Kommentare zum EU-Referendum und zum Präsidentenveto
In genau zwei Wochen werden die tschechischen Wählerinnen und Wähler in einer Volksabstimmung über den Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union entscheiden können. Den letzten Medienrückblick im Monat Mai mit etwas anderem als Europa bzw. dem nahenden Referendum beginnen zu wollen, käme vielleicht auf den ersten Blick einer Fahrlässigkeit gleich. Dennoch gehen wir, verehrte Hörerinnen und Hörer, aber dieses Wagnis ein, um anhand eines konkreten Beispiels zu zeigen, dass Tschechiens politische Klasse noch nicht ganz den Bezug zum wahren Leben verloren hat.
Vor etwa einem Monat verkündeten die heimischen Medien groß, dass Präsident Vaclav Klaus - immerhin erst seit Anfang März Hausherr auf der Prager Burg und somit immer noch relativ neu im Amt - erstmals von seinem Recht Gebrauch machte und gegen ein bereits beschlossenes Gesetz sein Veto einlegte. Wer jedoch gedacht hätte, der rechtsliberale Politiker Klaus hätte eines der Schlüsselvorhaben der amtierenden Mitte-Links-Regierung zu stoppen versucht, irrte gewaltig. Anlass der ersten Kraftprobe zwischen Präsident und der Regierungsmehrheit im Parlament war ein Gesetz, welches den in Tschechien ansässigen Tierparks und Zoos Steuerbegünstigungen gewährt hätte. Offiziell sollte dadurch jenen Zoos geholfen werden, die vom Hochwasser des letzten Sommers besonders stark betroffen waren, da aber ausschließlich der Prager Zoo von den Fluten in Mitleidenschaft gezogen wurde, wurde an den Gesetzgebern Kritik laut, sie wollten sich mit dieser Anlassgesetzgebung vor der tierverliebten Öffentlichkeit in ein besseres Bild rücken. Obwohl das Präsidentenveto letztendlich von den Abgeordneten klar überstimmt wurde und das Gesetz somit in Kraft treten wird, hat etwa der Chefkommentator der Mlada fronta Dnes, Martin Komarek das Vorgehen des Präsidenten in dieser Angelegenheit gelobt. Sein Kommentar trägt den Titel Klaus und die Menagerien":
"Auch wenn Klaus jetzt vielen als Unmensch, oder eher als ´Untier´ vorkommen muss, hatte er völlig recht. Mittels Spezialgesetze zu versuchen spezifischen Einrichtungen Steuererleichterungen zu gewähren, ist falsch. Das ohnehin schon an schlechten und dummen Gesetzen nicht gerade arme Rechtssystem des Landes wäre somit wieder um eine ähnliche Rechtsnorm reicher. Auch wenn Klaus letztendlich verloren hat und überstimmt wurde, ist es ihm dennoch hoch anzurechnen, dass er sich dagegen stemmte. Als er nämlich noch selber Regierungschef und später Parlamentspräsident war, war auch er an der Verabschiedung einiger dieser schlechten und unlogischen Gesetze mitbeteiligt. Jetzt kämpft er dagegen an."
Aber nun, wie bereits eingangs kurz angekündigt, zu jenem Thema, dass in diesen Tagen die öffentliche Debatte in den tschechischen Medien wenn nicht dominiert, so doch maßgeblich prägt. Im Grossen und Ganzen lässt sich dabei feststellen, dass die tschechischen Medien fast ausnahmslos den EU-Beitritt Tschechien unterstützen und die Redaktionskommentare somit mehr oder weniger dieser Linie entsprechen. Will man also in diesen Tagen in puncto EU-Mitgliedschaft kritischere oder differenziertere Meinungen vernehmen, so muss man - etwa in den Zeitungen - schon zu den Gastkommentaren greifen. Stellvertretend dafür wollen wir Ihnen nun einige Passagen aus einem Kommentar von Martin Weiss präsentieren, der vergangene Woche in der Tageszeitung Lidove noviny erschienen ist. In seinem Beitrag mit dem Titel "Wir sagen JA. Na und?" setzt sich der Autor kritisch mit der offiziellen Werbekampagne der Regierung auseinander, an der er vor allem die Objektivität vermisst:
"Mit dem näher rückenden Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union, sollte sich eigentlich hierzulande die freudige Aufregung ihrem Höhepunkt nähern. Schließlich geht es um die Erfüllung eines beliebten Slogans aus der Wende-Zeit, nämlich jenes von der Rückkehr nach Europa. Zusätzlich wird es die erste Volksabstimmung in Tschechen überhaupt sein, also etwas wonach sich die Tschechen angeblich schon lange gesehnt haben. Dennoch scheint die Politiker der Regierungsparteien gegenwärtig nur eine Sorge zu beschäftigen, nämlich, dass die Leute meinen könnten, es sei schon alles entschieden und zu Hause bleiben könnten."
Über diese weit verbreitete Meinung sollte man sich nicht wundern, meint Martin Weiss in seinem Kommentar weiter, denn normalerweise werden den Stimmberechtigten bei Referenden zwei oder mehrere gleichwertige Möglichkeiten zur Auswahl gegeben. Das sei jedoch laut Weiss in der Frage des tschechischen EU-Beitritts faktisch nicht gewährleistet, da die Regierung schon vorher alle Weichen in Richtung Mitgliedschaft gelegt hat. Weiss kommt abschließend zu dem Schluss:
"Bei den Lockrufen, die wir in diesen Tagen von Seiten der Europäischen Union vernehmen, ist auch von einer erhöhten demokratischen Qualität innerhalb der Union die Rede. Jene Abstimmung, die uns jedoch den Weg in die Union ebnen soll, weist jedoch in pucto Demokratiequalität in eine völlig andere Richtung, nämlich in die Zeiten vor der Wende. Wenn uns die Politiker stattdessen gesagt hätten: Zur Mitgliedschaft in der Union gibt es keine Alternative und sie steht deshalb nicht zur Abstimmung, vielleicht später einmal, wenn über die europäische Verfassung entschieden wird, dann wäre das zwar gegenüber den Wählern hart, aber weitaus redlicher."
Einige Kommentare in den tschechischen Zeitungen befassen sich schon längerem mit der Haltung der beiden Oppositionsparteien, als der Rechtsliberalen von der ODS und der Kommunisten zum EU-Beitritt. Dabei wird fast einhellig die Ansicht geäußert, dass sich beide Parteien in einem Dilemma befinden würden. Auf der einen Seite befiehlt ihnen die Oppositionsrolle nämlich die Regierung für alles zu kritisieren, auf der anderen Seite jedoch wollen sich die beiden Parteien auch in der Europa-Frage alle Möglichkeiten offen lassen und nicht gänzlich alle Brücken zu den klar auf Pro-EU-Linie liegenden drei Regierungsparteien abbrechen. Diese Taktik der Rechtsliberalen und der Kommunisten nahm etwa der Politikwissenschaftler Ji"í Pehe als Anlass für einen Gastkommentar, der vergangene Woche in der linksliberalen Tageszeitung Pravo erschienen ist. Der Kommentar trägt den Titel "Ein weiches JA und ein weiches NEIN sind ein und dasselbe":
"Die Bürgerdemokraten und die Kommunisten unterstützen beide ein wenig den tschechischen EU-Beitritt, genauso wie sie ihn auch ein wenig ablehnen. Für die Kommunisten ist die Europäische Union ein Symbol des grenzüberschreitend agierenden Kapitals, für die Rechtsliberalen wieder das Symbol schlechthin für einen grenzüberschreitend wirkenden Sozialismus. Beide Sichtweisen sind falsch und beide Parteien wissen das auch. Deshalb sind auch die Wahlaufrufe der ODS und der Kommunisten an die eigenen Anhänger schizophren. Beide setzen dabei bewusst auf die nationale Karte und meinen der wachsenden Globalisierung der Welt mit einer Einbunkerung hinter nationale Mauern trotzen zu können."