„Das Interesse an zeitgeschichtlichen Themen ist sehr groß“ – Böhmerwaldseminar in Klatovy
Vorträge über Themen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, Buchpräsentationen sowie eine Filmvorstellung – das alles stand auf dem Programm des Böhmerwaldseminars in der westböhmischen Stadt Klatovy / Klattau. Veranstaltet wurde es am vergangenen Wochenende vom Adalbert-Stifter-Verein. Organisiert wurde das Seminar vom Kulturreferenten für die böhmischen Länder im Adalbert-Stifter-Verein, Wolfgang Schwarz. Seit 2002 treffen Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und Tschechien bei den Böhmerwaldseminaren jeweils in verschiedenen Städten in Süd- und Westböhmen zusammen. Diesmal wurde 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Martina Schneibergová hat nach anschließend mit Wolfgang Schwarz gesprochen.
Herr Schwarz, Sie haben erwähnt, dass aus dem Seminar über den Böhmerwald in den letzten Jahren ein Seminar im Böhmerwald geworden ist. Wie kam es dazu?
„Wir haben uns ursprünglich auf die Regionalgeschichte des Böhmerwaldes konzentriert. Das Seminar gibt es schon seit 2002. Ich habe gemerkt, dass – über den Böhmerwald hinaus – das Interesse an zeitgeschichtlichen Themen im Bereich der deutsch-tschechischen Beziehungen sehr groß ist. Deswegen habe ich mich entschlossen, das Format von Jahr zu Jahr noch ein bisschen zu transformieren und mehr Beiträge zur Geschichte insbesondere des 20. Jahrhunderts anzubieten, aber doch den Böhmerwald thematisch nicht völlig zu verdrängen.“
In diesem Jahr gab es einerseits geschichtswissenschaftliche Vorträge zu Themen der kollektiven Gewalt während des Zweiten Weltkriegs sowie kurz danach und andererseits einige Buchpräsentationen. Wie haben Sie gerade die Auswahl der vorgestellten Bücher getroffen?
„Mir ist es wichtig, dass aktuelle Publikationen im Bereich der Zeitgeschichte und der Geschichte des Zweiten Weltkriegs im deutsch-tschechischen Kontext etwas mehr Bekanntheit bekommen. Dazu gehörte beispielsweise Martin Veselýs Buch über die Aussiger Region mit dem Titel ,Enttäuschung, Angst und Hoffnung‘. Dieser lässt sich jeweils in umgekehrter Reihenfolge projizieren auf die Erwartungshaltungen und Gefühle sowohl der Sudetendeutschen als auch der Tschechen, die in dieser Region gelebt haben. Gleichzeitig hat der Autor aber deutlich gemacht, dass es auch ein Alltagsleben trotz dieser Schrecken gab. Das zweite Buchprojekt, das ich erwähnen möchte, ist das von Jaromír Mrňka vom Institut für das Studium totalitärer Regime. Es beschäftigt sich mit den Grenzen der Menschlichkeit und vor allem der Frage, welche Verhaltensmuster im Bereich der kollektiven Gewalt zu beobachten sind und welche Situationsvoraussetzungen es für diese Gewalttaten gab. Weniger interessant ist die Frage der ethnischen Zugehörigkeit, sondern – unabhängig davon – eher die nach der Region, der Akteure und der Umstände.“
Für den zweiten Tag haben Sie dennoch zwei Bände ausgesucht, die sich – wenigstens zum Teil – auf den Böhmerwald konzentrieren. Erscheinen also weiterhin neue Bücher über den Böhmerwald?
„Das eine Buch beschäftigt sich mit Johann Peter, dem Vorfahren des referierenden Gernot Peter, der das Böhmerwald-Museum in Wien leitet. Es ist ein Projekt in Kombination mit Fotografien von Petr Moravec aus Budweis und Gedichten von Johann Peter. Solche Projekte, die sich mit verschiedenen Genres der Kultur beschäftigen, müssen zusammenpassen. Das ist in diesem Fall besonders gut gelungen. Das zweite Projekt von Kristýna Pinkrová aus Domažlice beschäftigt sich mit der Region von Cham und Domažlice und der grenzüberschreitenden Geschichte dieses Raums. Es thematisiert dabei sehr viele Ebenen der Geschichte, der kulturellen Zusammenarbeit, aber auch der problematischen Zeit grenzüberschreitender Geschichte. Es ist zweisprachig, und es wird daraus noch eine Ausstellung entstehen.“
Die Seminarteilnehmer hatten zudem die Möglichkeit, den mit einigen tschechischen Preisen ausgezeichneten Film „Krajina ve stínu“ (Landschaft im Schatten) zu sehen. Nicht zu vergessen ist zudem das Treffen mit dem Künstler Lukáš Houdek. Er ist hierzulande dank seinen Ausstellungen bekannt geworden. Wie haben Sie seine Arbeiten kennengelernt?
„Lukáš Houdek war schon einige Mal Gast im Kulturreferat des Adalbert-Stifter-Vereins. Wir kennen uns aus einigen Podiumsgesprächen zum Thema seiner Ausstellungen ,The Art of Killing‘ und ,The Art of Settling‘ schon sehr gut. Er kommt immer wieder gern, weil er natürlich spürt, dass das Interesse an seiner durchaus kontrovers diskutierten Darstellung der Vorkommnisse der Vertreibung und der Neubesiedlung in unserem Kreis sehr groß ist und dass er auf sehr positive Reaktionen stößt.“
Ich habe das Gefühl – auch wenn ich nicht immer dabei war –, dass ein Teil der Teilnehmer des Böhmerwaldseminars auch aus den Reihen der jüngeren Generation gerne wiederkommt. Stimmt das?
„Das stimmt zum Teil. Es gibt auch Unterbrechungen bei Teilnehmern, die nicht jedes Jahr dabei sind. Aber grundsätzlich ist es erfreulich, dass wir – würde ich sagen – einen Anteil von 60 bis 70 Prozent der Teilnehmer haben, die regelmäßig kommen. Und es sind alle Generationen vertreten. Das ist mir wichtig, weil es zur Lebendigkeit und zum generationsübergreifenden Austausch des Seminars beiträgt.“
Gibt es schon Überlegungen, was im Fokus des nächsten Böhmerwaldseminars stehen und wo das Seminar veranstaltet werden könnte? Ich habe den Eindruck, dass es kaum eine Böhmerwaldstadt gibt, in der das Seminar noch nicht stattgefunden hat…
„Es gäbe noch Städte, aber wir haben bestimmte Bedürfnisse, was die Infrastruktur, den Raum, das Hotel betrifft. Ich denke über Sušice nach oder über Strakonice, wo wir noch nicht waren. Thematisch muss ich gestehen, dass ich nach diesem so eindrucksvollen Seminar erst einmal nachdenken muss, in welcher Form und womit wir weitermachen.“