Kommentare zum Zustand der Regierung Spidla, zur Finanzreform und zur Mandatsniederlegung von Hana Marvanova
Liebe Hörerinnen und Hörer, auch die 39. Woche des Jahres 2003 hat in Tschechien Ereignisse mit sich gebracht, die von den hiesigen Medien ausführlich kommentiert wurden. Auch heute wollen wir deshalb zumindest auf einige dieser Themen in unserem Medienspiegel näher eingehen.
Vergangenen Dienstag haben im tschechischen Parlament die mit Spannung erwarteten abschließenden Beratungen und die Abstimmung über die insgesamt 11 Reformvorlagen der Regierung begonnen, deren Ziel es ist, die öffentlichen Haushalte des Landes zu sanieren und somit Tschechien mittelfristig auf Euro-Kurs zu bringen. An zusätzlicher Brisanz bekam die Parlamentswoche noch durch den gleichzeitig von der stärksten Oppositionspartei des Landes, der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), eingereichten Antrag, der Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident Vladimir Spidla das Misstrauen auszusprechen.
Die beiden Kommentare, die wir zu diesem Thema für Sie ausgesucht haben, machen sich auch einige grundsätzliche Gedanken über den Zustand der jetzigen Regierung, die mit dem Erfolg ihrer Reformvorschläge mehr oder weniger ihr weiteres Bestehen verknüpft.
Den Auftakt besorgt heute Martin Komarek mit seinem Kommentar "Klaus ist der Vater", der in der Mlada fronta Dnes erschienen ist. Er zeigt darin die Zusammenhänge zwischen dem für den Regierungschef blamabelen Ergebnis der Präsidentenwahl vom Februar dieses Jahres und dem nun vorgelegten Reformpaket. Da der rechtsliberale tschechische Präsident Vaclav Klaus den Regierungsvorschlägen kritisch gegenübersteht, kann, so Komarek, der Eindruck entstehen, als ob eben Klaus und nicht Premier Spidla der geistige Vater dieser Reform war:
"Der Kampf um die Reform soll eine Revanche für die verlorene Präsidentenwahl sein. Zu Jahresbeginn erlitt Spidla eine dramatische Niederlage. Er zeigte sich als schlechter Stratege, als er den besten Kandidaten erst zu spät ins Rennen schickte, als ein schlechter Taktiker, indem er keine Einigung mit seinem Vorgänger Milos Zeman suchte und zusätzlich noch als schlechter Redner. Letzten Endes versagte er auch als Parteiführer, in dem er seine Abgeordneten nicht zu disziplinieren vermochte. Manche Politiker wären schon damals zurückgetreten, doch Spidla entschied sich weiter zu kämpfen. Er geht dabei aufs Ganze und lässt vor allem die Abgeordneten seiner Partei wissen, dass bei einem Fall der Regierung auch deren eigene Existenz bedroht wäre. Das ist zwar eine geschickte Form von politischer Erpressung, doch sie kommt etwas spät. Spidla hätte seinen Kopf im Kampf um das Präsidenten-Amt setzten sollen."
Der zweite Beitrag, aus dem wir Ihnen heute einige Textstellen näher bringen möchten, stammt aus der Tageszeitung Lidove noviny. Sein Autor Daniel Kaiser äußert in seinem Kommentar "Der Sumpf auf Erden" auch einige kritische Anmerkungen an die Adresse der tschechischen Medienlandschaft:
"So, es ist wieder soweit und wir sind wieder einmal Zeugen des dramatischsten Augenblickes in der Geschichte der Regierung Spidla. Wird der abtrünnige Abgeordnete Hojdar seine Drohungen wahr machen? Wird Spidla dann zurücktreten? Auf den ersten Blick sieht also alles ausgesprochen dramatisch aus, aber man muss wissen, dass die Regierung schon seit einem Jahr der Gefahr ihres Endes ausgesetzt ist. Es reicht also, wenn ein Abgeordneter ins Wanken gerät und schon werden auf die Regierung politische Nachrufe verfasst. Dieser permanenter Nervenkitzel beeinflusst aber auch die Berichterstattung, die sich dann allzu stark auf einzelne Figuren konzentriert, dabei jedoch den Blick für das Ganze und das Grundsätzliche verliert."
Einige Kommentatoren gingen in ihren Beiträgen auch auf die überraschende Entscheidung der früheren Parteichefin der kleinsten Regierungspartei, der liberalen Freiheitsunion, Hana Marvanova ein, auf ihr Mandat zu verzichten. Marvanova ist vor kurzem zum dritten Mal Mutter geworden und hat ihren Abgang aus dem Parlament offiziell auch mit ihrer neuen Rolle begründet. Hana Marvanova war eine Zeit lang nicht nur die erste Frau an der Spitze einer tschechischen Regierungspartei, sondern galt vielen als die Jean d´Arc der tschechischen Innenpolitik, die an ihren einmal gefassten politischen Standpunkten eisern festhielt. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr bekam dies auch Premier Spidla zu spüren, als damals der Versuch seiner Regierung, als Folge des Jahrhundert-Hochwassers eine Reihe von Steuern anzuheben, im ersten Anlauf scheiterte. Marvanova verweigerte nämlich ihre Zustimmung und da die Regierung im Parlament lediglich über eine Stimme Mehrheit verfügt, schlitterte sie in ihre erste große Krise.
Das bisherige Wirken Marvanovas stieß in den Zeitungen auf ein weitgehend positives Echo. Manche Autoren brachten sogar ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die Politikerin nach ihrer Mutterschafts-Pause wieder in die Politik zurückkehren wird. In der Lidove noviny erschien dazu ein Kommentar von Petruska Sustrova mit dem Titel "Eine Politikerin mit sauberem Schild":
"Wenn der Abgang Hana Marvanovas aus der hohen Politik endgültig sein sollte, was aber bei weitem nicht sicher ist, würde der tschechischen politischen Landschaft eine wichtige und interessante Persönlichkeit abhanden kommen. Marvanova gehört zu jenen Politikern, die schon während des Kommunismus um eine Änderung des Systems bemüht waren und verbrachte wegen ihrer Ansichten damals sogar einige Monate im Gefängnis. Ihre Standpunkte waren nie konjunkturalistisch und waren frei von dem faden populistischen Beigeschmack, der für einige ihrer Politikerkollegen typisch wurde. Man konnte ihr zustimmen oder mit ihr streiten, man konnte aber auf jeden Fall sicher sein, dass sie sich nicht zu leeren Worthülsen herablassen würde. Solche ausgeprägten Politiker mit einem sauberen Schild hat unsere Gesellschaft bitter nötig."
Auch Jiri Franek blickt in der Zeitung Pravo auf das einstweilige Ende der politischen Karriere der streitbaren Politikerin zurück, wenn er in seinem Artikel unter dem Titel "Das Zögern dern Hana M." schreibt:
"Eine einzige Stimme dieser unberechenbaren Frau konnte in bestimmten Situationen die ganze Regierungskoalition besiegen und somit die Geschichte der Gegenwart maßgeblich beeinflussen. Doch eines war an Marvanova berechenbar und das wurde ihr von ihren Gegnern insgeheim am meisten übel genommen: Ihre Stimme konnte nicht gekauft werden. Natürlich kann man im Zusammenhang mit Marvanova meinen, dass Personen, die sich zwischen der Vertretung ihrer Ideale und der praktischen Politik nicht entscheiden können und zögern, sich aus der Politik am besten heraushalten sollten. Aber wir können uns nur schwer wünschen, dass dort nur diejenige Platz finden und wirken sollten, für die dieser Widerspruch nie ein Problem dargestellt hat."