Laterna magika – eine Institution der Prager Theaterszene muss sich neu behaupten

„Der zauberhafte Zirkus“ (Foto: Petr Našic, Archiv des Nationaltheaters)

Am 1. September ist das Nationaltheater Prag in die neue Spielzeit gestartet. Auf der Piazzetta vor dem Theatergebäude zeigten Schauspieler, Sänger und Tänzer unter freiem Himmel kurze Kostproben aus den kommenden Premieren. Vertreten war auch die legendäre Laterna magika, deren Ensemble seit fünf Jahren zum Nationaltheater gehört. Seit Januar 2014 gelten allerdings neue Konditionen, weil nun auch das langjährige Domizil „Nová scéna“ (Neue Bühne) auf der Národní-Straße nicht mehr autonom ist. Um weiter bestehen zu können, musste die traditionelle Marke „Laterna magika“ eine wesentliche Kürzung der Spielzeit in Kauf nehmen.

„Was das Bier in der Kneipe, der Knödel auf dem Teller und die Prager Burg bei einem Stadtrundgang ist, das ist zweifellos die Laterna magika im Bereich Abendunterhaltung und Kultur: nämlich ein Programmpunkt, ohne den einem Prag-Besucher definitiv etwas ganz Besonderes entgehen würde.“

Zdeněk Prokeš  (Foto: Archiv des Nationaltheaters)
So lautet ein Zitat aus einer etwas holzschnittartigen Werbeanzeige auf der Webseite „Tschechienonline“. Eines stimmt allerdings. Das Theater, das sich nach seinem Erfolg auf der Weltausstellung EXPO 58 in Brüssel vor 55 Jahren zum ersten dauerhaft in Prag niederließ, ist immer noch in der Lage, „etwas ganz Besonderes“ zu bieten. Dies auch trotz der veränderten Umstände der jüngsten Zeit. Zdeněk Prokeš ist der künstlerische Leiter der Laterna magika:

„Früher war die Laterna magika ihr eigener Herr im Haus ´Nová scéna´ und hatte fast jede Woche eine Vorstellung. Nach der Statusänderung, die mit dem 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist, wird die ´Nová scéna´ ebenso wie das Ständetheater vom Nationaltheater verwaltet. Als Folge davon wurde unsere Spielzeit um zwei Drittel reduziert. Wesentlich verändert hat sich auch unser Künstlerensemble. Ursprünglich hatten alle Mitglieder unbefristete Arbeitsverträge. Heutzutage sind sie nur noch freie Mitarbeiter. Hierfür haben wir eine Lösung gefunden. Unseren Tänzern garantieren wir eine fixe Zahl von Auftritten in der Saison. In den individuell abgeschlossenen Vereinbarungen verpflichten sie sich, zu trainieren und an Proben teilzunehmen.“

„Der zauberhafte Zirkus“  (Foto: Petr Našic,  Archiv des Nationaltheaters)
Die neuen Konditionen stellten das Ensemble der Laterna magika vor mehrere grundlegende Fragen. Zum Beispiel: Ist es notwendig geworden, das Repertoire zu ändern?

„Eigentlich nicht. Wir haben zwar befürchtet, dass das neue System nicht lange funktionieren würde. Außerdem haben wir nicht geglaubt, dass unser Ensemble zusammenbleiben würde. Insbesondere aus finanziellen Gründen. Mit ihrem Monatseinkommen können unsere Tanzkünstler keineswegs auf großem Fuß leben. Nichtsdestotrotz halten die Leute fest zusammen. Die Arbeit macht ihnen viel Spaß und dementsprechend sind auch ihre Leistungen. Was das Repertoire anbelangt, sind wir bemüht, auch neue Stücke einzustudieren. Insbesondere nach der ersten Transformationsetappe unseres Theaters 2010. Doch auch einige ältere Inszenierungen sind so beliebt, dass sie sich auch nach vielen Jahren immer noch auf der Bühne halten. Die bekannteste ist „Der zauberhafte Zirkus“ oder „Zauberzirkus“, sie wird seit 1977 gespielt. In 37 Jahren wurde das Stück über 6.250 mal aufgeführt. Das ist etwas Einmaliges.“

„Der zauberhafte Zirkus“  (Foto: Petr Našic,  Archiv des Nationaltheaters)
Die Autoren von „Zauberzirkus“ verzichteten weitgehend auf Sprache als Ausdrucksform, was übrigens bis heute für die Produktionen der Laterna magika gilt. Die Vorstellung kombiniert Filmprojektionen, Schauspiel, Tanz, Pantomime, Musik und Lichteffekte. Zdeněk Prokeš:

„Es ist ein meisterhaftes Werk seiner Schöpfer Evald Šorm, Jan Švankmajer, Jiří Srnec und Josef Svoboda. Das Künstlerteam hatte seinerzeit gute Bedingungen für die Arbeit. Der weltweit bekannte Bühnenbildner Josef Svoboda hat es verstanden, seine Inszenierungen im Prager Nationaltheater durchzusetzen und dafür auch das Geld zu beschaffen. Er war auch hierzulande eine hoch geachtete Persönlichkeit. Wir befinden uns heute in einer völlig anderen Situation, denn das Ensemble muss sich selbst finanzieren. Vom Nationaltheater bekommen wir keine Subventionen.“

Nová scéna  (Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Ein Großteil der Gelder, die das Ensemble der Laterna magika durch seine Auftritte verdient, wird an das Nationaltheater abgegeben. Dieses bezahlt die Betriebskosten der „Nová scéna“. Trotzdem sei man bemüht, so Prokeš, in jeder neuen Spielsaison eine Premiere zu haben. In der ersten Spielzeit nach der Fusion mit dem Nationaltheater holte man sich Inspiration vom Prager Schwarzen Theater. Die Vorstellungen „Ahasver“, „Timewalker“ oder „Der Prager Fußgänger“ wurden dort in den 1990er Jahren gespielt. Die Laterna Magika rief sie mit dem multimedialen Projekt „Legenden im magischen Prag“ im März 2011 zurück ins Leben.

„Legenden des magischen Prag“  (Foto: Hana Smejkalová,  Archiv des Nationaltheaters)
Die Vorstellungen der Laterna magika werden seit eh und je vor allem von Ausländern besucht. Dem künstlerischen Leiter zufolge stellen sie in der Regel bis zu 85 Prozent des Publikums.

„Es kommen immer neue ausländische Touristen nach Prag, die die Laterna magika für sich als etwas Neues entdecken. In den letzten Jahren versuchen wir auch, mehr tschechische Zuschauer ins Theater zu locken. In diesem Zusammenhang hilft es uns, dass wir ein Teil des Nationaltheaters geworden sind. Nicht nur weil unsere Vorstellungen im Rahmen des Jahresabonnements für das tschechische Publikum angeboten werden. Das Nationaltheater propagiert uns auch als eines seiner Markenzeichen. Das ist ebenfalls ein Vorteil.“

„Antikodes“  (Foto: Hana Smejkalová,  Archiv des Nationaltheaters)
In dieser Hinsicht sei die Fusion trotz der erwähnten Einschränkungen ein positiver Schritt gewesen, beteuert Prokeš. Wäre sie nicht zustande gekommen, würde es die Laterna magica heute aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr gegeben, meint er. Nach seiner Ansicht war von großer Bedeutung, dass die Produktionskosten erheblich reduziert werden konnten:

„Es ist uns gelungen, den filmischen Teil der Inszenierungen zu digitalisieren. Auch die Filmdreharbeiten sind wesentlich billiger als früher. Früher beliefen sich die Kosten für jede Premiere auf Dutzende Millionen Kronen. Heutzutage kann man sie für vielfach weniger Geld realisieren. Damals war es aber sehr hilfreich, dass von nichts und niemanden Druck ausgeübt wurde, ehe eine neue Inszenierung nicht in jeder Hinsicht perfekt war. Man konnte uneingeschränkt lange proben. Das Ensemble blieb oft den ganzen Tag im Theater, um weiter an dem neuen Projekt zu feilen. Heute müssen wir die Bedürfnisse anderer Ensembles des Nationaltheaters berücksichtigen. Für das Proben und Experimentieren steht uns immer weniger Zeit zur Verfügung.“

„Graffiti“  (Foto: Petr Našic,  Archiv des Nationaltheaters)
Auch wenn die Laterna magika im Großen und Ganzen nicht über Besuchermangel klagen muss, lässt sie der technische Fortschritt in der Theaterwelt im Vergleich nicht mehr ganz so originell erscheinen. Ist das ein Anlass zur Besorgnis?

„Weil die neuen Technologien zunehmend auch den Theatern zugänglich sind, werden sie selbstverständlich immer häufiger eingesetzt. Technologie ist aber etwas anderes als die Kunstprinzipien, auf denen die Laterna magika begründet ist. Der Film dient nicht etwa als eine bloße Kulisse für das Geschehen auf der Bühne. Für uns sind die Film- und Bühnenmittel gleichwertige Elemente, die sich mithilfe moderner Technologien in einer Symbiose zusammenfügen. Alle unsere Inszenierungen sind inzwischen digitalisiert. Wir suchen ständig nach neuen Ausdrucksmitteln für die Projektionsflächen wie auch nach neuen Bildhintergründen, auf die sich die Filme projizieren lassen.“

„Human Locomotion“  (Foto: Marek Volf,  Archiv des Nationaltheaters)
Unter allen Stücken der letzten fünf Jahre hat die diesjährige Premiere der multimedialen Inszenierung namens „Human Locomotion“ die besten Kritiken geerntet. Ihr Held ist Edward James Muggeridge, der britische Fotograf und Erfinder der so genannten Chronofotografie. 2014 jährt sich sein 110. Todestag. Zdeněk Prokeš:

„Wir alle kennen seine Fotoserien mit den Bewegungsphasen eines galoppierenden Pferdes. Sein Name ist aber heutzutage nur den wenigsten bekannt. Auch wenn ihm das Prager Technische Museum eine umfassende Dauerausstellung gewidmet hat. Meiner Meinung nach ist es in der Tat eine gelungene Vorstellung. Doch ihr Titel ´Human Locomotion´ hat sich leider nicht als Publikumsmagnet erwiesen. Diejenigen, die das Stück gesehen haben, waren allerdings begeistert.“

Foto: Kristýna Maková
In der Laterna magika hofft man derzeit darauf, dass ein neues Werk auf dem Spielplan der laufenden Saison die Zuschauermassen anziehen wird. Das Stück mit dem Namen „Die wundersame Reise des Jules Verne“ basiert auf Romanmotiven des berühmten französischen Schriftstellers. Mit den heutigen Möglichkeiten von Theater und Film wird das Stück die wissenschaftlichen Entdeckungen des 19. Jahrhunderts zeigen. Die Premiere ist für den 19. Februar 2015 vorgesehen.