hierzulande erwerbstätig. Das aber halten Wirtschaftswissenschaftler für einen Fehler – und fordern unter anderem mehr steuerliche Anreize für Arbeitnehmer im Rentenalter.
„In Tschechien arbeiten rund 13 Prozent der Menschen im Rentenalter, das ist weniger als der Durchschnittswert in der EU von 16 Prozent. Der größte Unterschied besteht aber zu den nordeuropäischen Staaten, wo mehr als 30 Prozent der Rentner erwerbstätig sind.“
Besonders auffällig ist dabei, dass die Graphiken zur Beschäftigungsrate hierzulande abrupt einen richtigen Knick machen: Mit 58 Jahren sind noch mehr Menschen erwerbstätig als bereits in Rente, mit 59 Jahren hat sich das Verhältnis umgekehrt. Bei tschechischen Frauen liegt das tatsächliche Renteneintrittsalter schon bei knapp über 56 Jahren, Männer gehen im Schnitt mit 59,4 Jahren aufs Altersteil.
Das CERGE-EI hat in diesem Jahr bereits die zweite Studie erstellt zu Rentenalter und Arbeitsmarkt. Daniel Münich leitet den sogenannten Thinktank, also die Denkfabrik von CERGE-EI:„Bei den Tschechen ist besonders, dass für sie aus dem Nichts heraus der D-Day kommt, also der offizielle Tag, an dem das Rentenalter beginnt. Selbst wenn sich nichts Grundlegendes in ihrem Leben, bei ihrer Gesundheit oder in ihren Familienverhältnissen geändert hat, das die Fähigkeit zu arbeiten negativ beeinflusst, geht ein Großteil von ihnen in Rente. Im internationalen Vergleich ist dieser Bruch extrem, er ist unnormal. Die Fähigkeit zu arbeiten unterscheidet sich schließlich sehr von Fall zu Fall. Unsere neue Studie zeigt, dass die mangelnde Motivation weiterzuarbeiten durch das unglückliche Rentensystem kommt, in dem von einem einheitlichen Rentenalter ausgegangen wird.“
Dabei hat die tschechische Gesellschaft ein schweres demographisches Problem: Die Zahl der Erwerbstätigen wird in Zukunft stark sinken und die der Rentenempfänger immer weiter wachsen. Das heißt, das Rentensystem wird irgendwann nicht mehr zu finanzieren sein.Steuereinnahmen würden steigen
Mehr Menschen im Alter zu beschäftigen ist eine der Lösungen. Sie verschafft dem Staat auch kurzfristig mehr Geld.
„Wenn wir allein aus volkswirtschaftlicher Sicht die Sache betrachten, dann ist dies vorteilhaft, weil arbeitende Rentner weiter Sozial- und Krankenversicherung zahlen und die Lohnsteuer. Sie haben zudem höhere Einnahmen, können sich also mehr leisten, was die staatlichen Einnahmen an indirekten Steuern erhöht. Für den Staat besteht der Anreiz allein schon wegen der Einnahmenseite im Haushalt“, so Jiří Šatava.In der aktuellen Studie, die am Dienstag in Prag vorgestellt wurde, lautet die Rechnung: Erhöht man die Beschäftigungsrate von Rentnern um zehn Prozentpunkte, dann steigen die Steuereinnahmen mindestens um 0,3 Prozentpunkte.
Aber nicht nur das. Jan Lorman ist einer dieser wenigen arbeitenden Rentner in Tschechien. Er leitet ein Hilfszentrum für Senioren in Prag und sagt, dass ihm seine Arbeit Spaß mache. Lorman glaubt zudem, dass sich ältere Beschäftigte für Firmen auszahlen:„Sie können mit sehr flexibler Arbeitszeit beschäftigt werden, weil sie keine Familienpflichten haben. Sie sind deutlich loyaler gegenüber dem Arbeitgeber als jüngere Beschäftigte. Und sie sind besser in der Lage, bestimmte Konfliktsituationen zu bewältigen, weil sie darin schon Erfahrungen haben.“
Außerdem stimmen auch die landläufigen Vorstellungen nicht, dass ältere Beschäftigte jüngeren den Platz wegnehmen würden. Volkswirtschaftler Jiří Šatava:
„Allgemein zeigt sich, dass die Altersgruppen einander auf dem Arbeitsmarkt keine Konkurrenz machen. Sie nehmen in denselben Firmen unterschiedliche Positionen ein. Dass ein Beschäftigter im Renteneinstiegsalter ein Jahr länger arbeitet, behindert nicht die Chancen von Berufsanfängern oder auch Erwerbsfähigen im mittleren Alter. Studien, wie sie dazu im Ausland angefertigt wurden, gibt es jedoch in Tschechien nicht.“Harte Industriearbeit über 60?
Tschechien mit dem – vermeintlichen Idealfall Skandinavien – zu vergleichen, stößt jedoch an gewisse Grenzen. So ist hierzulande der Anteil der Beschäftigten in der Industrie größer und jener im Dienstleistungssektor geringer. Darauf weist Miroslav Novák hin, Chefökonom der Finanzberatungsgesellschaft Akcenta:„Bei der Beschäftigung von Männern zum Beispiel spielt im Unterschied zu den Ländern im Norden oder im Westen Europas die Industrie eine große Rolle. Und in Industriebranchen, in denen körperliche Arbeit gefordert wird, ist es schwierig, über das Rentenalter hinaus oder jenseits der 60 zu arbeiten. Das lässt sich nicht vergleichen mit einer Beschäftigung etwa in der öffentlichen Verwaltung, als Anwalt oder als Ökonom.“
Diesen Bereich haben die Wissenschaftler nicht untersucht. Stattdessen ging es um die Frage: Bestehen überhaupt finanzielle Anreize, damit ich meinen Gang in den Ruhestand verschiebe? Das Ergebnis für Tschechien ist eindeutig negativ, wie Jiří Šatava erläutert.„Derzeit bestehen hierzulande keine Anreize für Beschäftigte, über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus tätig zu sein. Die Steuervergünstigungen sind genau dieselben wie bei jedem anderen arbeitenden Menschen. In Tschechien wird also nicht durch Vergünstigungen die Aussicht kompensiert, im Ruhestand zu sein und garantierte Renteneinnahmen zu haben.“
Dabei gab es bis 2013 Steuervergünstigungen für Rentner. Diese wurden von der Regierung des konservativen Premiers Petr Nečas (Bürgerdemokraten) ersatzlos gestrichen. Eine Gruppe Senatoren reichte aber eine Verfassungsbeschwerde ein. Mit Erfolg, denn die Verfassungsrichter entschieden, dass für 2014 nachträglich die Vergünstigungen ausgezahlt werden müssen. Und ab diesem Jahr hat die aktuelle Mitte-Links-Regierung diesen steuerlichen Anreiz wiedereingeführt.Geringere Versicherungsbeiträge und flexibler Renteneinstieg
Die Vergünstigungen liegen in der Höhe von 25.000 Kronen im Jahr, umgerechnet 925 Euro. Dies ist jedoch vor allem attraktiv für geringer Verdienende.„Eine weitere Variante bedeutet, den Renten- oder Krankenversicherungsbeitrag zu senken. Damit würde der Nettolohn der Rentner sofort ansteigen“, so Šatava.
Und die Anreize würden quer durch das Lohnspektrum geschaffen. Daniel Münich fügt einen weiteren Vorschlag hinzu:
„Das gesetzlich vorgegebene Renteneinstiegsalter wirkt wie eine Ampel. Diejenigen, die sich dem Alter nähern, sehen schon Rot blinken und beginnen sich psychisch auf die Zeit auf dem Altersteil vorzubereiten. Das gilt aber auch für den Arbeitgeber. Beide Seiten fahren zum Beispiel ihre Bemühungen um Fortbildung zurück. Das Ergebnis fällt dann wie erwartet aus. Deswegen müsste das einheitliche Renteneintrittsalter abgeschafft werden. Die Menschen sollten viel mehr nach eigenen Fähigkeiten und Präferenzen entscheiden können, ohne das ständig die rote Ampel leuchtet.“Allerdings sehen die Ökonomen ihre Forschungsergebnisse erst als den Anfang eines Prozesses. Jiří Šatava:
„Das sind sicher Lösungen, die weiter durchgerechnet und analysiert werden müssen. Die Empfehlungen sind nicht endgültig, es sind eher Anregungen, die man weiter durchgehen und deren reelle Auswirkungen man spezifizieren sollte.“
Die Zeit drängt jedoch: Die tschechische Gesellschaft altert zusehends, und irgendwann ist die Belastungsgrenze für das Rentensystem erreicht.