Kult um eine Kultfigur – der Heilige Wenzel und sein Denkmal in Prag

Wahrzeichen einer Stadt gibt es meist mehrere, doch immer ist eines darunter, das sich durch seine Besonderheit von den anderen abhebt. Was für Paris der Eiffelturm ist, für Rom der Trevi-Brunnen und für Berlin das Brandenburger Tor, das ist für Prag der Wenzelsplatz mit dem Denkmal des Heiligen Wenzel. Der majestätisch auf dem Pferd reitende Fürst Václav – wie Wenzel auf Tschechisch heißt – ist in seiner Rittermontur Zeuge der großen geschichtlichen Ereignisse des letzten Jahrhunderts geworden. Mehr als 1000 Jahre lang galt er auch als „Patron der Böhmischen Länder“ Und wie sieht es heute aus? Welche Bedeutung der Heilige Wenzel und sein Denkmal für die Menschen in Tschechien noch?

Statue des Hl. Wenzels
Ein Morgen im Dezember wie jeder andere. Der Wenzelsplatz ist in trübes Grau getaucht, vor dem hoch aufragenden Nationalmuseum haben sich einige Schulklassen versammelt, ein Strom von Menschen schiebt sich rechts und links an den Geschäften vorbei, die den Platz flankieren. Vom Denkmal mit dem Heiligen Wenzel, dem „Svatý Václav“, aus, tut sich ein Panoramablick auf die vorweihnachtliche Prager Innenstadt auf. Der Kopf des christlichen Fürsten, der im Jahr 935 von seinem Bruder ermordet und daraufhin heilig gesprochen wurde, verschwindet hinter Schneeflocken und Nebelschwaden. Um die Skulptur in ihrer monumentalen Größe ansehen zu können, muss man schon einige Schritte zurücktreten und den Kopf in den Nacken legen. Doch die meisten Umstehenden begnügen sich mit dem Blick auf den Hinterschweif des Pferdes. Kein Zufall, wie eine Studentin erklärt, die an der Rückseite des Denkmals auf eine Freundin wartet:

„Das hier ist ein typischer Platz in Prag. Wenn man Lust hat, sich mit jemandem zu treffen, dann verabredet man sich „unterm Schweif“ - und der Schweif gehört eben zum Heiligen Wenzel.“

Ein Mann mittleren Alters, der sich am Fuß des Denkmals verabredet hat, bestätigt die Bedeutung des Denkmals als beliebten Treffpunkt der Prager:

„Ich mag diesen Ort. Wir verabreden uns hier an diesem Platz, den alle im Land kennen, und darum habe ich das hier gerne.“

Heute ist es kein Problem mehr, wann auch immer sich am Wenzelsdenkmal zu treffen. In der kommunistischen Zeit konnte es jedoch zu einem schwierigen Unterfangen werden, wie der Dissident und Publizist Petr Placák aus Prag berichtet:

„Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Jahrestag von Jan Palach. Da hatten wir uns um drei Uhr „beim Pferd“ verabredet, wie man zum Denkmal des Heiligen Wenzel sagt. Wir wollten einen Blumenkranz anlässlich des Jahrestages der Verbrennung von Jan Palach nieder. Ich saß etwa anderthalb Stunden in einem Café und habe den Beamten der Staatssicherheit zugesehen, die um das Denkmal herumliefen. In einem günstigsten Moment bin ich dann losgelaufen und habe die Blumen niedergelegt.“

Je mehr sich das kommunistische Regime bemühte, die Bedeutung des Heiligen Wenzel als Symbol für staatliche und kirchliche Unabhängigkeit zu schmälern, desto mehr rückte der friedliebende Fürst für die Bevölkerung in den Vordergrund. Selbst eine Umzäunung konnte nicht verhindern, dass sich Menschen zu Protestaktionen um das Denkmal versammelten.

Statue des Hl. Wenzels
„An diesem Denkmal haben sich traditionell alle Demonstrationen gegen das Regime versammelt - sei es während der Okkupation der Nationalsozialisten, während des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1968, als russische Panzer nach Prag eindrangen, oder im Jahr 1969 anlässlich des 1. Jahrestages der russischen Okkupation. Auch in den darauf folgenden Jahren der Normalisierung war das Denkmal das Zentrum des Protests der Tschechen“, so Petr Placák.

„Lass uns und die Zukünftigen nicht zugrunde gehen.“ Diese Bitte des Volkes aus dem mittelalterlichen Choral des Heiligen Wenzel steht als Inschrift am Denkmal. Vor allem im November 1989 scheint sie erhört worden zu sein. Tausende Tschechen sangen den Choral wie eine zweite Hymne und demonstrierten am Fuß des Denkmals für Freiheit und Demokratie. Ein Ereignis, das viele Menschen bis heute mit dem Heiligen Wenzel verbinden:

„Ich bin noch ein recht junger Mensch und war zur Zeit der Revolution noch sehr klein, aber ganz bestimmt denke ich beim Heiligen Wenzel an die Samtene Revolution, die Verbundenheit der Nation und wie sie zusammengehalten hat“, meint eine Studentin.

Petr Placák  (Foto: ČTK)
Ein Mann sagt:

„Mir fällt der 17. November ein, hier haben sich eben gerade die wichtigen Ereignisse in Prag abgespielt.“

Eine weitere junge Frau findet:

„Er ist bestimmt ein Symbol. Ein Symbol der Tschechischen Republik. Der Heilige Wenzel ist eine bedeutende Persönlichkeit aus der tschechischen Geschichte, darum ist er auch hier oben am Wenzelsplatz aufgestellt. Der Ort hier vor dem Nationalmuseum hat so seine Symbolik.“

Hl. Wenzel  (Foto: Autorin)
Für ein vierzehnjähriges Mädchen, das an diesem Morgen neben dem Denkmal steht, sind die Ereignisse um den 17. November schon kein Begriff mehr. Der Heilige Wenzel ist ihrer Meinung nach ein tschechischer König, und was sie an ihm schätzt, das ist etwas ganz anderes.

„Also ich habe keine Ahnung. Es ist eben um ihn herum so eine bestimmte Atmosphäre, so Verschiedenes eben.“

Ob der Kult des Heiligen Wenzel für die neue Generation Kult bleibt, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Publizist Petr Placák hofft, dass die Werte, die mit dem Heiligen Wenzel verbunden sind, auch in Zukunft eine Rolle spielen werden:

„Wenn wir die Legenden über den Heiligen Wenzel lesen, dann finden wir darin all das, worauf Europa gebaut sein sollte. Eine Regierung, die kulturell, gebildet und tolerant ist. Das beinhaltet der frühe christliche Humanismus seit dem 10. Jahrhundert, der universell gültig ist.“