Kollektivierung und Vertreibung
Ende November fand im tschechischen Senat eine öffentliche Anhörung zur Kollektivierung statt. Konkret ging es um die Frage, ob und wie Verbrechen aus der Zeit der Kollektivierung, wie beispielsweise die Vertreibung von Bauern von ihren Höfen, untersucht und eventuell bestraft werden können. In unserem heutigen Geschichtskapitel beschäftigt sich Andreas Wiedemann mit der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Tschechoslowakei.
Nachdem die Kommunisten 1948 ihr Machtmonopol errichtet hatten, verfolgten sie in der Landwirtschaftspolitik das Ziel der Kollektivierung. Dabei hatte noch im April 1948 das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei verkündet, niemand in der Tschechoslowakei wolle Kolchosen nach sowjetischem Muster und kündigte offiziell lediglich eine Demokratisierung des traditionellen Genossenschaftswesens an. Damit waren die Vorkriegsgenossenschaften gemeint. Seit Herbst 1948 verschärfte sich aber der Ton. Der Vorstand der Kommunistischen Partei formulierte die "Begrenzung der kapitalistischen Elemente auf den Dörfern" als Ziel der Landwirtschaftspolitik.
Am 23. Februar 1949 wurde das Gesetz über die Gründung von Landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften verabschiedet. Im Frühjahr 1949 startete die Kommunistische Partei umfassende Kampagnen zu ihrer Propagierung:
"Im Jahr 1949 begann die grundsätzliche Ausweitung des staatlichen landwirtschaftlichen Sektors und gleichzeitig die Schaffung der so genannten Einheitlichen Landwirtschaftsgenossenschaften, die als fortschrittlich und aufgeklärt angepriesen wurden. Einige kleine und mittlere Bauern, die zu der Zeit bevorzugt als Mitglieder aufgenommen werden sollten, zeigten Interesse, "so der Historiker Karel Jech.In der ersten Phase der Kollektivierung wirkte ein kleiner Teil der Bauern noch aktiv am Aufbau der landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften mit. Und das vor allem in den Grenzgebieten. Dort verlief die Kollektivierung insgesamt schneller als im Binnenland und war formal bis 1953 abgeschlossen. Der Anteil der kommunistischen Parteimitglieder unter den neuen Bauern, die durch die Enteignung der Deutschen in den Grenzgebieten Boden erhalten hatten, war dort wesentlich höher als im Rest des Landes. Ferner war die Bindung an den Boden bei den neuen Landwirten weniger ausgeprägt als bei den alteingesessenen Bauern.
Die Kollektivierung verlief aber landesweit nicht in dem von den Kommunisten erwünschten Tempo, und die Werbeaktionen wandelten sich zu Beginn der fünfziger Jahren schnell zu einem Kampf gegen die so genannten Kulaken, oder die Dorfreichen, wie sie in der Tschechoslowakei genannt wurden. Das Wort Kulak wurde während der sowjetischen Kollektivierung verwendet. Da die tschechischen Kleinbauern gegen die reichen Bauern mobilisiert werden sollten, verwendeten die Kommunisten lieber den tschechischen Begriff vesnicky bohac (Dorfreicher). Karel Jech erläutert die Situation der so genannten Dorfreichen:
"Im Jahr 1950 setzten bereits Hasskampagnen gegen die Bauern ein, die von den höchsten Stellen geführt wurden. Und auch in der Presse wurde verstärkt die Begrenzung und Verdrängung der Dorfreichen gefordert, die auf dem Land als Reste der Ausbeuterklasse und als Haupthindernis auf dem Weg des Dorfes zum Sozialismus galten",Die Kommunisten wollten die kleinen und mittleren Bauern für den Sozialismus gewinnen, die Dorfreichen hingegen sollten isoliert werden. Bauern mit größeren Höfen, es reichten etwa 20 Hektar, wurden in der Folge auf verschiedene Art und Weise unter Druck gesetzt. Sie durften keine fremden Lohnarbeiter mehr beschäftigen, sie wurden gezwungen, Traktoren und andere landwirtschaftliche Maschinen zu kaufen. Die Abgabenlast für die Bauern wurde ständig erhöht und bei Nichterfüllung wurden sie kriminalisiert. Den Einheitsgenossenschaften durften die Dorfreichen zunächst gar nicht beitreten. Sie galten als Klassenfeinde, und die Kommunisten fürchteten, die Kulaken könnten in den Genossenschaften dem Aufbau des Sozialismus schaden. Erst 1957 wurde dieses Beitrittsverbot aufgehoben und auch reiche Bauern durften den Genossenschaften beitreten, allerdings nur unter besonderen Auflagen. Zu Beginn der fünfziger Jahre wurden gegen die Dorfreichen Prozesse inszeniert, die so genannten Kulakenprozesse. Diese endeten anfangs meistens mit Freiheitsstrafen oder Geldstrafen. Später kamen noch andere Maßnahmen hinzu:
"Als empfindlichste Strafe wurde ein Verbot des Aufenthalts im Bezirk verhängt und das für einige Jahre oder lebenslang. Die Familien der inhaftierten Bauern wurden aus ihren Häusern vertrieben. Die Bauernhöfe mit allem Inventar wurden von den Genossenschaften übernommen. Die weitere Anwesenheit der Familien wurde als Hindernis auf dem Weg zur weiteren Kollektivierung betrachtet," sagt Karel Jech.
Von diesen innerstaatlichen Vertreibungen, die unter dem Namen "Aktion Kulak" durchgeführt wurden, waren immer mehr Bauernfamilien betroffen.
"Wenn wir über die eigentlichen Vertreibungen sprechen, dann waren ungefähr 1700 Familien betroffen, aber wir müssen bedenken, dass in dieser Zahl nicht die Familien berücksichtigt sind, die in den fünfziger Jahren aus dem Grenzgebiet und den Grenzzonen ins Binnenland umgesiedelt wurden,"
so der Historiker Michal Stehlik. Er schätzt, dass von der Kollektivierung insgesamt fast 300.000 Menschen betroffen waren.
Die Kollektivierung und der Kampf gegen die Dorfreichen verliefen regional unterschiedlich, folgten aber demselben Muster. Dazu noch einmal Michal Stehlik:
"Bei den Nationalausschüssen in den Bezirken wurden Kommissionen gebildet, die darüber entschieden, wer zu den so genannten Dorfreichen gehörte. Den Familien wurde dann bekannt gegeben, dass sie umgesiedelt werden und das möglichst ans andere Ende der Republik. So wurden z.B. Menschen aus Südböhmen nach Nordböhmen oder Nordmähren umgesiedelt. Sie hinterließen funktionierende Bauernhöfe, die dann im Zuge der Kollektivierung aufgelöst wurden."
Im Jahr 1953 gehörte bereist ein Drittel des landwirtschaftlichen Bodens den Einheitsgenossenschaften. Die Zügel im Kollektivierungsprozess wurden daraufhin etwas gelockert, was zahlreiche Bauern zu einem Austritt aus den Genossenschaften nutzten. In einer neu gestarteten Welle in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurde der Anteil des sozialistischen Sektors in der Landwirtschaft dann auf über 85 Prozent gesteigert. Dies erreichte die kommunistische Führung durch massive materielle Unterstützung der Einheitsgenossenschaften. Die Nachteile, unter denen die größeren Privatbauern litten, wie z.B. die soziale Unsicherheit und die Benachteiligung der Kinder in Schule und Ausbildung, führten dazu, dass viele den Genossenschaften beitraten. Neben den menschlichen Tragödien, die durch die Kollektivierung und vor allem durch das harte Vorgehen gegen die Dorfreichen ausgelöst wurden, hatte diese Politik katastrophale Folgen für die gesamte Landwirtschaft in der Tschechoslowakei, wie Michal Stehlik betont:
"Im wesentlichen bewirkte dieses harte Vorgehen gegen die Bauernfamilien und gegen die gesamte Landbevölkerung den Kollaps der Landwirtschaftspolitik und generell der tschechoslowakischen Wirtschaft in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre."
Nach 1989 stand hauptsächlich die Restitution von enteignetem landwirtschaftlichem Besitz im Mittelpunkt einer Wiedergutmachung. Hauptziel der Anhörung im Senat war es nun, zu klären, wie Verbrechen aus der Zeit der Kollektivierung untersucht und eventuell bestraft werden können.