Landratten zu Wasser: tschechische Matrosen im Ersten Weltkrieg

U 12

Sicher hat der eine oder andere schon einmal ein tschechisches Binnenschiff auf der Moldau gesehen. Und lange Zeit hatte die Tschechoslowakei eine Hochseehandelsflotte, für die sogar ein Freihafengelände im Hamburger Hafen genutzt wurde. Aber es gab auch tschechische Matrosen auf Kriegsschiffen. Das Kaiserreich Österreich-Ungarn unterhielt bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in der Adria eine kleine, aber schlagkräftige Flotte. Da die k.u.k. Monarchie aus vielen verschiedenen Nationen bestand, dienten in seiner Marine die unterschiedlichsten Völker, unter ihnen auch Tschechen.

Kriegsschiffe im Ersten Weltkrieg – und darauf Tschechen. Im Museum der Stadt Roudnice nad Labem, dem Podřipské Muzeum, ist zurzeit eine Ausstellung dazu zu sehen. Nun liegt Roudnice zwar am Wasser, nämlich der Elbe, doch ein Panzerkreuzer oder ein U-Boot wird es dorthin bestimmt noch nicht geschafft haben. Warum nun dieses Thema ausgerechnet in Roudnice? Jan Mrázek ist der Direktor des Museums und Kurator der Ausstellung:

„Im Jahr 2008 hatten wir im Museum eine Ausstellung installiert mit dem Titel ´Tschechen im Feuer des Krieges zwischen 1914 und 1918´. Eines der Ausstellungsstücke war eine farbige Postkarte, die der Matrose Jaroslav Marcin aus dem kroatischen Hafen Malinska nach Roudnice geschickt hatte. Da ist uns dann die Idee gekommen, dass man eine Ausstellung organisieren müsste, die sich nur mit den tschechischen Seeleuten beschäftigt, die während des Ersten Weltkriegs an der Adria dienten. Dieser Teil der Geschichte ist bis heute relativ unbekannt. Dieser Gedanke, die Postkarte und die nicht geringe Zahl tschechischer Seeleute regte uns dazu an, diese Ausstellung nun zu realisieren.“

Jindřich Marek
Jindřich Marek vom Militärhistorischen Institut in Prag forscht zur österreichisch-ungarischen Marine und erklärt, wie und wann die Tschechen Seeleute wurden:

„Ihre Zeit an der Adria begann hauptsächlich um das Jahr 1905 herum, als begonnen wurde, die österreich-ungarische Marine zu modernisieren. Dafür brauchte man qualifizierte Kräfte, und die tschechische Nation war damals, gemeinsam mit den Deutschen, in der k.u.k. Monarchie in der technischen und kulturellen Entwicklung weit fortgeschritten. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erreichten die Tschechen dann ihren zahlenmäßigen Höhepunkt in der Marine und stellten etwa zehn Prozent der Matrosen.“

Hafen in Pula
Die Tschechen waren Maschinisten, Kanoniere, Taucher oder Funker, sie arbeiteten als Ingenieure und Zeichner in Projektbüros und natürlich waren sie auch Musiker in den Marinekapellen. Der Historiker Marek weist aber auch auf eine wenig vermutete Profession hin:

„Man darf die Ärzte nicht vergessen. Das Ärztechor der Marine bestand zum überwiegenden Teil aus Tschechen, denn wir haben ja einen großen Komplex: Es quält uns, dass wir kein Meer haben. Jeder liebt die Ferne und die Romantik und gerade die jungen Tschechen, die Medizin studiert hatten und aus sozial schwächeren Familien kamen, suchten ihre Zukunft auf dem Meer und in der Ferne und hofften, ihre Wünsche im Ärztechor der Marine erfüllen zu können. Unter ihnen waren auch bedeutende Personen, zum Beispiel Doktor Robert Lím, der im Jahr 1918 Kommandeur des Ärztechors war.“

U 27
Zwar waren die Tschechen eigentlich Landratten, an das Leben in der Marine gewöhnten sie sich aber ziemlich schnell. Sie waren gut ausgebildet, eigneten sich das maritime Wissen schnell an und hatten kaum Probleme mit dem Deutschen, der Amts- und Kommandosprache. Erstaunlich zudem: die Kroaten, die ja am Meer aufgewachsen waren, mussten als Erwachsene erst noch schwimmen lernen. Die Tschechen hatten sich das Schwimmen schon in den vielen Fischteichen und Seen in Böhmen und Mähren angeeignet.

U 12
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, führte auch Österreich die neueste Waffe auf den Weltmeeren ein: das U-Boot. Es waren kleine Boote, die eigentlich nur zum Küstenschutz an der Adria vorgesehen waren. Eines dieser Boote, die U 12, torpedierte zu Beginn des Krieges im Jahr 1914 das Flaggschiff der französischen Mittelmeerflotte, die Jean Bart, und beschädigte es schwer. Dieser erste Erfolg eines österreichischen U-Boots sorgte für Respekt bei den Gegnern. Für diese damals technisch äußerst komplizierten Geräte brauchte die Marine natürlich geschickte und gut ausgebildete Spezialisten. Jindřich Marek:

„Österreichs U-Boot-Flotte bestand hauptsächlich aus modernen deutschen Booten, und diese waren zu einem Drittel mit Tschechen bemannt. Der Grund für den hohen Anteil an Tschechen lag in dem Bedarf an qualifizierten und geschulten Kräften, wie Maschinisten und Funkern. Leider war der U-Boot-Krieg grausam, die Verluste waren viel höher als bei Überwasserschiffen, und deswegen finden sich unter den Verlusten der Matrosen viele Tschechen. Auch war der Dienst auf den U-Booten physisch, psychisch und gesundheitlich sehr anstrengend. Die Luft war schlecht und es gab nur mangelhafte Verpflegung. Der Dienst auf diesen Booten erforderte harte und entschlossene Männer.“

Franz Rasch
1918 war, wie überall in Europa, auch bei den Matrosen die Kriegsmüdigkeit groß. Unter dem Eindruck der Februarrevolution mehrten sich Streiks und Aufstände. Auch die Matrosen auf den österreichischen Schiffen in der Bucht von Kotor probten den Aufstand. Am 1. Februar 1918 hissten die Seeleute von 40 Kriegsschiffen die rote Fahne, entmachteten ihre Offiziere und bildeten Soldatenräte. Die Hauptfigur dieser Meuterei war ein Matrose aus Mähren, Franz Rasch. Er kam aus einer deutsch-tschechischen Familie und wurde zum Führer dieser kleinen Revolution. Neben dieser bekannten Figur spielten aber auch andere wichtige Rollen, wie Jindřích Marek weiß:

Tschechen auf dem Kreuzer St. Georg
„Ein weiterer bedeutender Teilnehmer der Revolte war Rudolf Kreibich, ein Prager, der Musiker in der Schiffskapelle des Kreuzers St. Georg gewesen war. Er war eine Art geistiger Führer und versuchte die Matrosen zu organisieren. Einige der heißblütigen Italiener und Kroaten zerstörten und wüteten nämlich in der ersten Phase der Meuterei, wohingegen die böhmischen Matrosen einen organisierten und rationalen Rahmen anstrebten.“

Lange Zeit wurde der Aufstand in der Bucht von Kotor nationalistisch gedeutet, als ein Aufstand der unterdrückten slawischen Nationen gegen ihre deutschen Offiziere. Tatsächlich ging es den Meuterern aber wohl vor allem um Frieden und bessere Verpflegung. Auch Jaroslav Marcin, der Seemann aus Roudnice nahm an der Meuterei teil, wie Kurator Mrázek erläutert:

Kreuzer Kaiserin Elisabeth
„Jaroslav Marcin hat seine Erlebnisse sorgfältig aufgezeichnet. Während seiner Seereisen führte er ein Tagebuch, und diese Aufzeichnungen sind bis heute eine wertvolle Quelle der Informationen. Während des Weltkriegs diente er auf bis zu zehn Schiffen. Er absolvierte mehrere Fortbildungskurse zum Artillerist und Minenspezialist und gegen Ende des Krieges gelangte er in die Bucht von Kotor. Dort nahm er dann an der Meuterei teil, die weniger ein Ergebnis der Revolution in Russland war als vielmehr auf die mangelnde Versorgung der Streitkräfte am Ende des Krieges in der gesamten Monarchie zurückzuführen war.“

Die Meuterei in der Bucht von Kotor
Die Meuterei endete nach drei Tagen. Auf den meisten Schiffen konnten die Offiziere ihre Mannschaften zur Aufgabe bewegen. Franz Rasch wurde gemeinsam mit drei weiteren „Haupträdelsführern“ von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Am 11. Februar wurden die Todesurteile vollstreckt.

Viele Tschechen in den österreichischen Streitkräften haben aber auch versucht, sich den tschechischen Legionen anzuschließen, die unter der Fahne der Alliierten für eine unabhängige Tschechoslowakei kämpften. Im Landkrieg gab es viele Möglichkeiten, zur anderen Seite überzulaufen. Ungleich schwieriger war dies für Seeleute, denn durch die Adria nach Italien zu schwimmen kam natürlich nicht in Frage. Manche kaperten Schiffe, zum Teil wurden sie aber gefasst.

Die Legionen bildeten nach dem Krieg die Basis der neuen tschechoslowakischen Armee. Ganz zu Beginn der Staatsgründung, kurz nach dem Umsturz am 28. Oktober 1918 standen dem Nationalausschuss in Prag aber keine Soldaten zur Verfügung. Die Legionen kämpften noch in Frankreich, Italien oder Russland. Die einzig verfügbaren Männer in Prag waren Matrosen. Wieso sich in Prag ausgerechnet Matrosen aufhielten und wie diese dann zu den ersten aktiven Einheiten der Armee des neuen Staates wurden, erklärt Jindřich Marek:

Bucht von Kotor am Anfang des 20. Jahrhunderts
„Zu dieser Zeit hielten sich in Prag etwa 80 bis 120 Seeleute auf. Sie waren auf Urlaub, sie waren Deserteure, oder sie waren als Teilnehmer des Aufstandes in der Bucht von Kotor beziehungsweise als politisch unzuverlässig von den Behörden vom Meer abgezogen und in die Fabriken geschickt worden. Als es dann zum Umsturz kam, erinnerte sich der Fähnrich zur See Kubát an einige Matrosen und gab ihnen die Aufgabe, ihre Kameraden zu suchen. Schon am Abend sammelten sich 80 Matrosen in Seeuniformen mit Pelzkrägen, die sie am Bahnhof Vršovice gestohlen hatten, auf der Moldauinsel Žofin und bildeten die erste Einheit, die der Nationalausschuss in Prag befehligte.“

Die tschechischen Seeleute waren also gefragte Spezialisten auf den modernen österreichischen Kriegsschiffen, kämpften im Ersten Weltkrieg mit und gegen Österreich und spielten dann auch noch eine wichtige Rolle beim Aufbau der unabhängigen Tschechoslowakei.