„Keinerlei Berührungsängste“ – der Adalbert-Stifter-Verein und die Beziehungen zu Tschechien
Im bayerischen Parlament erinnern Deutsche und Tschechen am Freitag an den gemeinsamen Kulturaustausch. Der Adalbert-Stifter-Verein begeht an dem Tag seinen 70. Geburtstag. Am 5. Mai 1947 von Sudetendeutschen gegründet, gehört der Stifter-Verein schon lange zu den ständigen Mittlern über die Grenzen hinweg. Seit mehr als 30 Jahren leitet Peter Becher als Geschäftsführer diese älteste Vereinigung sudetendeutscher Vertriebener. Im Studio von Radio Prag erzählt er unter anderem von der Hilfe für tschechische Exilanten 1968 und die neuen Horizonte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
„Es waren tatsächlich Väter und keine Mütter. Es handelte sich um Vertriebene, die aus Prag und aus den Sudetengebieten nach München gekommen waren und sich damals eine erste kulturelle Plattform gaben. 1947 lag München in Trümmern und stand unter amerikanischer Besatzung. Politische Einrichtungen wie später die Landsmannschaft waren gar nicht erlaubt. Also hat der Stifter-Verein als kulturelle Einrichtung eine besondere Aufgabe wahrgenommen.“
Warum wurde damals der Name von Adalbert Stifter gewählt?
„Das war der Versuch, eine Patronatsfigur zu finden, die in irgendeiner Weise mit der verlorenen Heimat zu tun hatte. Stifter ist einer der berühmtesten Vertreter der sudetendeutschen Kulturgeschichte. Und ich denke, es war schon damals der Versuch, an jemanden anzuknüpfen, der in seinen literarischen Arbeiten ein versöhnliches Bild des Auskommens von Deutschen und Tschechen propagiert hat. Das sollte 1947 auch ein gewisses Signal sein.“
Sie sind seit 1986 beim Stifter-Verein. Was war Ihre Motivation, dort mitzuarbeiten?
„Man wollte eine Patronatsfigur, die ein versöhnliches Bild zeichnet.“
„Anfangs war es für mich gar nicht so ganz klar, dort hinzugehen. Denn ich hatte eigentlich schon eine Anstellung beim Goethe-Institut in Aussicht, nachdem ich zu meiner damaligen sehr großen Freude das Auswahlverfahren bestanden hatte. Dann ist aber das Vorbereitungsjahr, was man dort absolvieren muss, um ein ganzes Jahr ausgesetzt worden. Genau in diesem Jahr ist die Geschäftsführerstelle des Adalbert-Stifter-Vereins ausgeschrieben worden, weil meine Vorgängerin Johanna von Herzogenberg in die Rente gegangen ist. Also habe ich mich beworben und dachte: ‚Warum denn nicht?‘ Ich war dann fast erstaunt, als man mir diese Stelle angeboten hat. Und natürlich spielt auch ein bisschen mein familiärer Hintergrund mit. Meine Familie kommt väterlicherseits aus Karlsbad. Damit hatte ich auch eine Affinität zu der Kulturgeschichte dieses Landes.“
Wie hat sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Tätigkeit des Stifter-Vereins verändert?
„Die Frage war: Bleiben oder zurückgehen? Es war eine schwierige Situation.“
„Der erste Schwerpunkt war natürlich die Förderung von sudetendeutschen Kulturschaffenden, von Schriftstellern, von Künstlern. Das hat sich über Jahre hingezogen. Mit dem Beginn der Bundesförderung im Jahr 1952 und dem Start von Johanna von Herzogenberg bildete sich ein zweiter Schwerpunkt heraus: die Darstellung der böhmischen Kulturgeschichte. Man hat große Kunstbände herausgegeben und Ausstellungen vorbreitet, das heißt sich in diesem Bereich etabliert. Dabei wurden durchaus schon die Fühler ausgetreckt nach tschechischen Kunsthistorikern und Historikern. Dann kam das Jahr 1968. Damals waren viele tschechische und slowakische Kulturschaffende in der Bundesrepublik unterwegs und sind von der Niederschlagung des Prager Frühlings überrascht worden. Der Stifter-Verein beteiligte sich – neben Inter Nationes und Carl Amery – an einem sogenannten ‚Tschechoslowakischen Büro‘, das die Kulturschaffenden beraten sollte: Bleiben oder zurückgehen? Sollen sie sich von ihren Familien trennen oder wieder ein unfreies Leben in Kauf nehmen? Das war eine schwierige Situation. Und seit dieser Zeit hat der Stifter-Verein sehr gute Kontakte zu tschechischen Exilanten gehabt – und über diesen Umweg auch zu tschechischen Dissidenten. Als ich mich damals beworben habe, schlug ich vor, einmal eine Ausstellung zu machen über Prag als Drehscheibe des Exils in den 1930er Jahren. Diese Ausstellung haben wir vorbereitet und waren – welch glücklicher Zufall – genau im Frühjahr 1989 damit fertig. Das war unsere Eintrittskarte in die Tschechoslowakei nach der Samtenen Revolution. Zum einen fand man die Ausstellung an sich interessant, zum anderen haben sich die dann tonangebenden Personen erinnert, dass wir 1968 geholfen haben. Wir waren also wirklich willkommen.“
Das heißt, offizielle Stellen sind auf Sie zugekommen und hatten kein Problem damit, dass der Stifter-Verein eigentlich eine Vertriebenen-Organisation ist?„Genau so war es, wobei sie nicht unbedingt auf uns zugekommen sind. Aber als wir hier hergefahren sind, hatten sie in gar keiner Weise Berührungsängste, sondern haben gesagt, sie würden gerne mit uns zusammenarbeiten. Das lässt sich an einem schönen Beispiel festmachen. Ich war in den ersten Januartagen 1990 zusammen mit dem Schriftsteller Ota Filip in Prag und habe Ludvík Vaculík besucht. Wir fragten ihn, ob er nicht bereit wäre, eine Einladung zu uns nach Bayern anzunehmen. Er hat die Einladung angenommen und war noch im Januar mit Jan Trefulka aus Brünn und Lenka Procházková aus Prag im Sudetendeutschen Haus in München. Sie haben dort gelesen, wir haben diskutiert, und dann sangen wir zusammen bis drei Uhr früh. Es war eine unglaubliche Atmosphäre, aber typisch für die damalige Zeit.“
Wenn Sie zurückdenken: Was waren denn Ihrer Meinung nach die Höhepunkte bei den Veranstaltungen des Stifter-Vereins in den vergangenen Jahrzehnten?„Ich denke, diese Ausstellung ‚Drehscheibe Prag‘ war sicher ein früher Höhepunkt, weil wir mit ihr auch an unterschiedliche Orte gewandert sind. Als wir sie fertig hatten, schrieben wir im englischsprachigen Katalog, dass unser größter Wunsch wäre, diese Ausstellung auch einmal in Prag selbst zu zeigen. Und schon im Juni 1990 ist dies in Erfüllung gegangen, ein halbes Jahr lang war sie im Prager Stadtmuseum zu sehen. Dann haben wir aber auch eine ganze Reihe von weiteren Begegnungen durchgeführt. Wir haben tschechische Autoren und Künstler zu uns eingeladen. Und sudetendeutsche Autoren, die noch in Böhmen oder Mähren geboren waren, haben wir eingeladen, in die Tschechoslowakei zu kommen. Wir haben auch mit dem tschechischen PEN-Klub zusammengearbeitet. So haben sich viele Dinge weiterentwickelt. Außerdem haben wir den sogenannten Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung angeregt, den wir jetzt schon 20 Mal verliehen haben – gemeinsam mit weiteren deutschen und tschechischen Einrichtungen immer abwechselnd in einer deutschen und einer tschechischen Stadt. Und ich würde sagen, jetzt zuletzt war sicher auch eine die Ausstellung über Prag als ‚Literaturstadt zweier Sprachen und vieler Mittler‘ sehr erfolgreiche Sache. Da wollten wir einmal nicht die Schriftsteller, sondern die Übersetzer würdigen, die in einer solchen Stadt eine wichtige Rolle gespielt haben.“
„Wir haben diskutiert und bis drei Uhr früh zusammen gesungen.“
Was ist nun in diesem Jahr geplant, wie begehen Sie das Jubiläum?
„Wir haben am Freitag eine große Jubiläumsfeier. Und wir sitzen gerade an der Fertigstellung eines größeren Handbuches zur deutschen Literatur Prags und der böhmischen Länder. Das erarbeiten wir seit einigen Jahren gemeinsam mit Wissenschaftlern der Karls-Universität in Prag sowie der Universitäten in Olmütz und Weimar. Daran sind rund 40 Autoren aus Tschechien, Deutschland und Österreich beteiligt. Dieses Handbuch soll im Herbst dieses Jahres herauskommen. Und es wird sicher eine schöne Sache sein, wenn wir den Band endlich präsentieren können, weil er auch das Zusammenwirken in dieser Region ganz neu untersucht. Das heißt, wir gehen weg von dem Bild, dass es nur die Metropole Prag gab und sonst praktisch nichts. Wir versuchen stattdessen die Vernetztheit der literarischen Beziehungen auch nach Brünn und in andere Städte darzustellen und die vielfältigen Wechselwirkungen natürlich auch zur tschechischen Literatur zu dokumentieren.“