Kidnapping mit Methode - die frühen Greuel des StB

41 Jahre lang wachte in der damaligen Tschechoslowakei die kommunistische Staatssicherheit StB über das Wohl des Regimes und die Angepasstheit der Bürger. In den Methoden waren die Geheimdienstler nicht wählerisch: Wie die Archive belegen, sind sie bis in die sechziger Jahre auch vor dem Kidnapping von unbequemen Emigranten nicht zurückgeschreckt. Nur ein Aspekt der Krake Staatssicherheit, deren Tätigkeit auch 18 Jahre nach der Wende noch nicht zur Gänze aufgearbeitet ist. Der Historiker Prokop Tomek hat sich mit diesen Fällen befasst.

"Für die tschechoslowakischen Geheimdienste war der sowjetische KGB das Vorbild - von ihm haben sie die Methoden abgeschaut. Und Entführungen waren in der Sowjetunion eine gängige Methode, um unbequemen Exilanten beizukommen. "

So der Historiker Prokop Tomek, der am tschechischen Innenministerium für die Aufarbeitung der Geheimdienst-Geschichte zuständig ist. Vor allem in den ersten Jahren ging das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei mit unnachsichtiger Brutalität gegen seine Gegner vor, um seine Macht zu festigen, erinnert Tomek:

"Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre war daher die Zeit der stärksten Repressionen gegen politische Gegner, die das Regime als Bedrohung gesehen hat - und das nicht nur im Lande selbst, sondern eben auch im Ausland. Die meisten Entführungen haben sich auf dem Gebiet Österreichs abgespielt, das bis 1955 nur eingeschränkt souverän war und wo der StB die Anwesenheit des sowjetischen Militärs nutzen konnte, oder an der Grenze zwischen Ost und West in Berlin - das war ein idealer Platz für solche Operationen."

Rund zwei dutzend Regimegegner wurden noch bis in die 60er Jahre aus dem Exil im Westen entführt; dutzende weitere Pläne sind nicht verwirklicht worden. Erst der Mauerbau setzte den Entführungen ein Ende: die Aktionen wurden zu riskant. Die meisten Emigranten waren sich der Gefahr bewusst, meint Prokop Tomek. Andere haben die Skrupellosigkeit des StB unterschätzt, darunter auch der ehemalige Führer der Sozialdemokraten und Vize-Premier Bohumil Lausman - das prominenteste Entführungsopfer des StB:

"Die meisten Emigranten haben sich rechtzeitig weit genug weg in Sicherheit gebracht. Manche haben die Situation aber unterschätzt. So etwa Bohumil Lausman, der völlig ohne Schutz in Salzburg gelebt hat und so zu einem leichten Opfer für eine Entführung geworden ist. Schwer zu sagen, ob diese Leute ihren Kampf gegen das Regime für wichtiger angesehen haben als das eigene Risiko, oder ob sie vielleicht doch einfach zu arglos waren. Jedenfalls haben die Geheimdienst-Aktionen das Exil tief getroffen, weil sie gezeigt haben, dass sich auch im Ausland niemand ganz sicher fühlen konnte."

Lausman war im Dezember 1953 gekidnappt worden, einen Tag vor Weihnachten. Die Aktion verlief wie in einem schlechten Krimi: Agenten hatten heimlich Schlafmittel in seinen Brandy gegossen; im Kofferraum eines Diplomatenwagens wurde der Sozialdemokrat dann über Wien in die kommunistische Tschechoslowakei gebracht. Für die Entführten folgten dann regelmäßig schwere Verhöre, psychische und nicht selten auch physische Misshandlungen. Eine öffentliche Selbstbezichtigung im Sinne des Regimes erschien vielen als letzte Möglichkeit der Rettung. Am 15. Mai 1954 erklärte auch Bohumil Lausman, dass er freiwillig zurück in die Tschechoslowakei gekommen sei - willkommenes Propagandamaterial für das Regime, das damals auch Radio Prag ausgestrahlt hat. Die Bänder liegen bis heute im Rundfunkarchiv:

"Vier Jahre Emigration in Westeuropa waren für mich, und das bekenne ich ganz offen, wirklich eine seelische Qual, aber zugleich auch eine politische Schule. Eine seelische Qual, weil ich die Pläne der Amerikaner aus unmittelbarer Nähe kennen gelernt und gesehen habe, dass sie zu neuem Leiden und zu neuem Schrecken für unser Volk führen. Das war der Grund, weshalb ich mich in Österreich für die Rückkehr nach Hause entschieden habe. Ich bin zurückgekehrt, obwohl mein Gewissen durch schwere Verbrechen belastet ist, die ich an der volksdemokratischen Ordnung begangen habe, und das sowohl vor als auch während der Emigration. Letztendlich hat in mir jedoch der Sinn für die Gerechtigkeit und der Glaube an die Vergebung gesiegt."

Bohumil Lausman  (Foto: CTK)
Der Glaube an Vergebung war allerdings ebenso vorgetäuscht wie unberechtigt. Lausman wurde zu 17 Jahren Haft verurteilt und kam nie wieder in Freiheit. Er starb unter bis heute ungeklärten Umständen im Mai 1963 im Alter von nur 59 Jahren im berüchtigten Staatssicherheits-Gefängnis Prag-Ruzyne.

Lausman war das prominenteste, aber bei weitem nicht das einzige Entführungsopfer des kommunistischen StB. Zumeist wurden tschechoslowakische Emigranten gekidnappt. Zu den Opfern gehörte 1961 aber auch der Westdeutsche Dieter Konietzki, der in Prag als feindlicher Agent zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Bereits 1956 war der Versuch gescheitert, den österreichischen Verleger Fritz Molden zu kidnappen. Einmal in der Tschechoslowakei, wartete auf alle Entführten das gleiche Schicksal, weiß der Historiker Prokop Tomek:

"Zu Anfang haben sie schwere Verhöre erwartet: Die Staatssicherheit hat sich bemüht, alle Informationen aus ihnen herauszubringen - über ihre Tätigkeit, über Helfer und weitere Aktivitäten im Ausland. Manche wurde für öffentliche Erklärungen missbraucht, wo sie dann etwa sagen mussten, dass sie freiwillig zurückgekehrt sind. Das Regime hat sie also nochmals zur Festigung seiner Macht missbraucht, und die Leute haben mitgespielt, weil sie natürlich gehofft haben, dass sie sich so retten können. Dann folgte für alle Entführten Gefängnis - sie waren Zeuge dessen, was passiert war, und das Regime konnte sie natürlich nicht laufen lassen. Manche sind nach langen Jahren doch noch frei gekommen, aber bei keiner der Entführungen ging es nur darum, die betreffenden Personen auf tschechoslowakischen Boden zurückzuholen. Für die Opfer hatte das immer die schwersten Konsequenzen."

Mit dem Ende des Besatzungsstatuts in Österreich 1955 und spätestens mit dem Mauerbau 1961 endet die Zeit der wilden Entführungen. Die Aktionen werden zu riskant; das Land kann sich nicht erlauben, international das Gesicht zu verlieren. Pläne werden trotzdem weiter geschmiedet - noch in den 70er Jahren schlägt der Geheimdienst vor, den einflussreichen Dissidenten und späteren Nachwende-Minister Pavel Tigrid aus Paris zu entführen. Eine Absurdität, mit der die Geheimdienstler gegenüber der politischen Führung wohl nur ihre ungebrochene Initiative demonstrieren wollten, meint Historiker Prokop Tomek. Aber auch da, wo er sich in grotesken Auswüchsen verliert, ist der menschenverachtende Apparat der kommunistischen Staatssicherheit nicht zu unterschätzen, meint Tomek:

"Das, was mich an den Methoden der Staatssicherheit am meisten erschüttert, ist die absolute Missachtung des gegebenen Versprechens. Der StB war in der Lage, ohne mit der Wimper zu zucken nicht nur die Gesetze, sondern auch jegliche eigene Zusagen zu brechen. Das waren Leute, für die das Gegenüber nur ein Problem war, das gelöst werden muss. Über das Menschliche haben die gar nicht nachgedacht. Kann sein, dass das bei Geheimdiensten so sein muss, aber für einen normal denkenden Menschen ist dieser Zugang erschreckend."