Kourim

Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, bei einer neuen Touristensprechstunde von Radio Prag. Wir werden heute wieder einmal nach Kourim reisen. Diesmal interessiert uns aber nicht das dortige Museum der Volksarchitektur, wie bei unserer letzten Begegnung, sondern der eigentliche Ort Kourim. Wie Sie gleich selbst erfahren können, hat er eine sehr alte und auch dramatische Geschichte. Gute Unterhaltung wünschen Ihnen Olaf Barth und Markéta Maurová.

Die schönste Reise nach Kourim ist die mit dem Zug. Die lokale Eisenbahn verband 1881 die Stadt mit der Hauptstrecke Prag - Kolín. Die Züge werden zwar nicht mehr durch Dampf betrieben, sonst hat sich in der Zwischenzeit aber nur weniges geändert. Der kleine Motorzug mit einem Waggon schleppt sich langsam durch die Hügellandschaft, mal durch den Wald, mal an einem Bach entlang, und braucht für die 17 Kilometer lange Strecke 40 Minuten. Man steigt auf einem Bahnhof aus, von dem man noch eine gute Viertelstunde zu Fuß laufen muss. Dabei kann der Wanderer jedoch das schöne Panorama der Stadt auf einer Anhöhe bewundern, das die romanisch-gotische Stephanskirche dominiert.

Bei der Ankunft in der Stadt fühlt man sich komisch. Irgend etwas stimmt daran nicht. Der heutige Besucher würde nämlich kaum sagen, dass Kourim in der Geschichte eine wichtige Bedeutung hatte. Als Hauptzentrum des Stammes der Zlicaner rivalisierte es einst sogar mit Prag. Etwas von dem alten Ruhm kann man aber doch auch heute noch spüren. Der Stadtring ist unangemessen groß, die Stadtkirche außerordentlich prächtig. Die einst lebendigen Straßen sind heute jedoch still, das Leben aus ihnen ist verschwunden.

Vielleicht spielt sich das eigentliche Stadtleben irgendwo anders als auf dem Hauptplatz ab. Auch in der Geschichte zog nämlich das Zentrum von Kourim um. Man kann von drei Kourims sprechen, die nacheinander auf drei Hügeln in der Umgebung lagen: Alt-Kourim, wo es Belege über das Leben in der Urzeit und in den Anfängen der Geschichte gibt. Später, etwa im 11. Jahrhundert, wurde eine Burgstätte auf der gegenüberliegenden Anhöhe gegründet, die eine bedeutende Verwaltungsrolle in der Region spielte und wo die ersten christlichen Kirchen entstanden. Erst im 13. Jahrhundert wurde diese Verwaltungsfunktion auf das dritte Kourim übertragen, auf die eigentliche Stadt.

Fangen wir zunächst mit einer Wanderung in der Umgebung der heutigen Stadt an. Ein Lehrpfad führt uns zu Orten, wo sich prähistorische Dörfer und Kultstätten befanden. Heute findet man dort Wiesen, Haine, Buschwerk, aber auch Bildtafeln, die uns Informationen über die alten Zeiten vermitteln, aber auch alte Sagen erzählen. Wer z.B. den sog. Lech-Stein am Heiligen Abend dreimal auf einem Bein umspringe, dem wird der Felsen seinen Schatz ausgeben. Es gibt aber eine Bedingung: man muss das alles in einem einzigen Atemzug schaffen. Versuchen Sie es selbst einmal, liebe Hörerinnen und Hörer. Mir ist es nicht gelungen.

Alt-Kourim wurde bereits in der jüngeren Steinzeit zur Besiedlung auserwählt, im 3. Jahrtausend vor Christus. Damals wurde hier eine offene Agrarsiedlung gegründet. Eine bedeutende Rolle spielte Kourim zur Zeit der slawischen Kolonisierung. Im 9. Jahrhundert lag hier das Fürsten- und Verwaltungszentrum des Stammes der Zlicaner. Die frühere Siedlung wurde auf den höchsten Felsen übertragen, und in der Mitte des Burggeländes entstand eine Art Akropolis, die als Sitz des Herzogs und seines Gefolges genutzt wurde. Im Zentrum, umrahmt durch Wohn- und Wirtschaftsgebäude, erstreckte sich ein 90 m langer Hallenbau, der wahrscheinlich zu Versammlungen der Burgbewohner diente. Der kleine See, den die sog. Libussa-Quelle mit Wasser versorgte, wurde in dieser Zeit zu einem 70 m langen Wasserreservoir erweitert.

Nach dem Niederbrennen von Alt Kourim, der Sitzungsburgstätte der mächtigen Zlicaner Herzogen, und nach dem Niedergang von Kourim als der wichtigsten Burg der Depolticen, eines Nebenzweigs der Przemysliden, entstand auf dem gegenüberliegenden Ufer des Flusses Kourimka ein drittes Kourim: die königliche Stadt. Höchstwahrscheinlich Wenzel I. oder sein Sohn Przemysl Ottokar II. schenkten sächsischen Kolonisten 40 Hufen Boden. Es wurde eine neue Stadt nach einem genauen Plan aufgebaut: ein umfangreicher Ring bildete ein Zentrum, aus dem vier Hauptstraßen in vier Himmelsrichtungen ausliefen. In der südwestlichen Ecke entstand die Pfarrkirche des hl. Stephans, darunter lag ein kleiner Geflügelmarktplatz, von dem aus eine kleine Gasse zum Fluss Kourimka führte. An anderen Stellen entstanden weitere kleine Marktplätze: der Gänsemarkt und der Töpfermarkt mit weiteren engen Gassen. Die westliche Seite der Siedlung bildete ein umfangreicher Komplex der Zisterzienserpropstei. Die ganze Stadt wurde durch eine doppelte Stadtmauer, einen Graben und einen Wall geschützt. Von der Befestigung ist das Prager Tor bis heute erhalten geblieben.

Die deutschen Kolonisten, die aus dem Elbegebiet stammten und die Sprache der dortigen Slawen kannten, wurden in dem neuen, rein tschechischen Milieu, rasch tschechisiert. Zu ihren deutschen Familiennamen fügten sie häufig tschechische Namen hinzu - Václav, Janko u.a. Interessant ist, dass im Laufe von Jahrzehnten die Landwirtschaft die wichtigste Beschäftigung der Stadtbewohner darstellte. Das Handwerk spielte erst die zweite Rolle und auch die Handwerker bemühten sich, auch ein Stück Feld oder Garten dazu zu kaufen oder mindestens zu mieten.

Bereits im frühen Mittelalter wuchsen in Kourim bedeutende kirchliche Baudenkmäler heran. Der Zisterzienserorden hatte hervorragende Baumeister, die auch den städtischen Stephansdom entwarfen. Es handelt sich um eine interessante, dreischiffige romanisch-gotische Basilika mit zwei mächtigen Türmen an den Seiten. Einen besonderen Reiz verliehen der Kirche die Nischenreihen im Presbyterium des Hauptschiffes, die schlanke Säulen mit Köpfen voneinander trennen. Der wertvollste Teil des Doms ist die unterirdische Kapelle unter dem Hauptchor, die den Namen Katerinka trägt. Sie hat eine achteckige Form. Aus dem Zentralpfeiler erheben sich die Gewölberippen, die einen achtzackigen Stern bilden. Experten zufolge handelt es sich um das älteste bekannte Gewölbe dieser Art außerhalb Englands.

Neben dem Dom erhebt sich noch ein Turm, ein ursprünglich gotischer Glockenturm, der 1570 vom italienischen Meister Philip umgebaut wurde. Das Renaissance-Dach des Glockenturms, das er entwarf und realisierte, wurde jedoch vor 100 Jahren durch ein pseudogotisches ersetzt. Ursprünglich befanden sich im Turm 5 Glocken. Nur noch zwei davon sind heute dort erhalten. Interessant ist aber, wie sie hängen, nämlich umgekehrt als gewöhnlich, mit dem Klöppel oben.

Dramatische Ereignisse in der Geschichte der Stadt brachten die großen Kriege des 15. und des 17. Jahrhunderts. Während der Hussitenkriege spielte Kourim eine bedeutende politische Rolle. 1419 erklärte es den protestantischen Pragern den Krieg. Als jedoch die Prager das nahe Cesky Brod eroberten und die dortigen Bewohner blutig bestraften, schlossen sich ihnen die erschrockenen Kourimer an. Das Hussitenheer besetzte Kourim und bei diesem Anlass wurde das dortige Zisterzienserkloster vernichtet. Fünf Mönche wurden dabei festgenommen und in Fässern verbrannt. An der Stelle, wo die Exekution stattfand, erinnert heute eine fünfeckige Jungfrauenkapelle an dieses Ereignis. Kourim gehörte seitdem zu den führenden Anhängern des Hussitentums. Erst nach der Niederlage der Hussiten in der Schlacht bei Lipany erklärte die Stadt wieder dem Kaiser Sigmund ihre Gehorsamkeit.

An der königlichen Seite stand Kourim unter Georg von Podiebrad und Vladislav II., der die Stadt sogar dreimal persönlich besuchte und während seines dritten Besuchs köstlich bewirtet wurde. Kourim erlebte damals einen großen Aufschwung, erhielt die Bestätigung seiner früheren Privilegien und erweiterte sie um weitere Rechte. Die Blütezeit wurde jedoch durch den Dreißigjährigen Krieg beendet. Die Kriegsgebühren sowie Plünderung, Pest und katastrophale Brände hatten zur Folge, dass noch siebzehn Jahre nach dem Kriegsende jedes vierte Haus in Kourim in Trümmern lag. Von den Bürgern überlebten nur 45 Familien.

Erst im 18. Jahrhundert hat sich die Stadt teilweise erholt. Mit großer Freude wurde die Rückgabe der Stadtprivilegien durch Kaiser Karl VI. begrüßt. Sie konnten jedoch nicht mehr dazu beitragen, der Stadt erneut zur ihrem ehemaligen Wohlstand und zu ihrer früheren Bedeutung zu verhelfen.

Heute ist Kourim eine ruhige Kleinstadt. Die Touristen besichtigen dort vor allem die Stephanskirche und das Museum im ehemaligen Rathaus. Danach ist es empfehlenswert, in die nahe Umgebung aufzubrechen. Erstens zu dem Hügel, auf dem sich Alt-Kourim erstreckte, und zweitens in das Freilichtmuseum hinter der Stadt, das einen schönen Komplex der Volksarchitektur bietet. Davon haben Sie aber von uns schon letztes Mal gehört.

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Autor: Olaf Barth
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