Krankenbetten für die Welt
Schon die böhmischen Länder und später auch die Tschechoslowakei waren hochindustrialisierte Gegenden in Europa. Heute kann Tschechien daran anknüpfen, und das macht sich auch zum Beispiel bei medizinischen Hilfsmitteln bemerkbar. Denn hiesige Firmen der Branche exportieren praktisch in die ganze Welt.
„Das liegt daran, dass der tschechische Markt vergleichsweise klein ist. Zugleich gibt es eine ganze Menge an Herstellern von Medizintechnik, allein unser Verband als größter der Branche hat mehr als einhundert Mitglieder. Dir Firmen versuchen also, sich auf den Märkten im Ausland durchzusetzen. Auf jeden Fall hält der Trend, dass die meisten Unternehmen mehr als die Hälfte ihrer Produktion ausführen. Manche Firmen nennen sogar eine Zahl zwischen 80 und 90 Prozent.“
Gegründet im verfallenen Kuhstall
Eines der Beispiele für eine stark exportorientierte Firma ist Linet. Der Betrieb aus dem Örtchen Želevčice vor den Toren von Prag stellt Krankenbetten her. 1990 wurde das Unternehmen zwar nicht auf der sprichwörtlichen grünen Wiese gegründet, aber in einem verfallenen Kuhstall. Das Startkapital waren 400.000 Kronen, heute knapp 16.000 Euro. Entstanden ist ein boomender Betrieb. Vor einigen Jahren hat Linet eine neue Fertigungshalle am Standort in Mittelböhmen eingeweiht. Petr Kolář ist der Generaldirektor der Firma:
„Wir hatten eigentlich geplant, dass die Halle noch in den nächsten fünf Jahren für unsere Entwicklung reicht. Aber allein in den zurückliegenden zwölf Monaten haben wir mehr als 30.000 Krankenbetten hergestellt, und nun reichen die Fertigungskapazitäten schon fast nicht mehr aus. Das heißt, wir denken darüber nach, wie wir die Kapazitäten ausweiten können.“Produzieren wolle man aber weiterhin in Tschechien, betont Kolář. Dabei sitzen die Hauptabnehmer im Ausland – in Europa genauso wie in Lateinamerika und Asien.
„Jeder Markt geht sein eigenes Tempo. Darin liegt auch die große Kraft von Linet. Wir exportieren auf alle Kontinente. Wenn es irgendwo mal nicht vorangeht, dann haben wir anderswo Erfolg. Das bringt uns Stabilität. Die Exportmärkte wachsen für uns derzeit in einem guten Tempo. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Gesundheitswesen in Europa und in den Vereinigten Staaten auf einem weitaus höheren Niveau ist als in Lateinamerika, Asien oder Afrika. Wir sagen, dass in der zweiten Gruppe von Ländern der Markt für konkrete Ansprechpartner kleiner ist. Deswegen liegt unser Umsatz dort nicht bei mehreren Hundert Millionen Kronen, sondern eher mehreren Dutzend Millionen. Allerdings wächst unser Absatz in diesen Teilen der Welt im zweistelligen Bereich“, so Kolář.
Am dynamischsten entwickle sich Asien, präzisiert der Firmenchef. Allerdings seien China und Indien dort jeweils eine Welt für sich…„Daneben gibt es aber auch viele weitere Länder mit interessantem Wirtschaftspotenzial. Wir sind beispielsweise der Marktführer in Indonesien. Auch auf den Philippinen und in Vietnam entwickelt sich unser Absatz sehr vielversprechend. In Asien bestehen viele wunderbare Märkte.“
Viele Vertreter der Branche hier in Tschechien schweifen allerdings längst nicht so in die Ferne wie Linet. Verbandschefin Jana Vykoukalová sagt nämlich:
„Weiterhin hält der Trend an, dass am meisten in die anderen Länder der EU ausgeführt wird. Zum einen sind dies unsere Nachbarstaaten Polen und die Slowakei, zum anderen besonders Rumänien und Bulgarien. Außerhalb der EU lassen sich besonders die Länder der ehemaligen Sowjetunion nennen. Zudem ist natürlich Deutschland ein Ziel, dort handelt es sich aber eher um Zulieferungen und nicht um den Export unter eigenem Namen. Europa ist also weiter der wichtigste Kontinent, doch die Unternehmen schauen sich auch in anderen Gegenden der Welt um. Südamerika verspricht zum Beispiel Erfolg, und manche Firmen suchen ihre Chance in Asien.“Innovationen und Weltneuheiten
Die Herstellung medizinischer Apparate kann dabei auf eine lange Geschichte hierzulande zurückblicken. Schon bei der Expo 1958 in Brüssel wurden gleich zwei Erfindungen aus der damaligen Tschechoslowakei mit einer Goldmedaille belohnt: ein Defibrillator und ein Elektronen-Mikroskop. Heute sind es zwar andere Geräte, mit denen die Branche besticht – aber nur der Wille zur Weiterentwicklung biete Chancen, findet Vykoukalová:„Allgemein lässt sich sagen, dass Innovationen den Erfolg bringen. Denn die riesige weltweite Konkurrenz, und vor allem jene aus dem billigen Asien, schafft es mittlerweile problemlos, den Standards zu genügen. Gegen sie kann man nur mit einzigartigen und innovativen Produkten bestehen. Von den tschechischen Firmen lässt sich zum Beispiel Medin nennen. Der Betrieb aus Pardubice stellt einen speziellen Nagel fürs Fersenbein her. In Deutschland zum Beispiel, wo der Markt sehr geschlossen ist, besteht großes Interesse an dieser Erfindung. Eine andere erfolgreiche Firma von hier heißt Beznoska und stellt Gelenkimplantate her. Sie hat eine Schiene für Kinder entwickelt, die mit dem Körper mitwächst. Zudem möchte ich noch die Firma Ella-CS nennen. Das Unternehmen aus Hradec Králové hat eine Weltneuheit auf den Markt gebracht, ein Stent für die Speiseröhre.“
Es scheint jedoch, dass die Konjunktur nach dem jüngsten Wirtschaftsaufschwung in Tschechien mittlerweile wieder abflaut. Die Wachstumsprognosen für dieses Jahr liegen jedenfalls unter den Ergebnissen von 2018. Ist das für die Medizintechnik-Unternehmen ein Problem? Jana Vykoukalová verneint:„Das Gesundheitswesen ist spezifisch in dem Sinn, dass sich konjunkturelle Schwankungen oft nicht auswirken. Denn die Endabnehmer sind Krankenhäuser, und die sind meist staatliche Institutionen. Das heißt, sie werden aus öffentlichen Geldern finanziert. Den größten Einfluss hat also der legislative Rahmen, das sind vor allem die gesetzlichen Vorgaben für die Produkte auf dem Markt.“
„Für viele Hersteller bedeutet dies, dass sie eine ganze Reihe neuer Pflichten und Bedingungen zu erfüllen haben, die die Kosten nach oben treiben. Einige kleinere Firmen werden dann keine Kraft mehr haben, um auf dem Markt zu bestehen und für ihre Produkte die nötigen EU-Zertifikate zu bekommen“, so die Verbandschefin.
Allerdings hat Brüssel die Durchführungsbestimmungen zu den neuen Vorschriften noch gar nicht veröffentlicht. Deshalb kann man sich in den Firmenzentralen noch nicht so richtig vorbereiten auf die Änderungen.