Kulinarischer Kampf für die Kinder: Jamie Oliver und die britischen Schulküchen

Jamie Oliver

In britische Schulküchen, so scheint es, haben jene Erfahrungen aber noch kaum Einzug gehalten. Über 90 Prozent der britischen Schulkinder essen mittags in der Cafeteria, Kinder, deren Eltern Sozialhilfe beziehen, müssen nichts dafür bezahlen. Für viele Kinder ist das "school meal" die Hauptmahlzeit, denn in Großbritannien ist die Ganztagsschule die Norm. Umso wichtiger, dass sie in der Pause etwas Vernünftiges zu essen bekommen. Könnte man denken. Weit gefehlt. Britische "school dinners" sind noch schlechter als das Essen im Knast: Dort wird doppelt so viel für die Zutaten ausgegeben. Der Grund: Mangelnde Mittel und mangelnde Bestimmungen, wie eine ausgewogene Mahlzeit aussehen soll. Dies müsse sich ändern, schwor sich der populäre Fernsehkoch Jamie Oliver. Er verbrachte ein Jahr in einer britischen Schule, um die Dinners zu verbessern. Ergebnis: Eine Fernsehserie, von Channel 4 ausgestrahlt, die in der Öffentlichkeit eine kleine kulinarische Revolution auslöste. Ruth Rach aus London:

Er hat Premierminister, Präsidenten und Promis mit seinen kulinarischen Kreationen entzückt, eine ganze Generation neuer Männer in die Küche gelockt, Müttern, Töchtern und Omas den Kopf verdreht. Manche meinen er gäbe einen besseren Premierminister ab als Tony Blair. Und dieses Jahr hielt er sogar eine Weihnachtsansprache im Fernsehen, als Alternative zur britischen Königin: Jamie Oliver, der junge britische Starkoch mit der Wuschelfrisur und dem frechen Mundwerk. Seinem Erfolg schienen keine Grenzen gesetzt. Bis er sich in ein Etablissement wagte, an dem schon viele Erwachsene mit edlen Träumen scheiterten: Die Schule.

"Unsere Kinder haben etwas Besseres zum Essen verdient", sagte Jamie. Den Mist, der jeden Tag schon den Allerkleinsten in Schulkantinen aufgetischt werde, würde er nicht einmal an seinen Hund verfüttern. Britische Schulmahlzeiten sind berüchtigt. Erwachsene erinnern sich mit Schaudern an den zermatschten Kohl, den wässrigen Kartoffelbrei, die Schrumpelwürstchen, die sie Tag für Tag hinunterwürgten.

Die heutige Einheitskost muss den Kindern nicht mehr aufgedrängt werden. Aber: Auch sie ist extrem ungesund. Vor allem in Großbritannien, das in der europäischen Fettsuchtliga an der Spitze liegt, und wo jedes vierte Kind zu dick ist.

"Sie kommen und essen Burger und Fritten", sagt Nora, eine Helferin in einer Kantine Und wenn sie die Schule verlassen, essen sie immer noch Burger und Fritten. Britische Schulen haben es schwer, dem Trend zur Fettsucht gegenzusteuern. Sie wissen: Die Kinder brauchen mehr Bewegung. Die meisten werden zur Schule gefahren. Es gibt zu wenig Sportunterricht. Viele Schulen haben ihre Sportplätze verkauft, um Geld für Lehrmittel flüssig zu machen. Geldnot auch in den Schulkantinen: Eine Mahlzeit darf nicht mehr als 37 Pence - 50 Cent kosten. Schulleiter haben Verträge mit Snack- und Softdrink-Firmen abgeschlossen. Die Vertreiber stellen Automaten mit Süßigkeiten auf. Die Kinder futtern Schokoriegel, die Schulen verdienen mit.

Jamie Oliver nahm sich die Kidbrooke Schule in Greenwich, Südostlondon, vor. Ein Jahr lang schuftete er in der Kantine. Er wollte zeigen, was gutes Essen ist. Ein harter Lernprozess. Nicht nur für ihn.

Jamie zeigte den Kindern zwei Dutzend Gemüsesorten - sie erkannten nur Erbsen. Sellerie, noch nie gesehen. Zucchini, völlig unbekannt. Jamie hielt ein Stück Rhabarber hoch. Ein Kind meinte, das sei eine Kartoffel.

Jamies größtes Problem: die Kinder hatten keine Lust auf gesunde Kost. Und viele Eltern auch nicht. Als Jamie Oliver Gemüsesuppen, Eintopf und Salat aufs Menu setzte, steckten besorgte Eltern Burger und Fritten durch den Zaun. Jamie griff zu allen möglichen Tricks, um sie zu überlisten. Er kreierte Mahlzeiten, die nicht allzu gesund aussahen, ernannte die hartnäckigsten Fritten-Junkies zu seinen Beratern, und zeigte den Klassen, was sich in Favoriten wie "panierten Truthahnstäbchen" wirklich verbirgt: Passierte Innereien mit viel Fett. Damit sorgte Jamie nicht nur bei Schülern für beeindrucktes Gruseln. Seine Kraftausdrücke fanden auch bei Politikern ein offenes Ohr.

Jedes Kind sollte mindestens eine ausgewogene heiße Schulmahlzeit pro Tag bekommen, verkündete plötzlich auch Bildungsministerin Ruth Kelly. Die Regierung versprach Zuschüsse in Millionenhöhe.

Vor über hundert Jahren wurden in Großbritannien die ersten kostenlosen Schulmahlzeiten eingeführt, aber nur für die Allerärmsten. Während des zweiten Weltkriegs wurden alle Schüler umsonst verköstigt, und bekamen täglich ein Glas Milch. In der Nachkriegszeit wurden die Subventionen schrittweise abgebaut. Margaret Thatcher strich schließlich auch die Milchrationen - ein Gewaltstreich, den ihr viele Briten bis heute nicht verzeihen.

Jamie Oliver musste an allen Fronten kämpfen, um Schüler, Eltern, sowie die Dinner Ladies, die Helferinnen in der Kantine, auf seine Seite zu bringen. Sie hatten jahrelang nur tiefgefrorene Pizzas und Burgers in die Mikrowelle geschoben. Viele konnten selbst nicht kochen. Jamie Oliver veranstaltete Campingausflüge und Wochenendkurse, um sie zu schulen.

Jamies Kampagne erregte landesweites Aufsehen. Eltern begannen, Druck auf Schulen auszuüben. Schulen fingen an, Snack-Automaten abzumontieren und auf gesündere Kantinenkost umzustellen. Bleibt zu wünschen, dass der Trend anhält. Aber letztendlich ist das auch eine Frage der Finanzen.

Autor: Ruth Rach
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