Kleiner Helfer mit großer Geschichte: Der Patentknopf „Koh-i-noor“

Miss KIN, Porträt von František Kupka

Der Unternehmer Jindřich Waldes wird oft als der Erfinder des Patentknopfes bezeichnet. Tatsächlich war dieser kleine metallene Helfer schon landläufig bekannt, als Waldes und sein Geschäftspartner Hynek Puc ihn durch die industrielle Herstellung zu einem internationalen Verkaufsschlager machten. Waldes war ein begnadeter Manager und ist durch den weltweit guten Ruf der Koh-i-noor-Produkte noch heute als „König der Knöpfe“ bekannt.

Restaurant Waldeska | Foto: © Google

Die Marke „Koh-i-noor“ steht heute vor allem für Buntstifte und Schreibwaren aller Art. Das heruntergekommene Fabrikareal im Prager Stadtteil Vršovice, an dem die großen roten Buchstaben angebracht sind, erinnert allerdings kaum noch an die modernen und prosperierenden Anfangszeiten des Unternehmens. Und nur noch ältere Anwohner wissen, warum die Gaststätte gegenüber „U Waldesky“ (Zur Waldeska) heißt.

Jindřich Waldes | Foto: Langhans Galerie Prag

„Waldeska“ nannte der Prager Volksmund nämlich die Firma „Waldes & Co.“ zur Herstellung von Kleinwaren aus Metall. Der Namensgeber Jindřich war gerade einmal 24 Jahre alt, als er sich 1902 mit dem 20 Jahre älteren Mechaniker Hynek Puc zusammentat. Beide Gesellschafter investierten je 2000 Kronen in ihr neugegründetes Unternehmen, die Gewinne und Verluste wurden zur Hälfte aufgeteilt. Waldes hatte zunächst eine Lehre als Schlosser gemacht, sich jedoch bald als Handelsvertreter einsetzen lassen. In seinen Memoiren beschrieb er seine Ambitionen, Zitat:

„Ich wusste noch nicht, was ich wirklich werden wollte. Gesiegt hat dann die Sehnsucht nach dem eigenständigen Unternehmertum, und ich wurde in die Welt geschickt. Ich bereiste einen Großteil Europas einschließlich des Balkans, sowie Kleinasien und Nordafrika. Nach meiner Rückkehr in die Heimat kam mir alles hier immer irgendwie klein vor. Das hat mich bedrückt. Außerdem ärgerte mich, wie wenig bekannt wir im Ausland waren.“

Hynek Puc | Foto: Zeitschrift Koh-i-noor Magazin,  public domain

Das sollte sich schnell ändern. Aus der kleinen Werkstatt, in der ein Arbeiter und ein Lehrling angestellt waren, zog „Waldes & Co.“ schon zum Jahresende in eine ehemalige Kerzenfabrik im Stadtteil Karlín um. Die Firma setzte vor allem auf ein Produkt: den Patentknopf. Der Ruhm für die eigentliche Erfindung, um die es in dessen Geschichte geht, gebührt letztlich Hynek Puc. Damals wurden Druckknöpfe, auch von Konkurrenzunternehmen, in umständlichen manuellen Prozessen hergestellt. Darum konzentrierte sich Puc auf ein Konzept für die industrielle Produktion. Schon 1903 führte er eine Maschine ein, die zehn menschliche Arbeiter ersetzte. Die komplizierte Handarbeit mithilfe einer Pinzette wurde nun durch eine automatische Federvorrichtung abgelöst.

Der Diamant unter den Druckknöpfen

Druckknöpfe von Koh-i-noor | Quelle: Wikimedia Commons,  public domain

Jindřich Waldes sicherte der Firma daraufhin die Herstellungsrechte. Sein Unternehmertalent und das technische Know-how von Puc wurden zum Erfolgsrezept. Dem Druckknopf wurde der Name „Koh-i-noor“ gegeben, in Anlehnung an den größten Diamanten der Welt. Der persische Begriff bedeutet „Berg des Lichts“, und dieser Edelstein ziert unter anderem die Krone der britischen Königin.

Zur Zierde des Unternehmens wurde alsbald die neue Fabrik, die Waldes und Puc 1907 im Prager Stadtteil Vršovice errichten ließen. Die Produktionskapazitäten konnten damit immens gesteigert werden. 300 Arbeiter wurden am neuen Standort beschäftigt, und „Waldes & Co.“ war bald als das größte Unternehmen seiner Art in ganz Österreich-Ungarn bekannt. Zeitgenössische Fotografien zeigen einen modernen Komplex, umgeben von hochgewachsenen Bäumen und Parkanlagen. Die fortschrittliche Konstruktion bot den Arbeitern nach Geschlechtern getrennte Umkleideräume, eine Kantine, eine Bibliothek sowie ein Bad und einen Fitnessraum, was heute wohl als Wellnessbereich bezeichnet werden würde. Jindřich Waldes beschrieb seine Unternehmensphilosophie im April 1938 in einer Rundfunkansprache. Die Sendung war für das ausländische Publikum bestimmt, weswegen der Unternehmer Englisch sprach:

Fabrik „Waldes & Co.“  (links) | Foto: Verwaltung des Stadtviertels Prag 10

„Als tschechoslowakischer Selfmademan will ich meine Erfahrungen zusammenfassen mit den Worten, die zu meiner Lebensphilosophie geworden sind: Frieden sowie die politische und wirtschaftliche Kraft eines jeden Staates hängen zuallererst von den guten Beziehungen zwischen den Menschen ab. Friede zwischen den Völkern führt zu Frieden im Land selbst. Heute hat der Angestellte nicht mehr die frühere untertänige Konnotation. In der wirtschaftlichen Sphäre haben wir eine Bürgerfront aufgebaut, in der jeder mit jedem zusammenarbeitet. Dies basiert auf der Annahme, dass der Arbeitgeber die volle Kooperation seiner Arbeiter braucht, um seine Pläne und Projekte umzusetzen.“

Gebäude der Fabrik Waldes heute | Foto: Khalil Baalbaki,  Tschechischer Rundfunk

Dass die Unternehmensführung stolz war auf die Arbeit der Belegschaft, dokumentierte auch ein Museum. Es wurde 1918 gegenüber der Fabrikanlage auf dem Svatopluk-Čech-Platz feierlich eröffnet und zeigte eine einzigartige Sammlung von Knöpfen und Kleiderspangen. Dort waren jahrtausendealte und historisch wertvolle Exponate zu sehen genauso wie der sogenannte „Schatz von Karlstein“, den Jindřich Waldes auf einer Auktion ersteigert hatte.

Druckknöpfe von Koh-i-noor | Foto: Khalil Baalbaki,  Tschechischer Rundfunk

Diese öffentliche Darstellung gehörte zu einem umfassenden Marketingkonzept, mit dem Waldes erneut seine unternehmerischen Fähigkeiten unter Beweis stellte. Schon vor mehr als 100 Jahren nutzte er modernste Werbemittel und ersann neue Methoden. Die Produkte der Firma wurden mit einem unverkennbaren Logo versehen. Reklameslogans wurden in Zeitschriften platziert ebenso wie Inserate mit bekannten Persönlichkeiten aus der Modewelt. Auch an Straßenbahnen und Autos war Werbung für „Waldes & Co.“ angebracht. Zur Eigenvermarktung gehörte zudem die Teilnahme an Verkaufsausstellungen und Messen. Über Waldes ist bekannt, dass er sich gründlich auf seine Auftritte bei Pressekonferenzen, Interviews und Vorträgen vorbereitete. Nachdem 1936 die Auslandssendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks entstanden waren, hielt der Unternehmer dort – wie eben gehört – des Öfteren Vorträge in Tschechisch und Englisch über das richtige Management großer Unternehmen.

Umfassende Marketingstrategie

Werbung der Firma Waldes | „Foto: Quelle: Zeitung „Divadelní noviny“

Und der Erfolg gab ihm Recht. Die permanente Modernisierung der Produktionsanlagen betraf nicht nur die Herstellung der Druckknöpfe, sondern aller weiteren Kleinwaren im Firmenportfolio. „Waldes & Co.“ eröffnete bereits 1904 seine erste Außenstelle in Dresden. Es folgten Filialen in Warschau, Paris, Wien, Barcelona und New York. In den 1930er Jahren machte der Export in 73 Länder der Erde insgesamt 80 Prozent der gesamten Firmenproduktion aus. Die Welt befand sich in der Wirtschaftskrise, aber Waldes stellte neue Mitarbeiter ein.

Kupkas Brief an Waldes | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Speziell für den amerikanischen Markt entstand das berühmte Logo der „Miss KIN“ – eines lachenden Mädchens mit einem Druckknopf im Auge. Entworfen hat es František Kupka, der als Pionier der abstrakten Malerei gilt. Im Sommer 1920 beschreibt er die Auftragsarbeit in einem Brief an Waldes, Zitat:

„Lieber und geschätzter Freund, die Zeichnung mit dem Kopf des Mädchens habe ich vor etwa 14 Tagen abgeschickt. Sie ist so angefertigt, dass sie in allen Größen reproduziert werden kann. Der Kopf kann von einem Kreis umgeben sein oder auch nicht. Ich bin sicher, dass Sie zufrieden sein werden. Ursprünglich war die Darstellung des Mädchens sehr künstlerisch. Mit Rücksicht auf den Zweck habe ich sie aber im konventionellen Sinne umgearbeitet.“

Vladimír Lekeš | Foto: ČT24

Jindřich Waldes wurde schnell zu Kupkas großzügigem Förderer, und beide Männer verband fast zwei Jahrzehnte lang eine innige Freundschaft. Der Galerist Vladimír Lekeš fasst zusammen:

„Jindřich Waldes, der Inhaber der Firma Koh-i-noor, unterstützte die tschechische Kunst, also Literatur, Theater und anderes. Vor allem aber František Kupka, dessen Gemälde er oft kaufte. Waldes veräußerte die Bilder aber auch für Kupka in Amerika und zahlte dem Maler dann das doppelte Honorar aus.“

Innige Freundschaft zweier unterschiedlicher Männer

Korrespondenz zwischen František Kupka und Jindřich Waldes | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Die Korrespondenz der beiden Männer, die sich charakterlich sehr unterschieden, füllt ein umfangreiches Buch. Zunächst war es Waldes, der sich um den dauerhaften Kontakt bemühte. In einem späteren Brief schrieb Kupka, Zitat:

„Geschätzter Freund! Den Begriff ‚Freund‘ erlaube ich mir, denn ich kann nicht anders. Ich fühle es so, und es ist mir eine große Freude, alle Verbindlichkeiten zu übernehmen, die mit einer wirklichen Freundschaft verbunden sind. Ja, das ist Deine wirklich großartige Leistung. Neben Dir fühle ich mich wie ein kleiner Spatz. Du bist ein mächtiger Riese, und mir ist es eine große Ehre, mich Deiner Freundschaft erfreuen zu können.“

 Waldes wiederum beschreibt seine Motivation in einem Brief wie folgt, Zitat:

„Ich bin sehr froh, dass ich meine Gedanken außer auf meinen Beruf auch auf andere Dinge richten kann. Und dabei nicht nur auf die Politik. Von diesen Dingen ist mir die Kunst am nächsten. Darum interessiert mich alles auf diesem Feld, solange es die tschechische Kunst betrifft.“

František Kupka  (ganz links) mit Jindřich Waldes  (ganz rechts am Tisch) 1930 | Quelle:  Zeitschrift „Pestrý týden“

Diese Freundschaft wurde erst durch Waldes‘ Tod beendet. So weitsichtig der Unternehmer in geschäftlichen Angelegenheiten war, so zögerlich scheint er auf die Okkupation der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten reagiert zu haben. Seine Familie schickte Waldes noch zur rechten Zeit nach Amerika. Er selbst blieb aber im Land und wurde im September 1939 wegen seiner jüdischen Herkunft festgenommen. Nach seiner Deportation ins Konzentrationslager Buchenwald gelang seiner Familie aber ein Handel mit den Deutschen. Galerist Lekeš kannte Waldes‘ Sohn Jiří, der sich in Amerika George nannte, persönlich:

Jiří  (George) Waldes

„George hat mir erzählt, dass sein Vater von der Gestapo interniert wurde. Seine Familie hat ihn aber freigekauft. Er bestieg in Lissabon ein Schiff, das nach New York fuhr. Noch bevor es zum Zwischenstopp in Havanna anlegte, ist Waldes an Bord verstorben. Es heißt, für ihn seien eine Millionen Dollar gezahlt worden.“

Ungeklärte Todesumstände

Weder der Preis noch die Todesumstände können heute belegt werden. Die Familie glaubt, so fährt Lekeš fort, dass der Unternehmer von der Gestapo vergiftet wurde.

Fabrik „Koh-i-noor“ | Foto: Post Bellum

In der Zeit der Okkupation wurde die Firma „Waldes & Co.“ in „Koh-i-noor“ umbenannt und ihre Fabriken in die Kriegsindustrie des Deutschen Reiches eingegliedert. Es gibt aber zeitgenössische Berichte über den Widerstand der Belegschaft und Sabotageakte. Nach Kriegsende wurde das Unternehmen von den Kommunisten verstaatlicht und mit anderen Fabriken zusammengelegt. Die Kunstsammlung von Jindřich Waldes wurde im Kunstgewerbemuseum in Prag gelagert. Nach der Samtenen Revolution habe Sohn George den Kontakt zu seiner alten Heimat gesucht, so Galerist Lekeš:

František Kupka: ‚Freude  (Ballade,  Lebensfreude)‘ | Quelle:  Nationalgalerie Prag

„George Waldes war ein Philanthrop, ein wirklicher Mäzen. Nach der Revolution von 1989 überließ er dem tschechischen Staat mehrere Kunstwerke, allen voran ‚Freude (Ballade, Lebensfreude)‘ von František Kupka. Dem Kunstgewerbemuseum überließ er den goldenen ‚Schatz von Karlstein‘.“

Exlibris Waldes von František Kupka | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Die restlichen Kunstwerke, die den Waldes-Erben im Zuge der Restitution zurückerstattet wurden, mussten aber unfreiwillig in Tschechien bleiben. Und so bekommt die Geschichte von Jindřich Waldes und seinem Unternehmenserfolg dank des Patentknopfes am Ende einen bitteren Beigeschmack. Noch einmal Valdimír Lekeš:

„George Waldes war mehrmals auf Besuch in Tschechien. 1996 wurde ein Teil der Waldes-Sammlung im Rahmen der Restitution zurückerstattet. Der andere Teil war angeblich nicht aufzufinden. George Waldes wurde aber nicht erlaubt, auch nur ein einziges Werk mit nach Amerika zu nehmen. Das war der Dank dafür, dass er dem Staat zuvor Kunstwerke im Wert von mehreren Hundert Millionen Kronen gespendet hatte.“